Montag, 27. April 2020

Chris & Chrisser

[ soulig | gemütlich | normal ]

Spätestens seit seinem letzten Album Guns, welches im vergangenen Jahr in den Top Ten meiner Lieblingsplatten 2019 landete, ist der Rapper Quelle Chris für mich ein Künstler geworden, bei dem es sich lohnt, durchweg erhöhte Aufmerksamkeit für seinen Output an den Tag zu legen. Ein ganzheitlich interessanter Musiker ist er allerdings schon fast eine ganze Dekade lang. Seit seinem kommerziellen Debüt Ghost at the Finish Line von 2013 hat sich der MC aus Detroit im US-amerikanischen Rap-Untergrund einen Namen als jemand gemacht, der vor allem durch die immense Eigenwilligkeit in seiner Musik auffällt und der insbesondere in seiner Frühphase einen verdienten Ruf als komischer Kauz der Szene aufbaute. Dass er dabei schon immer aus der Masse anderer Rapper*innen, selbst im Bereich des verschwurbelten Conscious-Rap, herrausstach, machte ihn schon immer zu einem Künstler, den man interessant finden konnte, in meinen Augen bedeutete das bei seinen frühen Platten jedoch noch nicht immer, dass sie auch gut waren. Wobei eine der ersten davon, die echtes Potenzial erkennen ließen, eine 2015 veröffentliche Kollaboration mit dem Producer Chris Keys namens Innocent Country war. Unter seinen damaligen Releases war diese 32-mitütige Projekt eines der zugänglicheren, das mit klassichem Jazzrap-Sound und eher gemütlicher Attitüde punktete und damit zumindest auf musikalischer Ebene ein bisschen von Quelles Freak-Faktor abtrug. Insofern war es in vielerlei Hinsicht ein Vorgeschmack auf die sehr eingängige Ästhetik, die letztes Jahr Guns so cool machte, was einen Nachfolger zum jetzigen Zeitpunkt natürlich umso spannender werden lässt. Vor allem, weil Teil 2 aus diesem Konzept jetzt wesentlich mehr machen will. Mit 66 Minuten ist dieser fast doppelt so lang, wartet mit einem illustren Feature-Katalog auf und denkt auch Setting-technisch ein ganzes Stück größer. Gleich die ersten beiden Tracks packen das Motiv der Platte in das einer actiongeladenen Fernsehserie, die hier sozusagen in ihre zweite Staffel geht und ganz in bewährter TV-Tradition mit einer Art "Was bisher geschah"-Rückblick beginnt. Diese Strategie als Intro ergibt in meinen Augen allerdings relativ wenig Sinn und sorgt vor allem für Verwirrung, was mich zu Anfang schon ein bisschen besorgt machte. Teilweise berechtigt, denn über die gesamte Spielzeit bedienen sich die beiden Chrisses immer wieder dieser Sorte von Interludes, die ein kaum zu durchschauendes Konzept etablieren sollen und letztendlich eher nerven als einen ansprechenden Rahmen zu schaffen. Blendet man diesen aber aus, dann besteht Innocent Country 2 trotzdem aus einer ganzen Reihe ziemlich guter Tracks, die sich sehr lohnen. Wobei Quelle Chris ästhetisch wieder ein kleines Stück zugänglicher wird. Vieles davon hat natürlich auch mit dem sehr chilligen Instrumental-Backing zu tun, das hier von Chris Keys ein weiteres Mal abgeliefert wird, doch wie schon auf Guns erlebt man auch den Rap-Part wesentlich gefälliger. Mit seinem weitgehend recht angepassten Flow und jeder Menge Gesangsparts erinnert vieles hier an die Flowerboy-Phase von Tyler, the Creator oder moderne Boombap-Kleinode wie Noname und Rory Ferreira. Gleichzeitig ist Quelle Chris eben deshalb so gut in dieser Art von Musik, weil er die künstlerischen Drähte zum verkopften Conscious-Rap nicht gänzlich kappt und für einen smootheren Sound nicht seinen großartigen schwarzen Humor und seine intelligenten Inhalte opfert. Eine Sache, die sich auch in der Feature-Liste wiederspiegelt, die ein unglaublich großes Spektrum abdeckt. Mit Big Sen, Homeboy Sandman und vielen jungen und unbekannten MCs bleibt sie sehr im Untergrund verwurzelt, andere Gäste wie Billy Woods und Earl Sweatshirt (der ja zuletzt eh immer mehr der Künstler wird, der Quelle Chris vorher lange war) verursachen aber auch innovative Impulse, die den Dunstkreis von Chris Rappers auf coole Weise erweitern. Insgesamt klingt Innocent Country 2 damit eher wie ein Sequel zu Guns als zum ersten Joint Venture der beiden Chrisses, aber auch das bedeutet, dass es ein ziemlich gutes Gesamtergebnis ist. Zwar bleibt es insofern komisch, dass ein rahmengebendes Konzept hier eher von meinem Genuss der Platte abträgt als ihn zu befördern, doch auch dieses ruiniert nicht die tollen Songs, die hier ein weiteres Mal geschrieben werden. Insgesamt ist das hier also eine weitere LP von Quelle Chris, die mich von dem Typen überzeugt und ihn als Rapper etabliert, den ich in Zukunft genauer beobachten will. Weil er inzwischen nicht nur eigenwillig, sondern auch richtig gut ist.



Hat was von
Tyler, the Creator
Flowerboy

Noname
Room 25

Persönliche Höhepunkte
Outro / Honest | Living Happy | Sacred Safe | Bottle Black Power Buy the Business | Sudden Death | Graphic Bleeds Out | Mirage

Nicht mein Fall
Intro / Recap | Moments


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