Samstag, 11. April 2020

Rock Action

[ actiongeladen | fetzig | groovy ]

Wir sind und glaube ich alle einig, dass Genre-Definitionen in den allermeisten Fällen eine Sache sind, die eher nervt, als dass sie einen Vorteil mit sich bringt. Gerade in Zeiten der kreativen Vernetzung, in denen eigentlich kein Mensch mehr nur eine Musikrichtung hört, sich Szene-Kontexte langsam auflösen und es tolle Sachen wie Babymetal gibt, tragen sie eigentlich eher dazu bei, konservatives Abgrenzungsverhalten zu motivieren und künstlerische Freiheit einzuschränken. Mintunter gibt es aber dann und wann noch Fälle, in denen sie tatsächlich helfen, eine klangliche Ausprägung oder kompositorische Richtung festzuschreiben und zu definieren, ob eine Musik nun etwas ist oder nicht. Exemplarische Frage: Sind Maserati auf ihrem neuen Album eigentlich noch eine Postrock-Band? Eine Frage, die theoretisch perfekt für einen musikalischen Debattierclub wäre, denn für beide Seiten finden sich äußerst ausgewogene und stichhaltige Argumente. Dafür spricht zum Beispiel, dass sie hier nach wie vor sehr getragene, sinfonische Stücke schreiben, die deutlich mehr Fokus auf den klanglichen Gesamtprozess legen als auf einzelne Hooks oder Motive. Dagegen spricht, dass es einfach nicht danach klingt. Nicht nur gibt es auf Enter the Mirror, der sechsten LP des Quartetts aus Athens, mal wieder mehr Synthesizer und vocodierten Gesang, auch die gesamte songwriterische Struktur ist anders. Es ist zwar wahrlich schwer, den Sound dieser sieben Tracks auf irgendeine Weise klar zu beschreiben, doch mit der Postrock-Ästhetik, die man als klassisches Genre-Prinzip kennt, hat das hier nichts mehr zu tun. Zu fetzig und rockig klingt das hier, zu dynamisch und puckerig. Und zu sehr lassen die vier Musiker hier ihre dicken Eier heraushängen. Zwischen Proto-Elektro der Marke Kraftwerk und Tangerine Dream über krautrockige Bombast-Riffs bishin zu getürkten Stadionrock-Gesten vereint Enter the Mirror ziemlich viele Eigenschaften, die in der Szene normalerweise als zu draufgängerisch und kitschig gelten, womit Maserati letztendlich das Gegenteil bewirken. Denn gerade als eine Band, die sich nach einem italienischen Sportwagen benannt hat und hier eine Art Blade Runner-mäßigen Trockeneis-Metal verhackstückt, schaffen sie es irgendwie, so viel weniger schmalzig und verklärt zu klingen als die meisten ihrer Szene-Kolleg*innen. Insofern wäre das Urteil, dass sie hier keinen Postrock spielen, auch kein wertendes in dem Sinne, dass sie aus der noblen Gemeinschaft der Crescendo-Frickler exkommuniziert sind, sondern dass sie zu diesem Klischee genügend Distanz genommen haben, um damit nicht mehr verglichen zu werden. Was Maserati auf Enter the Mirror noch mit Postrock verbindet, sind ihre Wurzeln in der Community und dass sie auf einem Label mit Explosions in the Sky, Mono und Envy sind. Mehr ist es eigentlich nicht. Und ganz ehrlich: Es tut ihnen gut. Als eine Band, die dem herkömmlichen Szene-Sound ja schon immer etwas abspenstig war und gerade mit ihren letzten beiden Alben Anschlüsse eher in den schweren Synth-Manövern deutscher Elektro-Pioniere aus den Siebzigern suchte, ist das hier eine klangliche Erfüllung. Diese beinhaltet zwar auch jede Menge Rock (und das nicht nur im Sinne von Gitarrenmusik, sondern auch in Sachen Attitüde), doch ist eine eigene Formulierung, die sich auch von den konzeptuell ähnlichen Unternehmungen der Kollegen Mogwai oder Explosions in the Sky unterscheidet. Und damit eine weitere schöne Variante, wie Ausprägungen dessen, was man als Postrock kennt, sich weiterentwickeln und die Stagnation überleben. Wobei sie bei mir nicht zum ersten Mal die Frage aufkommen lassen, warum ich eigentlich überhaupt noch diesen lästigen Begriff dafür verwende. Ist ja nicht so, dass er irgendwas aussagen würde.



Hat was von
Mogwai
Every Country's Sun

Sun & Sail Club
Mannequin

Persönliche Höhepunkte
2020 | A Waring in the Dark | Der Honig | Welcome to the Other Side | Empty | Wallmaker

Nicht mein Fall
-


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