Mittwoch, 8. April 2020

Big Fish Theory

[ schmissig | optimistisch | sorgfältig ]

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber zumindest in meiner persönlichen Auffassung der letzten Jahre ist die britische Künstlerin Dua Lipa immer einer dieser seltsamen Popstars gewesen, die einfach irgendwie da sind. Niemand weiß so richtig, wann es anfing, dass sie plötzlich überall war, sie hatte dabei keinerlei wirklich herausragende künstlerische Alleinstellungsmerkmale und ich würde googlen müssen, um euch auch nur einen einzigen Song von ihr zu sagen, der vor diesem Jahr erschienen ist. Stand 2020 steht lediglich fest, dass sie ein absolut omnipräsenter Medienmagnet ist, der auf einmal Aufmerksamkeit einfordert und das überraschenderweise auch vordergründig durch ihre Musik. Die beiden Singles Physical und Don't Start Now, die in diesem Winter die Promophase ihrer zweiten LP Future Nostalgia anführten, waren eine wie die andere gigantische Hits, die eine Künstlerin zeigten, die mächtig Hunger auf den großen Durchbruch hatte und dafür auch die richtigen Songs schrieb. Und was allein musikalisch im Vorfeld dieser Platte los war, machte letztendlich auch mich sehr optimistisch, dass in der jungen Britin eines der Pop-Highlights der laufenden Saison schlummern könnte. Wobei man zumindest sagen muss, dass Dua Lipa dafür die richtige Einstellung zeigt, denn schon seinen ersten Durchläufen merkt man an, dass Future Nostalgia alles andere als ein Wegwerfprodukt ist. Die kompositorische Sorgfalt und Vielschichtigkeit, die für so gut wie jeden Song hier verwendet wurde, ist selbst für ein so prestigeträchtiges Mainstream-Projekt wie dieses auffällig und ich bin auf jeden Fall davon beeindruckt, wie diese Stücke klingen. Statt billigem Sampling und stromlinienförmigen Beats hört man hier tatsächlich aufwändige Arrangements und wann immer mal ein einzelnes Instrument etwas isolierter zu hören ist, muss ich darüber staunen, wie großartige es aufgenommen wurde. Und obwohl der Gesamtklang dieser LP am Ende trotzdem ziemlich High-End-mäßig und digital poliert daherkommt, werden diese einzelnen Komponenten am Ende nicht verschluckt und sorgen für einen sehr vielseitigen, detailverliebten Sound. Probs also auf jeden Fall schonmal für die Produktion, die im übrigen (und das macht die Sache fast noch erstaunlicher) eine Teamleistung von insgesamt zehn Kollaborateur*innen ist und damit der Faustregel, wonach viele Köche den Brei verderben, eindrucksvoll widerspricht. Das alles würde aber kein gutes Album ausmachen, wenn nicht auch das Songwriting stimmen würde. Doch keine Sorge, auch hier zeigt sich Dua Lipa schockierend souverän. Nicht nur sind fast alle Tracks unheimlich catchy und verfügen über großartige Hooks, auch ist die Melodieführung nicht selten sehr clever und manch ein Stück ist in seiner Struktur fast schon mehr als nur ein guter Hitsong. Erfreulich finde ich dabei auch irgendwie, dass die Britin dabei sehr euphorisch drauf ist, was die inhaltliche Seite angeht und hier wirklich gute Laune verbreitet. Dabei schafft sie es, genauso erwachsen und emanzipatorisch zu klingen wie Halsey, Kesha oder Lorde, nur eben ohne dabei die Mental Health-Schiene strapazieren zu müssen. Nicht, dass ich das prinzipiell verwerflich fände oder irgendjemandem bestimmte Emotionen absprechen möchte, ich finde es nur toll, dass es hier auch eine optimistische Version dieses Narrativs gibt, das nicht naiv oder blauäugig wirkt. Bestes Beispiel ist letztendlich ein Song wie Boys Will Be Boys, der sexistische Verhältnisse zwar anklagt, aber unterm Strich vor allem einen starken Empowerment-Charakter hat, der die Veränderung der Verhältnisse als erreichbares Ziel beschreibt. Und auch wenn Dua Lipa in Songs wie Physical oder Love Again ihre Sexualität feiert und unsterblich verliebt ist, geschieht das immer aus einer aufgeklärten Perspektive, die im Gegensatz zu Lolita-mäßigen Jungsfantasien steht. Und das, obwohl sie eigentlich echt keine gute Texterin ist. Wenn es auf Future Nostalgia eine große Schwäche gibt, dann sind das die mitunter doch sehr pretenziösen Lines, die gerade in Boys Will Be Boys und dem Titelsong auftauchen und die von eben diesem erwachsenen Songwriting häufig ein bisschen abtragen. Was schade ist, denn hier gibt es dann eben doch Momente, in denen ungründlich gearbeitet wurde und die LP nicht wie sonst selbst den letzten Schliff perfektioniert haben will. Das stört zwar nicht den Umstand, dass die meisten Tracks trotzdem noch übelste Banger sind und höllisch Spaß machen, nur vereiteln sie vielleicht das, was Future Nostalgia im Optimalfall gelingen wird: Mehr zu sein als ein trendiges Pop-Album. In vielerlei Hinsicht macht Dua Lipa dabei schon alles richtig. Sie arbeitet sehr sorgfältig, sie sorgt für gute Laune und sie ist obendrein extrem charismatisch. Es sind in meinen Augen solche Faktoren, die Platten wie Thriller, Purple Rain oder Pet Sounds über Jahre so attraktiv machen. Nicht dass ich sagen würde, dass diese LP schon in dieser Liga spielt, aber diese junge Engländerin weiß zumindest, was es dafür braucht und sie hat keine Angst, es einzusetzen. Und wegen solcher Sachen werden Leute Popstars. Jetzt wissen wir es.



Hat was von
Pharell Williams
G I R L

Lizzo
Because I Love You

Persönliche Höhepunkte
Don't Start Now | Cool | Physical | Pretty Please | Hallucinate | Love Again | Break My Heart

Nicht mein Fall
Good in Bed | Boys Will Be Boys



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