Donnerstag, 23. Januar 2020

Kommen Sie ruhig näher

[ persönlich | therapeuthisch | distanzlos ]

Bereits seitdem Halsey in der öffentlichen Pop-Diskussion ein Thema wurde, hat sie ständig versucht, spannender zu sein, als sie eigentlich ist. Ihr Durchbruchsalbum Badlands von 2015 bekam von vielen Leuten außerhalb der Laufkundschaft vor allem deshalb Aufmerksamkeit, weil es den reichlich schwammigen Begriff "New Americana" für sich beanspruchte (obwohl darauf im wesentlichen billiger Radiopop zu hören war), und als das nicht funktionierte, probierte die Sängerin zwei Jahre später, für mehr oder weniger die gleiche Musikrichtung den Anspruch einer Indie-Edge zu proklamieren. Das alles lief zugegeben ein bisschen unglücklich, weil sie als stinknormales Pop-Sternchen eigentlich gar nicht mal sooo furchtbar klang und ihre Unbeliebtheit in meinen Augen eher daher rührte, dass sie unbedingt etwas anderes sein wollte, als sie war. Beziehungsweise, weil sie eben trotz großer Begriffsansprüche nicht die Ambitionen besaß, tatsächlich die Komortzone des Streamingfreundlichen Schalala zu verlassen. Und dass letzteres noch passiert, damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Halsey war in ihrer bisherigen Art und Weise einfach nicht die Art Künstlerin, die es schafft, musikalisch so aus der Haut zu fahren wie eine Kesha oder eine Beyoncé in den letzten Jahren und die am Ende lieber ihre Spotify-Kohle einfährt, als kreative Risiken einzugehen. Womit ich, wie wir hier sehen, ziemlich falsch lag. Denn was die Sängerin mit diesem dritten Album anstellt, ist im wesentlichen genau das, was sie uns bereits seit ihrem Debüt zu verkaufen versucht. Manic ist in seiner Struktur zwar nach wie vor ein Pop-Album, doch ist es eines von denen, die inhaltlich wirklich Tiefgang haben und durch einen kommerziellen Sound nicht die künstlerischen Absichten ihrer Schöpferin kaschieren. In vielerlei Hinsicht kennt man diese Art und Weise schon von ihren Kolleg*innen: Platten wie Thank U, Next von Ariana Grande, Melodrama von Lorde oder Rainbow von Kesha zeigten in den letzten Jahren viele Übergänge von Mainstream-Protagonistinnen in persönlichere und komplexere Territorien, die nicht selten auch schmerzhaft waren und musikalisch neue Türen aufschoben. Manic ist in diesem Sinne ein ziemlich ähnliches Projekt, in dem Halsey ihre persönlichen Dämonen konfrontiert, sich inhaltlich öffnet und dabei auch in Kauf nimmt, keine Hits zu schreiben. Im Prinzip folgt sie damit zwar immer noch einem gewissen Trend, allerdings scheint das hier nicht die wesentliche Motivation zu sein, sondern der Anspruch, ein intimeres und in gewisser Weise sogar therapeuthisches Album zu schreiben. Und im großen und ganzen hat sie damit hier auch Erfolg. Viele Songs fühlen sich an wie seelische Entschlackung und die Befreiung von bösen Geistern, die schon lange überfällig waren. So ist You Should Be Sad eine gepfefferte Ansage an einen ungesunden Exfreund, Still Learning handelt von der Schwierigkeit der Selbstliebe, 3AM von inneren Hilferufen und Finally // Beautiful Stranger ist ein vorsichtig-intensiver Lovesong über das Neuerlernen von Vertrauen. Bei alldem hat man nicht selten das Gefühl, Halsey wirklich ungefiltert zu hören, was an manchen Stellen sogar ein bisschen zu viel Information ist, aber auch immer wirklich stark. Es ist ein völliger Gegensatz zu ihren bisherigen Platten, auf denen sie wirkte wie ein charakterloser Bot, den Streamingdienste entwickelt hatten, um Features für Chainsmokers-Platten zu generieren. Auf Manic entwickelt sie nicht nur plötzlich Charakter, sondern auch eine Art Distanzlosigkeit, die ich ihr im Leben nicht zugetraut hatte. Was außerdem erstaunlich ist, weil sie hier plötzlich richtig gute Songs schreibt. Vor allem die Texte sind von einer Emotionalität und Tiefe, die ich bei ihr noch nie zuvor gehört habe und zeigen sie als immens talentierte Songwriterin. Die Tatsache, dass die Platte auch musikalisch diese Bewegung mitmacht und mehr auf eine narrative Komposition setzt, macht das noch besser und geht in manchen Titeln tatsächlich in Richtung Americana und Country. Und dass es mit 3AM oder Without Me trotzdem noch veritable Hits gibt, ist ein schöner Nebeneffekt. Vor allem schätze ich aber, dass sich Manic anfühlt wie eine Platte von Halsey, und nicht von einem Produktionsteam (obwohl es das bestimmt trotzdem gab). Die Sängerin nimmt mit ihrer Persönlichkeit und ihrem Talent hier endlich den Platz ein, den sie schon lange hätte haben können und ist der eindeutige Souverän auf diesem Album. Weshalb auch alles, was davon abgeht, irgendwie komisch wirkt. So gibt es zum Beispiel einige Skits, in denen Sprachsamples abgespielt werden, die absolut nichts zum Gesamtkontext beitragen und auch die wenigen Features fühlen sich auf der Platte irgendwie deplatziert an. Solche Dinge nehmen den Fokus von der Protagonistin der Songs weg und reißen mich mitunter ziemlich unwirsch aus der Ästhetik des ganzen. Letztendlich sind das aber nur oberflächliche Kratzer in einem sonst sehr kohärenten Erlebnis, das Halsey hier bietet und das mich ganz klar positiv überrascht hat. Von allen Künstler*innen, von denen ich so ein Album für möglich gehalten hätte, war sie garantiert eine der unwahrscheinlichsten und doch macht sie nicht nur ein gutes, sondern eines der besten Projekte dieser Art und Weise in den letzten Jahren. Und vor allem eines, mit dem sie gezeigt hat, dass sie eben doch mehr sein kann als ein Popstar.



Klingt ein bisschen wie
Lorde
Melodrama

Kacey Musgraves
Golden Hour

Persönliche Highlights
Ashley | Graveyard | Forever... (Is A Long Time) | Dominic's Interlude | 3AM | Without Me | Finally // Beautiful Stranger | Still Learning | 929

Nicht mein Fall
Alanis' Interlude | Suga's Interlude

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