Donnerstag, 9. Januar 2020

Retro-Review: Top Gear

[ einfach nur traurig ]

Wenn man über Platten von früher schreibt, ist es immer einfach und angenehm, sich dabei allgemeine Klassiker oder Platten vorzunehmen, die man irgendwie gut findet. Geheimtipps von früher auszugraben ist eine edle Aufgabe, für die Dankbarkeit der Lohn ist und man kann nebenbei noch mit seinem nerdigen Nischen-Bad Taste auftafeln. Eine Win-Win-Situation für alle beteiligten. Trotzdem entscheide ich mich mit diesem Artikel dafür, genau das Gegenteil zu tun und hier über ein Album zu schreiben, das ich als historische Schmach der Popmusik empfinde. Nicht etwa aus Häme oder weil ich irgendwen diskreditieren will, sondern einfach nur, weil es irgendwie spannend ist. Und weil es in diesem Fall nicht mal unbedingt die Beach Boys sind, die diesen Mist verzapft haben. Aber um zu verstehen, warum ich diese LP so furchtbar finde, ist es wichtig, den zeitlichen Kontext von Little Deuce Coupe zu verstehen und was es hieß, damals in einer Rockband zu spielen. 1963 war das nämlich noch eine ziemlich undankbare künstlerische Betätigung. Zwar konnte man damit inzwischen schon ordentlich Kohle machen und Hits haben, doch war Rockmusik noch immer als eine eher adoleszente Form von Popmusik verschrien. Wer ernst genommen werden wollte, machte Soul oder Blues und am besten gleich Jazz. Das Betätigungsfeld der Rockbands war damals nicht nur stilistisch klein, sondern auch der reinen Unterhaltung im Sinne von Spaß vorbehalten. Es war lustige Musik, zu der man tanzen ging und feierte und bei der ein erfolgreicher Song im besten Falle mit den Worten "there's a brand new dance and it goes like this" begann. Viel davon hatte auch damit zu tun, wie sehr sich die Musikindustrie in den jungen Fünfzigern in die Bewegung einkaufte. Sobald der erste Schockeffekt weg war, stellte man fest, dass man mit der anarchistischen Teufelsmusik Geld machen konnte und baute sehr schnell gefügige Muster um die tagesaktuellen Stars. Bester Stellvertreter dafür war wie immer der ehemalige Elternschock Elvis Presley, der Anfang der Sechziger zu einem stromlinienförmigen Filmstar verkommen war und sich in fünfeinhalbtausend furchtbaren Beach-Party-Filmen sein erstes ernstzunehmendes Drogenproblem zulegte. Jung und wild war okay, wenn die Einnahmen über einen absehbaren Zeitraum gesichert waren. Und in diese musikindustrielle Vorhölle fielen zur etwa selben Zeit auch die Beach Boys. Mit ihrem surf-inspirierten Do-Wop-Sound und den unbeschwerten Lyrics über kalifornische Sommer passten sie perfekt in den damaligen Trend-Mischmasch aus Surfrock-Hype und besagten Beach-Party-Filmchen. Und dass dieses Potenzial in den ersten beiden Jahren ihrer Karriere bis zum letzten Tropfen aus ihnen herausgemolken wurde, zeigt sich allein in den Albumtiteln: die Longplayer Surfin' Safari, Surfin' USA, und Surfer Girl erschienen mehr oder weniger innerhalb eines Jahres und bis auf die jeweiligen Leadsingles ist keine der Platten wirklich der Rede wert. Man hört ihnen in jeder Faser an, dass sie schlagerige Sellout-Platten sind, die mit billigsten Mitteln den Surf-Hype ausnutzen und die Beach Boys als reines Trendprodukt vermarkten sollten. Dass sie genau das nicht sein wollten, zeigte sich aber allmählich. Und als künstlerischer Alleingestalter oblag es im Sommer 1963 erstmals Brian Wilson, den Quotenpunk zu markieren und vorsichtig zu äußern, doch nicht immer nur Songs übers Wellenreiten schreiben zu wollen. Das Label lenkte ein, wollte aber den zielgruppenorientierten Goldesel Beach Boys nicht freilassen, weshalb schnell ein Alternatives Gimmick gefunden war. Bereits auf Surfer Girl (das wenige Monate vorher erschienen war) hatte Wilson mit Little Deuce Coupe und Our Car Club zwei Songs über Autos geschrieben, die die jungen Leute ja auch genz gerne mochten. Weshalb die Beach Boys jetzt eine Platte über Autos machen sollten. Wie großartig das ganze ausging, kann man sich lebhaft vorstellen. Der Großteil von Little Deuce Coupe klingt wie der enervierende Monolog eines Tuning-Freaks, der unschuldige Leute damit belästigt, welche ultraleichten Chromfelgen er sich letzte Woche hat aufziehen lassen. Passend dazu geht es in Songs wie Ballad of Ole' Betsy oder Spirit of America um teils sehr emotionale Beziehungen zum fahrbaren Untersatz, ums Mädchen aufreißen mit schicken Schlitten und um Autoclubs. Lyrisch gesehen ist das hier schlimmer als eine ausführliche Lektüre der ADAC Motorwelt, zumal die Beach Boys eben auch so aalglatt und nett sind und noch nichts von der verruchten Attitüde eines Easy Rider haben. Auch kann man den Texten anhören, dass sie sehr mit der heißen Nadel genäht sind und mit Ach und Krach das dämliche Albumkonzept aufrecht erhalten. Das wirklich traurigste und unschönste an Little Deuce Coupe ist aber, wie viel Talent und musikalische Hingabe an diese Platte verschwendet wurde. Denn obwohl sie inhaltlich kompletter Humbug ist, ist sie auf eine Art auch das erste Album der Beach Boys, auf der ihr musikalisches Können durchschimmert. Kompositorisch und klanglich gesehen ist das hier bei weitem nicht das schlimmste, was Wilson und seine Jungs verbrochen haben, im Gegenteil: Viele Hooks hier sind nicht übel, die Mono-Produktion ist gut gealtert,  die Gitarrenmotive sind spannend und zum ersten Mal glänzen hier LP-übergreifend die grandiosen Do-Wop-Vokalharmonien, die damals schon Markenzeichen der Band geworden waren. Mit einem Cover von Bobby Troups A Young Man is Gone spielt das Quintett einmal seine vollen A Capella-Qualitäten aus und klingt dabei sogar richtig classy und No-Go Showboat ist eines der schönsten Beispiele für den von Wilson komponierten Falsettsatzgesang. Wäre es nicht um die furchtbaren Texte, dieses Album könnte ein Geheimtipp ihrer Diskografie sein. Und das ist dann wieder so ein Punkt, wo man sich fragen kann, was gewesen wäre. Hätten die Beach Boys von Anfang an die Möglichkeit gehabt, sich auch inhaltlich so auszudrücken wie zu ihren besten Zeiten, hätten wir heute vielleicht nicht ein Pet Sounds, sondern zehn. Denn zum einen ist hier das künstlerische Handwerkszeug bereits vorhanden, zum anderen ist Brian Wilson zu diesem Zeitpunkt bereits Hauptkompositeur und ausführender Produzent in Personalunion. Das Rezept für die "großen" Beach Boys-Jahre ist also da. Das einzige, was im Weg stand, waren Plattenfirmen, die mit dieser Band schnelles Geld machen wollten. Wäre Wilson die ganze Schafferei nicht drei Jahre später zu Kopf gestiegen, wäre es vielleicht so weiter gegangen und wir hätten bis heute kein God Only Knows oder Good Vibrations. Und da soll nochmal jemand sagen, die Sechziger waren musikalisch so viel besser.



Klingt ein bisschen wie:
Elvis Presley & the Jordanaires
Something for Everybody

Dick Dale & His Del-Tones
Surfer's Choice

Persönliche Highlights:
Little Deuce Coupe | Car Crazy Cutie | Cherry, Cherry Coupe | 409

Nicht mein Fall:
Be True to Your School | Spirit of America | Our Car Club

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