Montag, 27. Januar 2020

Von Ewigkeit zu Ewigkeit

[ geduldig | verrucht | atmosphärisch ]

Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, Patchouli Blue wäre nicht die Platte, auf die ich mich in diesem Jungen Jahr bisher am meisten gefreut habe. Spätestens vor zwei Wochen merkte ich das sehr deutlich, als die eigentlich für den zehnten Januar geplante Veröffentlichung um fast einen halben Monat verschoben wurde und ich das erst mitbekam, als ich gerade zum ersten Mal reinhören wollte. Und nachdem es nun inzwischen sechs Jahre keine neue Musik mehr von Bohren & der Club of Gore gegeben hatte, können auch diese 14 Tage schon mal extra weh tun. Seis drum, inzwischen sind die ja auch ausgesessen und die letzten Tage konnte ich mir nun endlich ausgiebig Zeit nehmen, das neue Produkt aus Mülheim an der Ruhr zu studieren. Ich hatte mir bis zum Release die Maßgabe gesetzt, keinen der zuvor erschienenen Teasertracks anzuhören, um das Album in seiner Ganzheit zum ersten Mal zu hören, (was nach der Terminschiebe-Frustration nicht mehr so gut klappte), dennoch gab es eigentlich wenig zu spoilern. Wie die Musik dieser Gruppe klingt, könnte man inzwischen ebenso gut wissen wie dass diese sich in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verändert hat. Bohren spielen düsteren, langsamen und nokturnalen Cool Jazz in Trio-Besetzung, für den irgendjemand sehr cleveres mal den Namen Darkjazz erfunden hat, der ihnen seitdem anhängt und dem sie alle Ehre machen. Federführendes Instrument ist dabei wie immer das rauchige Saxofon von Christoph Clöser, wobei auch Vibraphon, Orgel, Gitarre, Piano und sogar digitale Drones und Drumcomputer zum Einsatz kommen. Das alles vermengt sich bei den Mülheimern traditionell zu einer sehr schwerfälligen, aber auch extrem atmosphärischen Soundkulisse, die nach zwielichtigen Bars, Winternächten in der Großstadt und verlorenen Seelen klingt. Bohren waren darin schon immer unglaublich gut, zuletzt 2014 auf dem ganz besonders ambienten Piano Nights, das eine meiner Lieblingsplatten der vergangenen Dekade ist. Die Gefahr daran, so langfristig und solide seinen Stiefel zu spielen ist natürlich, dass man sich irgendwann zwangsläufig wiederholt und neue Ideen nicht immer Platz haben. Bohren umschiffen dieses Falle bereits seit ihren ersten Platten sehr gekonnt, teilweise durch ein sehr überschaubares Release-Muster, teils durch Kleinigkeiten, die sie an ihrem Sound verändern. Um die unterschiedlichen Charaktere ihrer Alben auszumachen, muss man dennoch sehr genau suchen, denn oberflächlich sind sie bereits seit Anfang der Nullerjahre auf einem sehr geradlinigen Klangkonzept unterwegs. Und meine erste Reaktion auf Patchouli Blue war auch dementsprechend: Es ist halt ein Bohren-Album. Ja gut. Davon gibt es inzwischen ja schon ein paar mehr. Was macht dieses hier nach sechs Jahren so besonders? Und meine Antwort darauf ist bis jetzt eigentlich: Nichts. Die Band ist hier nach wie vor sehr in ihrer Komfortzone, spielt ihr übliches, äußerst träges Kammerflimmern und überzeugt durch geduldiges musikalisches Worldbuilding. Die vielen Details, die das hier speziell machen, findet man erst nach mehrmaligem Hören und mit den entsprechenden Kopfhörern. Da gibt es wunderschöne Vibraphon-Passagen, herrlich flirrende Drones im Hintergrund, ein paar geniale Gitarrenparts und Piano-Einlagen, die hier ein subtiles Knistern einbringen. Dass Bohren in manchen Songs das sonst omnipräsente Saxofon weglassen, wirkt sich ebenfalls positiv auf die Vielseitigkeit der Platte aus. Und wenn man diesen Mikrokosmos einmal erforscht hat, haben Stücke wie Sag mir wie lang, Tief gesunken oder der Titeltrack sogar so etwas wie Wiedererkennungswert. Natürlich muss man das aber auch wollen. Ich kann absolut jede*n verstehen, der*die den Mülheimern auf diesem Album Monotonie und Wiederholung vorwirft, denn das ist hier ein wesentlicher Faktor, der durchaus nerven kann. Und ich würde definitiv sagen, dass Patchouli Blue nicht an ein Sunset Mission oder Mitleid Lady herankommt. Die technisch und kompositorisch cleveren Kniffe, die so viel Wirkung erzeugen, sind notwendige Veränderungen, ohne die diese LP praktisch deckungsgleich mit solchen Platten wäre. Klar wäre es auch falsch zu sagen, dass Bohren hier langweilig klingen, denn ihre Musik ist nach wie vor extrem stimmungsvoll und gut gemacht, nur wird das ganze langsam zur Masche. Und darüber kann auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, dass sie ein halbes Jahrzehnt nichts gemacht haben. Hier spielen sie das übliche Muster nochmal richtig gut, aber die Monotonie kann gerade eine Band wie sie nicht ewig mit Kleinigkeiten abschütteln. Und ich bin gespannt, ob und wie sie das hinkriegen wollen. Also in frühestens fünf Jahren dann.



Klingt ein bisschen wie
Oiseaux-Tempête
Ütopiya?

John Coltrane & Milt Jackson
Bags Meets Wes

Persönliche Höhepunkte
Total Falsch | Patchouli Blue | Deine Kusine | Vergessen & Vorbei | Sollen es doch alle wissen | Tief gesunken | Zwei Herzen aus Gold | Sag mir wie lang | Meine Welt ist schön

Nicht mein Fall
Verwirrung am Strand

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