Samstag, 18. Januar 2020

Der Weisheit letzter Schluss

[ entschleunigt | meditativ | beruhight ]

Eine ziemlich doofe Sache, die sich wahrscheinlich nie ändern wird, ist die Art und Weise, wie nach dem Tod berühmter Künstler*innen deren verbliebenes Schaffen bis zum letzten Furz von ihren Labels vermarktet wird. Schon seit den Anfängen der Musikindustrie ist das posthume Veröffentlichen von teils minderwertigem Archivmaterial der verschiedenen Protagonisten äußerst gängige Praxis und gerade in den letzten Jahren, in denen es einige (mitunter sehr jung verstorbene) gefeierte Musiker*innen zu betrauern gab, haben wir einige besonders unschöne Plünderungen mitbekommen. Aus den zu Lebzeiten überschaubaren Diskografien und Lil Peep und XXXtentacion wurde zuletzt in Rekordtempo das letzte Quäntchen aufgenommener Tracks gemolken, mit Nipsey Hussle passiert es gerade noch und auch dem erst vor wenigen Wochen verstorbene JuiceWRLD wird es in den nächsten Monaten und Jahren sicherlich nicht anders ergehen. Jemand, der hingegen bisher ziemliches Glück mit der Verwertung seines Erbes hatte, ist Mac Miller. Seit seinem tragischen Ableben im Sommer 2018 wurde von seinem Archivmaterial so gut wie komplett Abstand genommen und sehr behutsam damit umgegangen. Tatsächlich ist das einzige, was seit der LP Swimming kurz vor seinem Lebensende erschien, ein Feature-Part auf dem Debüt der Free Nationals vor ein paar Wochen. Und dass jetzt, anderthalb Jahre später, erstmal die Platte erscheint, an der Miller bis zuletzt noch arbeitete, ist ebenfalls alles andere als invasiv. Mit Jon Brion stellte Circles sogar der Typ fertig, der wesentlich an den ersten Sessions mitwirkte und für den Rapper schon lange ein wichtiger Kreativpartner war. Na klar gibt es im Video zur Leadsingle Good News ein paar tränendrüsige Handyaufnahmen aus den letzten Tagen im Leben des Mac Miller, aber um festzustellen, dass dieses Album kein kalkulierter Cash Grab ist, muss man es sich eigentlich nur anhören. Denn unter allen Platten des Künstlers aus Philadelphia ist diese mit sicherlich die am wenigsten kommerzielle. "Glück" hat man mit diesem Rapper nachträglich ja insofern, dass er zum Ende seiner Karriere hin tatsächlich Songs schrieb, die eine gewisse Weisheit in sich trugen. Swimming war als sein kreativer Schlussstrich für mich vor allem deshalb so schmerzhaft, weil Miller darauf viel über mentale Gesundheit und psychische Klarheit spricht und man dabei tatsächlich das Gefühl hat, dass er auf dem Weg der Besserung war. Circles als geplantes Gegenstück dazu setzt diese Ideen an manchen Stellen nun fort und ist dabei noch selbstbewusster und in sich ruhender als der Vorgänger. Die Texte hier wirken mitunter wie die eines altersweisen Jedimeisters, der den Weg der Erleuchtung gefunden hat und an seine Schüler*innen weitergibt. Die Untertöne von Aufgekratztheit und Depression, die Swimming an vielen Stellen noch hatte, sind hier sehr reduziert und machen stattdessen Botschaften der Selbstliebe und der Gelassenheit Platz. Eine Trendwende, die sich auch musikalisch fortsetzt. Mehr noch als auf seinen letzten beiden Platten sucht Miller hier die Nähe zum R'n'B und singt fast mehr als er rappt. Einige der Aufnahmen sind dabei etwas vernuschelt, was höchstwahrscheinlich daran liegt, dass die meisten Songs zum Zeitpunkt seines Ablebens wenig mehr als Demos waren, doch trägt das mitunter viel zur Intimität des Albums bei. Auch sind die Instrumentals, in die Jon Brion die Gesangsspuren einbettet, maximal gediegen und untermalen die entschleunigten Texte nochmal besonders schön. Banger gibt es hier gar nicht, nur mal ein paar aufmüpfige Synth-Lines oder einen funkigen Bass-Lick. Der überwiegende Teil besteht aus sehr minimalistischen R'n'B- und Jazz-Flächen, die zum Teil fast ambient wirken. Es ist am Ende sicherlich ein bisschen Studiomagie dabei, aber was hier gesamtklanglich rüberkommt, ist ein sehr friedvoller und harmonischer Eindruck der letzten künstlerischen Ausflügen von Mac Miller. Und egal ob das nun so stimmt oder nicht, erinnerungskulturell ist das auf jeden Fall eine schöne Sache. Man merkt Circles sehr deutlich an, dass es eben nicht von den erbverwaltenden A&Rs bei Warner am Reißbrett entworfen wurde, sondern von Vertrauten und Freunden des Verstorbenen. Man glaubt, dass es sehr wahrscheinlich die künstlerische Idee weiterführt, die dieser zu Lebzeiten davon hatte und somit nicht nur als Verbeugung, sondern auch als Nachhall seiner eigenen Vision funktionert. Klar wird in den nächsten Jahren noch das unvermeidliche Album mit den Demos und unveröffentlichen Tracks kommen und klar wird Warner es sich nicht nehmen lassen, jeden Stein nach noch einem verschollenen Part von Miller umzudrehen. Mit Circles haben sie aber vorerst gezeigt, dass sowas auch taktvoll geht und die Erinnerung an einen verschiedenen Künstler nicht bedeutet, dass man den größtmöglichen Batzen abfangen muss, solange die Trauerphase noch andauert. Und das macht dieses Album am Ende nicht nur gut, sondern vorbildlich. Hoffentlich schneiden sich davon in Zukunft ein paar Labels eine Scheibe ab.



Klingt ein bisschen wie:
Milo
A Toothpaste Suburb

Tirzah
Devotion

Persönliche Highlights:
Circles | Good News | I Can See | Everybody | Woods | Hand Me Downs | Hands | Surf | Once A Day

Nicht mein Fall:
That's On Me

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