Montag, 20. Januar 2020

Das Grauen, das Grauen

[ aggressiv | technisch | umfangreich ]

Ich würde nicht sagen, dass ich jemals ein großer Fan von Eminem war oder irgendwann mal besondere Vorfreunde auf eines seiner Releases verspürte, doch seit einigen Jahren muss ich leider sagen, dass ich sogar so etwas wie das Gegenteil empfinde, wenn eine neue LP von ihm erscheint. Ein Album von Slim Shady bedeutet 2020 nämlich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, dass es anstrengend wird. Sein kompletter Output in der letzten Dekade waren enervierende, mehr als einstündige Großprojekte, auf denen man sich einen verbitterten bösen Mann anhören konnte, der mit einer unfassbar nervtötenden Art zu performen auf schlechten Beats über irgendwelche Sachen schimpfte. Wenn es gut lief, hatte er dabei eine inhaltliche Agenda und äußerte nur kontroverse Meinungen, die niemand hören wollte, wenn es schlecht lief, versuchte er damit auch noch, Radiohits zu schreiben. So oder so war es aber schon lange eher aufwändige Pflichtarbeit, sich Eminem-Platten anzuhören als Neugier oder Spannung. Und mit seinem neuesten Coup Music to Be Murdered By verhielt sich das ganz ähnlich. Als die LP vor einigen Tagen ohne Vorankündigung im Netz veröffentlicht wurde, war meine erste Reaktion ehrlich gesagt die Frage, ob das jetzt wirklich sein muss. Erst 2017 hatte Slim Shady mit Revival sein letztes äußerst mittelmäßiges Riesenprojekt auf uns losgelassen, das er dann zu allem Überfluss auch noch mit dem (zugegeben etwas besseren) Mixtape Kamikaze nur wenige Monate später fortsetzte. Zwar fand ich die beiden Platten nicht ganz so furchtbar wie anscheinend der Rest der Welt, dennoch waren sie meistens nur technisch gut, mieften reaktionär nach Midlife-Crisis und waren viel zu viel Material in zu kurzer Zeit. Noch so einem 65-Minuten-Brocken gegenüber unvorbelastet aufgeschlossen zu sein, fiel da immens schwer. Aber ich versuchte, der Sache etwas positives abzugewinnen und war dabei sogar überraschend erfolgreich, denn mit der Leadsingle Darkness lieferte Eminem Raum zur Spekulation. Der Track ist eine Art fiktiver innerer Monolog des Todesschützen von Las Vegas 2017, in dem es um innere Dämonen, Alkohol und Hass geht und der zwar an sich auch ziemlich kitschig ist, aber in eine interessante Richtung deutete. Wenn Shady hier solche Themen behandelte und das Album den Titel Music to Be Murdered By trägt, könnte sich hier eine Rückkehr zu den Horrorcore-Wurzeln des Rappers andeuten, was auf jeden Fall eine spannende Wendung wäre. Und ein bisschen hatte ich mit dieser Vermutung schließlich auch Recht, wobei der Weg dahin etwas holprig ist. Denn zunächst klingt die Platte eher so, als würde Eminem hier sein Narrativ der letzten beiden Projekte weiterführen. Direkt in der ersten Zeile des Intros Premonition springt er wieder auf seine bisherige Tour auf, sich heulsusig über den negativen Backlash von Kamikaze aufzuregen und hört damit auch erstmal nicht auf. So gut wie alles in den drei eröffnenden Songs zeigt Eminem als cholerischen schlechten Verlierer, der es jetzt definitiv allen beweisen wird und zwecks dessen trotzig komplexe Doubletime-Parts rappt. An diesem Punkt war ich beim ersten hören schon wieder komplett bedient, die gute Nachricht ist aber, dass damit der schlimmste Teil dieser LP vorbei ist und Shady danach wirklich ein paar Horrorcore-Songs aufgenommen hat. Der Übergang dahin ist mit dem forcierten Alfred Hitchcock-Interlude zwar etwas awkward und es hilft der Glaubwürdigkeit auch nicht gerade, dass der erste Track des grausamen Mord- und Totschlag-Parts mit einer Hook von Ed Sheeran beginnt, aber hey, wenigstens kommen ab jetzt die Inhalte. Und hier schafft es Eminem dann doch, mich positiv zu überraschen. Denn statt in seinen Songs in die üblichen Horror-Klischerollen zu schlüpfen, subversiert der Rapper das ganze ein bisschen und liefert Täterperspektiven, die wesentlich weniger überzogen und eher menschlich sind. Die des Terroristen in Darkness ist eine davon, doch wesentlich häufiger findet er hier die des "stinknormalen" geschiedenen Mittvierzigers, der betrunken Frauen im Stripclub belästigt und in Internetforen über den Verlust der Männlichkeit in unserer Gesellschaft schreibt. Tote gibt es dabei nicht immer, viel eher geht es um die verdorbenen Innenleben der Protagonisten und den sehr alltäglichen Horror, den sie verbreiten. Das ist teilweise viel härterer Tobak als irgendwelche blutrünstigen Splattergeschichten und zeigt außerdem, dass Eminem nach wie vor lyrisch relevant sein kann. Die Bereiche des privaten Grauens hat der Musiker inzwischen schon Jahre beackert, aber nie machte er damit so sehr ein Statement wie hier. Und würde MTBMB nur aus Stücken wie diesen bestehen, wäre es das beste Shady-Album seit mindestens einem Jahrzehnt. Das Problem ist nur, dass das nicht der Fall ist. Um die übertriebene Spielzeit von 65 Minuten auf dieser LP zu füllen, versammelt er hier zusätzlich einen riesengroßen Haufen überflüssiges Füllmaterial, das die Tracklist andicken soll, aber in Wirklichkeit eher verwässert. Songs wie Yah Yah, Marsh und No Regrets sind einfach nur unnötig und noch dazu vollgepackt mit ziemlich charakterlosen Features. Die Gästeliste dieses Albums mit Leuten wie Skylar Grey oder Royce da 5' 9' liest sich, als hätte Eminem ein paar der Leute seit 2009 im Keller eingesperrt und dass Anderson .Paak und JuiceWRLD hier dabei sind, tut ihnen echt nicht gut. Und über Instrumentals haben wir an diesem Punkt ja noch gar nicht gesprochen. Denn die sind hier, wie auf jedem der letzten Shady-Projekte, nicht weniger als eine Katastrophe. Wo man vor zehn Jahren noch den Vorwurf gebrauchen konnte, seine Beats würden sich an die billigsten Mainstream-Trends ranschmeißen, muss man 2020 feststellen, dass diese sich klanglich kaum verändert haben und immer noch Ende der Zwotausender hängen geblieben sind. Klar gibt es hier und da mal ein paar Alibi-Trap-Beats und strategisch platzierte Features, aber auch die können nicht darüber hinwegtäuschen, dass MTBMB durchweg furchtbar oll klingt. Und das ist hier wie bei allen neueren Alben von Eminem das absolut größte Problem. Setzt man die extrem niedrigen Standards an, die man von den Vorgängern dieser LP gewohnt ist, ist das hier vielleicht kein ganz so schlechtes Album mit wenigstens ein paar inhaltlichen Spitzen. Ganz objektiv ist es trotzdem noch ein furchtbar dröges, nerviges und viel zu langes Monster von Rap-LP, das zwei Jahre nach Revival kein Mensch mehr braucht. Und ich kann Eminem deshalb nur anflehen, sich mit seinem nächsten Projekt ein paar Jahre mehr zu lassen. Denn besser wird es mit ihm in absehbarer Zeit bestimmt nicht mehr, aber jede Saison halte ich so ein Ding langsam nicht mehr aus.



Klingt ein bisschen wie:
Tech N9ne
Something Else

Grim104
Das Grauen, das Grauen

Persönliche Highlights:
Those Kinda Nights | In to Deep | Little Engine | Farewell

Nicht mein Fall:
Premonition (Intro) | Unacommodating | Alfred (Interlude) | Darkness | Yah Yah | Marsh | No Regrets

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