Dienstag, 23. Januar 2018

Sackgassengeschichten





















Ich habe mir ehrlich gesagt ein bisschen eingemacht vor dieser Eminem-Besprechung, denn die Tatsache, dass ich mir damit Zeit gelassen habe, hatte auch ihre Nachteile. So nämlich war es mir möglich, schon im Voraus ganz viele der Reaktionen anderer Medien auf Revival auszusitzen und diese waren nicht gerade rosig. Das schlechteste Shady-Album seit langem soll es sein, der Richtblock für den Rap God, der peinliche Beginn seines Alterswerkes. So etwas zu lesen und zu hören, bevor man die Platte überhaupt gehört hat, macht die Sache nicht gerade einfacher. Es schafft jede Menge Vorurteile, die die eigene Meinung über das, was Eminem hier tut, durchaus beschneiden können und vielleicht auch ein wenig verzerren. Ich bilde mir zwar ein, inzwischen ganz gut darin zu sein, über so etwas hinweg zu sehen, aber es klappt eben nicht immer. Und gerade in diesem Fall war es besonders verwirrend, hatte ich mich doch zum ersten Mal so wirklich auf einen neuen Longplayer von Slim Shady gefreut. Zwar bin ich weder ein Fan seiner letzten beiden "neuen" Alben Relapse und Recovery, die in meinen Augen beide furchtbar waren, noch seines Retro-Projekts Marshall Mathers LP 2, die ebenfalls höchstens so mittel war, doch diesmal hatte ich Hoffnung. Schuld daran war vor allem Eminems Leadsingle zu diesem Album, Walk On Water. Nicht nur war das Ding musikalisch ziemlich gut und das Feature mit Beyoncé mal ausnahmsweise kein totaler Reinfall, insbesondere die von Shady angesprochene Thematik überzeugte mich sehr. Wie der Rapper mit dem Älterwerden rang, die Konfrontation mit einer neuen Generation von Musikhörenden scheute, war extrem ehrlich und zeigte mal wieder, warum dieser Typ immer einer der großen Lyriker des Hiphop sein wird. Auch die zweite Single Untouchable fand ich eigentlich noch ganz in Ordung, danach wurde es aber mehr und mehr Brühe. Ein Blick auf die Feature-Liste, zugegebenermaßen noch nie eine der größten Stärken von Eminem, ernüchterte mit Namen wie Skylar Grey, Kehlani und Pink (nicht Ed Sheeran, der kann wenigstens mit Rappern zusammen arbeiten!) und mich beschlich doch das Gefühl, Revival würde genauso kramig werden wie seine beiden Vorgänger. Und in gewisser Weise wurde dieses Gefühl schon bestätigt, in gewisser Weise aber auch nicht. Zum einen muss ich sagen, dass diese Platte sehr wohl dem aktuellen Output von Eminem entspricht und keinerlei große Neuerung darstellt, zum anderen macht er wenigstens das hier ein kleines bisschen besser. Sicher, dieses Album ist eine schlecht gemachte, viel zu Mainstream-orientierte, nicht zeitgemäß klingende Konstellation von Tracks, die eine Zielgruppe abspricht, die hierzulande die Toten Hosen abdecken, aber es ist nicht alles verloren. Es gibt relativ wenige Stücke, die so offenkundig peinlich sind wie so viele auf Recovery und zudem einige, die wirklich funktionieren: Besagtes Walk On Water sorgt auch auf dem Album noch immer für Gänsehaut, Alicia Keys Refrain auf Like Home ist ein echter Lichtblick und wer einen Track wie Remind Me nicht feiert, hat in meinen Augen keinen Humor. Ich würde den Pop-orientierten Songs hier zwar durchaus wünschen, dass Eminems Flow weniger sperrig wäre, doch auch das ist hier schon besser geworden. Ganz zu schweigen davon, dass seine lyrischen Themen noch immer krass wie sonstwas sind. In Bad Husband seziert er aufwendig die Beziehung zu seiner Exfrau und ist dabei auch mit sich selbst nicht zimperlich, im zweiten Teil von Untouchable geht über Missstände im US-amerikanischen Polizeisystem sehr ins Detail und Like Home ist eine Born in the USA-artige Abrechung mit den Idealen der Kandidatur von Donald Trump. Und im Vergleich zu früheren Alben kontert Eminem dabei wenig mit technischen Nonsens-Tracks wie Remind Me oder Framed. Auf der einen Seite ist das Schade, da diese Art von Songs immer meine Favoriten in seiner Diskografie waren, auf der anderen Seite braucht diese LP das auch. Dass Shady ernster wird, ist wichtig, denn es hilft, die ganze Sache hier künstlerisch wenigstens ein bisschen abzurunden. Und obwohl er hier musikalisch nichts an seiner stilistischen Sackgassen-Situation ändert, macht Eminem wenigstens sein bestes schlechtes Album seit Jahren. Wenn man mich fragt, ist Revival insgesamt gelungener als seine letzten zwei bis drei Longplayer und vielleicht das beste Material, was er seit Relapse gemacht hat. Das bedeutet relativ wenig, doch es erleichtert mich ein wenig. Denn es bedeutet, dass ich mich zumindest nicht direkt zum Pool der Hater dieser Platte stellen muss, sondern das relativieren kann. Mein Interesse an Eminem ist dadurch zwar nicht gestiegen und ich würde nach wie vor davon Abstand nehmen, diese LP zu empfehlen, doch sie ist für mich nicht die Katastrophe, für die ich sie unwissentlich hielt. Und irgendwie ist das ja schon so etwas wie eine gute Nachricht.






Persönliche Highlights: Walk On Water / Untouchable / Remind Me / Bad Husband / Tragic Endings / Framed

Nicht mein Fall: Believe / Chloraseptic / Heat / Offended / Need Me / Castle

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen