Montag, 22. Januar 2018

Ich fühl mich Disco!





















Die Besprechungen für 2017 haben wir auf diesem Format zwar noch immer nicht ganz hinter uns (zumindest zwei Stück würde ich gerne noch verfassen), doch der um eine Woche verfrühte Post zum neuen Album von Ty Segall ist mittlerweile eine Tradition, die ich nicht missen möchte. Wie schon seit vielen, vielen Jahren hegt der Garagenrocker aus Kalifornien das Ritual, seine neue LP einige Tage vor Release auf der Radioseite NPR zu streamen, nur um dann guten Gewissens deren Existenz bis auf weiteres aus dem World Wide Web zu tilgen. Und damit ich meine Berichterstattung darüber nicht auf ein YouTube-Video mit falscher Tracklist und grauenvollem Sound stürzen muss, nutze ich dieses Angebot regelmäßig. Am Ende des Tages ist Ty Segall ja auch einer der Musiker*innen mit der besten Kartei auf diesem Format, der mich von Anfang an begleitet und dem ich die nötige Aufmerksamkeit entgegen bringen möchte. Was im Falle von Freedom's Goblin zum wiederholten Mal eine zu hundert Prozent richtige Entscheidung war. Denn nicht nur erleben wir hier eine der bisher größten und längsten Platten des Kaliforniers mit fast 75 Minuten Spielzeit, auch überrascht Segall hier ein weiteres Mal stilistisch. Man möchte glauben, dass man nach Platten wie Emotional Mugger oder dem selbstbetitelten Vorgänger aus den letzten Jahren mittlerweile darauf vorbereitet sei, dass dieser Typ vielfältig und experimentell sein kann, aber mit dieser LP trifft er zumindest mich ein weiteres Mal aus der kalten. Freedom's Goblin ist höchstwahrscheinlich seine erste Arbeit, die sich so wirklich ein bisschen aus der Retrorock-Komfortzone herausbewegt, in der Segall mittlerweile auch die letzte Nische abgetastet hat und aus der heraus er jetzt plötzlich ein Faible für Soul und Disco entwickelt hat. Man hätte es schon ahnen können, als der Kalifornier im Dezember des letzten Jahres eine Coverversion des Hot Chocolate-Klassikers Everyone's A Winner veröffentlichte, aber dass die Sache nicht nur ein typischer Ulk des Songwriters war, macht es ja umso schöner. Man darf das jedoch nicht falsch verstehen: Freedom's Goblin ist trotz allem immer noch primär eine Rockplatte, nur eben im stark verschwitzten Pailettenoutfit. Segall bringt hier als zusätzliche Instrumente haufenweise Orgeln, Bläser und vor allem Backing Vocals mit ein, die vorher unvorstellbar in seinem Sound war und überall im Songwriting dieser Tracks findet man die Fingerabdrücke von Kool & the Gang, Diana Ross, Marvin Gaye und James Brown. Zusammen mit dem nach wie vor stark ausgeprägten Garagen-Einschlag des Songwriters, sowie mit seinem inzwischen ebenfalls weithin bekannten Sockenschuss entsteht hier eines der sicherlich spannendsten Alben seiner Diskografie. Man könnte es ein bisschen mit dem kreativen Anfall vergleichen, den Beck damals auf Midnight Vultures hatte, obwohl dann doch eher im Ethos als in Klang und Komposition. Und auch wenn diese Platte wirklich coole und sehr witzige Ideen hat, ist sie nicht im eigentlichen Sinne besser als der übliche Standard bei Ty Segall. Sicher, es gibt hier fantastische Nummern wie den Opener Fanny Dog oder das an Achtziger-Pop erinnernde Despoiler Or Cadaver, doch genauso produziert diese LP jede Menge Füllmaterial. Balladen wie Alta oder Cry Cry Cry fehlt eindeutig der Tiefgang, Meaning setzt den Hörenden unförmige Klumpen Synkopen-Beats und Noiserock-Eskalation vor und Shoot You Up ist im Prinzip nochmal Break A Guitar vom letzten Album (Das ist was anderes als bei And, Goodnight, wo er sich tatsächlich selbst covert). Man muss der Fairness halber sagen, dass Ty Segall all diese Dinge gut über die Zeit bringt und die 75 Minuten, die die Platte braucht, an keinem Punkt zu lang werden, doch mehr als ein ziemlich gutes Endprodukt kommt unterm Strich dabei nicht rum. Das ist nicht schlecht, aber es ist für diesen Typen auch nichts besonderes mehr. Und langsam habe ich keine Lust mehr, auf dieses eine Album zu warten, bei dem er endlich mal alles richtig macht. Zu lange kamen jetzt immer wieder LPs, die an sich gut waren, aber bei denen immer noch der Schliff fehlte und bei denen man über einige echt schlampige Stücke nicht hinwegsehen konnte. Ich weiß, dass Ty Segalls Game zurzeit ziemlich on top ist, aber langsam würde ich darauf verzichten können, wenn dafür mal wieder ein Sleeper oder ein Goodbye Bread kommt. Der geisteskranke Songwriter in diesem Menschen beginnt langsam, Patina anzusetzen. Und das ist eine Sache, die mal so gar nicht zu ihm passt.






Beste Songs: Fanny Dog / Rain / Despoiler or Cadaver / My Lady's On Fire / You Say All the Nice Things / the Last Waltz / She / Talkin' 3 / I'm Free

Nicht mein Fall: Meaning

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