Donnerstag, 6. September 2018

Dynamite Deluxe






















Ich hatte keine Lust, über dieses Eminem-Album zu schreiben. Das hatte ich in den letzten Jahren eigentlich nie wirklich. Denn wenn Marshall Mathers zuletzt eines gewesen ist, dann eine Kraft, die den modernen Hiphop aufhält. Seine neuen Platten sind seit Relapse durchweg Mist, sein früher als coole Edgyness durchgehender Charakter ist inzwischen eher in Richtung ernsthaft problematische Nervigkeit abgeschwenkt, er ist offen homophob, seine politisch ganz gut gemeinten Tracks sind nur noch peinlich und er beleidigt unentwegt diejenigen Rapper*innen, die er einst inspiriert hat. Von einem schwierigen Künstler ist er seit seinem Comeback mehr und mehr zu einem unmöglichen Künstler geworden. Und wenn es etwas gibt, das diesen Eindruck unterstreicht, ist es dieses neue Album. Kamikaze überhaupt als solches zu bezeichnen, ist ehrlich gesagt schon ziemlich gut gemeint, ein dreiviertelstündiger Rant würde es wahrscheinlich eher treffen. Gerade mal neun Monate nach seinem letzten "richtigen" Longplayer Revival erscheint dieser aus dem Nichts und feuert mehr oder weniger in alle Richtungen: Die schlechten Kritiken an der letzten Platte, die aktuelle US-amerikanische Politik, alte Freund*innen und vor allem auch junge Kolleg*innen, insbesondere aus der Cloudrap-Fraktion. Charakterlich benimmt sich Eminem hier wie ein fünfzigjähriger arbeitsloser YouTube-Til Schweiger-Troll, der im Internet fiese Sachen über alle erzählt, die kritische Kommentare unter seine Wutreden schreiben. Mit grundsolidem Rap-Beef hat das hier wenig zu tun, Mathers ist meistens einfach nur eine beleidigte Leberwurst. Als solche jedoch, das muss man fairerweise sagen, ist er erstmals seit Ewigkeiten wieder ziemlich gut. Meiner Meinung nach ist Kamikaze sogar sein bestes Album seit dem Comeback. Und das ist keinesfalls unlogisch. Denn der große Vorteil dieser LP ist eben gerade, dass es so ein schnelles, unverfeinertes Projekt ist. Die Formel hier besteht tatsächlich zumeist einfach nur aus Lyrics plus (Trap-)Beat, prominente Feature-Gäste gibt es nirgends (der größte Name ist mit Royce Da '5 '9" eigentlich ein ziemlicher Witz), ebensowenig wie große Pop-Crossover-Hymnen. Kamikaze ist eine Platte für die Ansage, mit der Eminem so roh und ungeschönt endlich wieder strahlen kann. Und dass er damit kein Problem hat, sollte klar sein. Lyrisch und Flow-technisch ist Mathers trotz aller verlorenen Größe noch immer eine Hausnummer, die sich hier in keiner Sekunde zurückhält. Klar sind die Inhalte fragwürdig, doch dass Em krasse Punchlines hat, ein überzeugendes Narrativ aufbauen kann und einfach mal gigantisch performt, kann man absolut nicht bestreiten. So gut wie jeder Song hier kann diese Dinge vorweisen und obwohl ich mich dafür ein bisschen schäme, muss ich zugeben, dass ich mich davon sehr unterhalten fühle. Eminem erinnert mich hier in vielen Punkten sehr an einen Samy Deluxe, der hierzulande auch gegen die neue Rap-Generation wettert, echt unsympathisch auftritt und sich permanent viel wichtiger nimmt als er ist, aber eben auch alle Nase lang in die Cypher kommt und dort rücksichtslos rasiert. Man mag ihn deshalb nicht weniger, doch Respekt vor der Leistung ist auf jeden Fall da. Genauso jetzt mit Kamikaze: Eminem bleibt bis auf weiteres ein Ekelpaket, das ekelhafte Sachen sagt und ekelhafte Musik macht, weil er das gerne möchte. Es gibt aber nach wie vor diese leuchtenden Momente, in denen er tatsächlich der große Rap-Gott ist, für den er sich immer hält. In diesem Szenario zeugt davon sogar ein ganzes Album. Klar hat auch das immense Schwächen und musikalische Entscheidungen, die ich doof finde. Doch es ist das erste Mal seit dem Comeback, dass ich bei diesem Typen sagen kann, dass die positiven Eindrücke überwiegen. Und 2018 ist das in meinen Augen schon eine kleine Sensation.







Persönliche Highlights: the Ringer / Greatest / Lucky You / Normal / Not Alike

Nicht mein Fall: Stepping Stone / Kamikaze / Venom

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