Sonntag, 19. Januar 2020

Wir waren nie Stars

[ eloquent | oldschool | verspielt ]

Die Comeback-Projekte von Dendemann, den Beginnern und Fünf Sterne Deluxe haben in den letzten Jahren den Trend schon deutlich abgezeichnet: Wenn man mit seinem alten Boombap-Rucksack-Projekt aus den Neunzigern nochmal richtig absahnen will, dann macht man das am besten jetzt. Die Nostalgie-Welle für Deutschrap aus dem "Golden Age" hält auch 2020 nach wie vor an, die Hiphop-Presse rollt ehrerbieterisch den roten Teppich für jeden verlorenen Sohn aus und durchgehaltene Acts wie Megaloh, Max Herre, Blumentopf, Afrob und Samy Deluxe (vor allem Samy Deluxe) profitieren gerade mächtig von den endlich wieder steigenden Bilanzen. Die Leute, die vor 25 Jahren Bong rauchend mit Baggies auf Parkplätzen chillten, bilden heute als werdende Sparkassenvorstände die kaufkräftige Kernkundschaft dieser Projekte und sind im Zweifelsfall die, die auch mal auf die physische Kopie zurückgreifen, statt zu streamen. Doch ist Deutschrap-Comeback dabei nicht gleich Deutschrap-Comeback. Was bei Dendemann, Trettmann und Max Herre den Nimbus von altehrwürdigen Veteranen hat, die mit Erfahrung zurückkehren und künstlerisch echt noch was beitragen können, miefte es bei Samy oder Fünf Sterne Deluxe eher nach der Motivation, nochmal ein paar Groschen aufzusammeln, solange die Nachfrage noch da ist. Und dann gibt es noch Gruppen wie Kinderzimmer Productions, wo man sich fragt, ob es hier überhaupt einen relevanten Nostalgie-Faktor gibt. Das Duo aus Ulm, bestehend aus den MCs Quasi Modo und Textor war von 1994 bis 2007 aktiv und brachte insgesamt sechs Longplayer auf den Markt. In dieser Zeit waren sie mit ihrem straighten Boombap-Sound und den eloquent-verschwurbelten Texten zwar Teil der klassischen Bewegung, doch waren damit selbst Nischen-Acts wie Eins Zwo oder Icke & Er bekannter geworden als sie. Für ihr neuerliches Comeback hat das sowohl Vorteile als auch Nachteile: Ein Minuspunkt ist, dass Todesverachtung To Go definitiv nicht die Aufmerksamkeit und vor allem nicht den Reibach einfahren wird, den ein Advanced Chemistry oder SamTV Unplugged abbekommt. Ein paar Fans von früher freuen sich sicherlich und vielleicht könnte eine ganz lukrative Tour dabei rausspringen, doch den großen Hype werden sie hier ganz bestimmt nicht generieren. Doch eben daraus entspringt auch der große Vorteil für dieses Album: Kinderzimmer Productions sind an relativ wenige Erwartungen gebunden und können ihr Projekt wesentlich lockerer angehen. Todesverachtung To Go ist somit tatsächlich das Ergebnis zweier alter Kumpels, die sich nach 12 Jahren mal wieder zum gemeinsamen jammen treffen. Und dieser Aspekt macht am Ende auch einen großen Teil der Qualität dieser Platte aus. Quasi und Textor klingen hier immer noch wie vor einem Vierteljahrhundert, ihre Performance ist die selbe trockene und wortgewandte Boombap-Klassik wie schon immer und man hat dadurch tatsächlich das Gefühl, dass sich seit 2007 nichts verändert hätte. Auch die Tatsache, dass in keiner Silbe auf diesem Album der Umstand des Comebacks erwähnt wird, sondern die beiden einfach fröhlich drauf los wortakrobatieren, nimmt viel unnötigen Überbau raus und macht stattdessen Platz für die noch immer sehr guten Songs des Kollektivs. Und natürlich sind Tracks wie Bäng, Es kommt in Wellen und Boogie Down dann nicht zeitgemäß und klingen etwas fantavieresk, aber man merkt dafür, was für einen Spaß Kinderzimmer Productions damit noch immer haben. Sowas kann und will ich ihnen einfach nicht übel nehmen. Das beste hieran ist ja gerade, dass sie durch die Art und Weise, wie sie einfach keinen Fick geben, selbst unfickbar werden. Todesverachtung To Go versucht weder, dem Konzept der beiden etwas völlig neues zu entlocken, noch den Nostalgie-Faktor künstlich zu erzwingen. Und klar wäre es ambitionierter, hier etwas neues zu probieren und sich künstlerisch weiterzuentwickeln, aber wenn der Hype eh nicht da ist, kann man auch einfach wie früher einfach nett Musik zusammen machen. Ich finde das sehr verteidigenswert. Kinderzimmer Productions schaffen damit zwar nicht unbedingt das beste Deutschrap-Comeback der letzten Jahre, aber das souveränste. Zumindest war mit dieser ganzen Nummer noch niemand so cool wie die beiden hier.



Klingt ein bisschen wie:
Eins Zwo
Gefährliches Halbwissen

Shaban & Käptn Peng
Die Zähmung der Hydra

Persönliche Höhepunkte:
Bäng | Attacke | Lecker bleiben | Boogie Down | Es kommt in Wellen | Todesverachtung to Go | Come On, Sign Up

Nicht mein Fall:
Oh Yeah

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