Montag, 13. Januar 2020

Zehn Jahre später: the Future is Bulletproof

[ konzeptuell | knallig | laut ]

Schon in den letzten Artikeln erwähnte ich immer wieder mal, dass der Anfang der letzten Dekade für mich persönlich eine Zeit mit vielen prägenden musikalischen Erfahrungen war, in der ich haufenweise neue Sachen entdeckte und mehr oder weniger zu dem Pop-Nerd wurde, der ich heute bin. Eine Zeit, in der ich zum ersten Mal sowas wie einen Musikgeschmack entwickelte, der über Sachen aus dem Radio oder von MTV (ja, ich hatte sehr lange noch kein Internet) hinaus ging und in dem ich meine ersten richtigen Lieblingsplatten hatte. Und angesichts der schockierenden Anzahl an Jahren, die seitdem verstrichen sind und den immensen Veränderungen, die auch mein Geschmack seitdem gemacht hat, möchte ich in den kommenden Monaten auf einige Platten zurückblicken, die mir damals sehr wichtig waren und mir ansehen, wie sie sich für mich verändert haben. Wobei das natürlich nur für eine bestimmte Sorte von Alben funktionert. So gibt es Sachen wie Plastic Beach von Gorillaz oder Tame Impalas Innerspeaker, die ich seitdem kontinuierlich gehört habe und zu denen ich keinen neuen Zugang brauche, weil ich sie zu vielen Zeitpunkten kenne. Hier soll es um die Musik gehen, die ich seitdem vergessen habe, die irgendwo in meinem Regal verstaubt und um die, die mir inzwischen vielleicht ein bisschen peinlich ist. Und welche Band könnte für so ein Experiment gerade besser passen als My Chemical Romance? Das Quintett aus New Jersey konnte man in den letzten zehn Jahren vor allem deshalb so gut ignorieren, weil es sie in dieser Zeit quasi überhaupt nicht gab. Mit dem hier vorliegenden Danger Days erschien 2010 das bis dato letzte richtige Album von ihnen, bevor sie 2013 ihre Trennung bekanntgaben. Zwar erschienen in der Zwischenzeit einige B-Seiten-Kompilationen und eine Greatest Hits-LP, doch waren MCR als aktive Band ziemlich lange passé und interessierten eigentlich auch niemanden. Zumindest bis im Oktober des vergangenen Jahres eine Reunion bekanntgegeben wurde und plötzlich alle wieder Fans waren. Dazu kommt erschwerend hinzu, dass sich im Zuge der jüngsten Emotrap-Welle viele Leute in meiner Altersgruppe wieder auf deren legendäre Emorock-Oper the Black Parade von 2006 berufen, die anscheinend für viele Künstler*innen ein wesentlicher Einfluss war und nicht zuletzt auch der Soundtrack so mancher Jugend. Ich für meinen Teil war zu diesem Zeitpunkt noch zu jung, um mich für sowas zu interessieren und auch später nie Emokind genug, um das aufarbeiten zu wollen, aber mit ihrem dritten Album kriegten mich My Chemical Romance dann trotzdem noch. Was mich an Danger Days damals vor allem neugierig machte, war die comichafte, schrille Ästhetik der Band (ich war damals schon großer Fan von Jamie Hewlett) und das Monster von Leadsingle, das auf den Namen Na Na Na (Na Na Na Na Na Na Na Na Na) hörte. Für die mir damals bekannten Verhältnisse im Rock waren MCR furchtbar unkonventionell und abenteuerlich. Noch dazu sollte das hier ein dystopisches Konzeptalbum werden und die Musikvideos, die dazu auf Viva liefen, sahen echt heiß aus. Was ich nicht wusste war, dass die Gruppe selbst das an diesem Punkt alles schonmal durch hatte. Besagter Vorgänger the Black Parade war ja bereits ein äußerst ambitioniertes Konzeptalbum und inhaltlich auch eines der besseren der Zwotausenderjahre, weshalb einige Fans bei Danger Days erstmal ächzten. Die neue, knallbunte und fetzige Marke von My Chemical Romance stand in krassem Kontrast zum timburtonesken Mallgoth-Klischee, das die Band bis dahin an den Tag legte und dass hier plötzlich Synthpop, J-Rock, Punk und Rock'n'Roll mit einbezogen wurden, schmeckte vielen gar nicht. Dabei ist das hier rein strukturell nicht anders als the Black Parade. Schon da gab es Einflüsse als Zirkusmusik und Vaudeville, die den paradigen Charakter des Albums unterstrichen und ein auf den Inhalt abgestimmtes Äußeres. Nur war die Zielsetzung hier eine völlig andere. Weil ich aber sowieso nie viel mit Emorock am Hut hatte, interessierte mich das damals nicht und ich war von Danger Days ziemlich begeistert. Für mich war es wie American Idiot, nur mit Laserkanonen und Zombies. Ziemlich bald nach Release kaufte ich mir die LP von meinem Taschengeld und hörte sie auch einigermaßen exzessiv. Tatsächlich muss ich aber sagen, dass ich damals eher das ganze Drumherum feierte als die tatsächlichen Songs und mir deshalb vieles von der Musik weniger gut in Erinnerung geblieben ist als Beispielsweise die Videos, die Outfits und die in den Clips erzählte Story. Und meinem jetzigen Geschmack nach zu urteilen, hätte es daher auch sehr gut sein können, dass ich Danger Days inzwischen scheiße finde. Zumindest die Sache mit der dystopischen SciFi-Rockoper war für mich bei der Wiederaufnahme eine ziemlich rote Fahne und dass MCR Pop-Punk für Teenager machen, ist immer noch so ein bisschen mein Eindruck. Entsprechend überracht war ich also, als sich herausstellte, wie gut diese LP nach wie vor für mich klingt. Zwar kann man nicht sagen, dass sie klanglich gut gealtert wäre, dazu klingen die Songs hier doch zu sehr nach den Zwotausendern und gefälligem Post-Green Day-Punkrock. Abgesehen davon muss man aber sagen, dass die Gruppe hier beeindruckende Arbeit leistet. Gerade was den erzählerischen Rahmen angeht, schaffen My Chemical Romance hier eine großartige Basis, indem sie das Album in den Kontext eines fiktionalen Piratensenders einbauen, der die einzelnen Tracks als Teil einer Sendung spielt und hin und wieder Handlungspunkte einstreut. Das wirkt kein bisschen zurechtgebogen, gibt dem Album trotz seiner vielschichtigen Musik einen gewissen roten Faden und hat mit dem kultigen Moderator "Dr. Death" auch noch einen sehr charismatischen Erzähler. Wie die Story hier dargestellt wird, ist nochmal ein ganzes Stück besser als auf the Black Parade und zeigt eindeutig, dass MCR das mit den Handlungssträngen drauf haben. Mir fallen wenige Konzeptalben ein, deren Ambitionen, eine Geschichte zu erzählen, der Musik so wenig im Weg stehen, wie das hier der Fall ist. Und wo wir schonmal bei der Musik sind: Auch die ist ziemlich Spitze. Danger Days ist ein sehr vielseitiges Rockalbum, das mit sehr verspränkelten Motiven und Einflüssen arbeitet. Es gibt Passagen, die nach Hardrock, Rock'n'Roll und Synthpop klingen und klangliche Anspielungen von At the Drive-In über Bruce Springsteen und U2 bishin zu den Pet Shop Boys. In Goodnight, Dr. Death gibt es sogar einen ausführlichen Auszug aus der US-amerikanischen Nationalhymne zu hören. Das ist jede Menge ausufernde Kreativität, die schnell in einem chaotischen oder zerfahrenen Projekt hätte enden können. My Chemical Romance schaffen es jedoch hervorragend, diese Auswüchse über ein gutes Songwriting und mithilfe der Story zu bündeln. Immer wieder gibt es Überraschungen und die Platte wird die langweilig, doch hat man auch nicht das Gefühl, von einem extrem ins andere geschubst zu werden. Schuld daran ist vor allem ein Kern aus ziemlich gut gemachten Popsongs wie Sing (weiß heute auch niemand mehr, was das damals für ein Hit war), Save Yourself, I'll Hold Them Back und the Only Hope for Me is You. In bester Green Day-Manier paaren sie diese dann mit ein paar saftigen Punkrock-Peitschen wie Vampire Money, Party Poison oder dem großartigen Na Na Na, das nach zehn Jahren kein Quäntchen Energie verloren hat und schaffen sich so ein stabiles Grundgerüst, auf das sie nachher jene kreativen Sperenzchen schrauben, die das Gesamtergebnis so besonders machen. Dass das alles so reibungslos funktioniert, ist einigermaßen erstaunlich, denn wie gesagt, die Grundidee der LP ist keine einfache. Und dass ausgerechnet diese Band das hinbekommt, woran so viele andere Gruppen vor und nach ihr gescheitert sind, ist definitiv nicht selbstverständlich. Und mal ganz nebenbei fallen mir nicht viele Story-Konzeptalben ein (geschweige denn mit dystopischen SciFi-Motiven), die so unverkrampft und cool klingen wie Danger Days. Was am Ende vielleicht sogar bedeutet, dass ich die Platte jetzt ein kleines bisschen mehr mag als vor zehn Jahren. Verändert haben sich dabei lediglich die Gründe, warum ich das denke. Wo ich mit 13 vor allem auf die wilde und futuristische Ästhetik des Albums stand, bin ich jetzt gefesselt von seiner kompositorischen Klasse und dem genial ausgearbeiteten Konzept. Und sollten My Chemical Romance nach der gerade vollzogenen Reunion tatsächlich wieder zusammen ins Studio gehen, werde ich jetzt garantiert nicht mehr den Fehler machen, ein kommendes neues Projekt zu unterschätzen. Und im übrigen: Auch nach zehn Jahren Pause ist es nicht unmöglich, dass wir von ihnen noch das versprochene zweite Danger Days-Album kriegen.



Klingt ein bisschen wie
Twenty One Pilots
Trench

Green Day
American Idiot

Persönliche Highlights
Na Na Na (Na Na Na Na Na Na Na Na Na) | Bulletproof Heart | Sing | the Only Hope for Me is You | Party Poison | Save Yourself, I'll Hold Them Back | S/C/A/R/E/C/R/O/W | Destroya | Good Night, Dr. Death | Vampire Money

Nicht mein Fall:
-

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