Donnerstag, 7. Dezember 2017

Get On Your Boots!

Egal wie man es sieht und egal wie sehr irgendjemand noch Fan von ihnen ist, es fällt extrem schwer zu leugnen, dass U2 im Jahr 2017 eine schwierige Band sind. Ihr musikalischer Output während der letzten Dekade war kostant so lala, mit ihrer iTunes-Album-Geschenkaktion vor drei Jahren machten sie sich wenige Freunde als erwartet und seit kurzem ist bekannt, dass selbst Bono, der Hohepriester der Gerechtigkeitstümelei im Pop-Zirkus, gerne mal etwas bei seiner Steuererklärung schummelt. Wer die Iren heutzutage noch vorbehaltlos geil finden will, muss schon sehr viele Hühneraugen zudrücken. Dennoch ist der generelle Shitstorm, der schon seit einer ganzen Weile auf U2 herabregnet, in meinen Augen nur bedingt gerechtfertigt. Denn dass sie musikalisch noch einiges auf dem Kasten haben, ist für mich eine Tatsache. Im Gegensatz zu anderen Bands ihrer Generation, die schon seit Ewigkeiten kreativ absterben, rappelt sich dieses Quartett immer wieder auf und probiert irgendwas ziemlich cooles und zeitgemäßes. Und auch wenn das auf dem letzten Album Songs of Innocence von 2014 nicht so wirklich fruchtete, muss man ihnen das anrechnen. Die von euch, die mir da widersprechen, muss ich fragen: Wie viele von euch haben denn ihren Part auf Kendrick Lamars XXX gefeiert? Na bitte! Selbst wenn man den nicht mochte, musste man zugeben, dass U2 keine der Bands sind, die die Augen vor jungen Künstler*innen verschließen, sondern zumindest versuchen, sich auf diese einzulassen. Und auf einem Album wie Songs of Experience merkt man das sehr deutlich. Die Iren machen hier eine moderne Mainstream-Platte im besten Sinne, die nichts anderes will, als sich so perfekt wie möglich in die Pop-Landschaft von 2017 zu assimilieren und wenn man mich fragt, gelingt ihnen das auch sehr gut. Zwar könnte man argumentieren, dass die stilistischen Elemente, die sie dafür aufwenden, hemmungslos bei anderen coolen Künstleri*innen wie Frank Ocean, den Black Keys oder Kendrick Lamar geklaut sind (Diese LP dürfte sogar die erste sein, auf der U2 Ideen von Coldplay klauen statt andersherum), doch wenigstens das können sie sehr gut. Und sich Inspiration von zeitgenössischen Acts zu holen, macht die herbstlichen Karriereabschnitte von Leuten wie David Bowie oder Björk ja gerade so interessant. Ziemlich ähnlich ist es hier: Die Iren nutzen Impulse aus der modernen Popmusik, um ihrem eigenen, festgefahrenen Stil ein wenig neues Leben einzuhauchen, wobei das Ergebnis überraschend gut ausfällt. Songs wie das nach R'n'B anmutende Love is All We Have Left, das rockige Red Flag Day oder American Soul, in dem Kdot sein Feature-Gegenstück zu XXX einbringt, sind wirklich nicht übel. Mit You're the Best Thing About Me gibt es sogar einen Track, der es schafft, ein beachtliches Stückchen der großen Achtziger-Gloria heraufzubeschwören. Und bei einigen der Nummern hätte man gar nicht mehr gedacht, dass U2 das noch hinbekommen. Songs of Experience ist ein Album, für das sich ausnahmsweise mal niemand schämen muss und dass die Iren als durchaus solide und geschmackvolle Band zeigt, die weiß, was sie tut. Mit diesem Ergebnis im Kopf muss ich sagen, dass die Platte natürlich dennoch alles andere als perfekt ist und definitiv nicht für jeden Geschmack geeignet. Dass wir es hier mit einer sehr pathetischen, mitunter kitschigen Formation zu tun haben, sollte klar sein und Songs of Experience ist da keine Ausnahme. Gelegentlich wird es davon einfach ein bisschen too much und U2 driften komplett in den Schlager-Modus ab, reimen "soul" auf "rock and roll" und schreiben besserwisserische Hymnen über die Kinder in Afrika. Ohne diesen Ballast geht es eben scheinbar nicht mehr bei dieser Band und das ist es auch, was es diesem Album manchmal ziemlich schwer macht. Der Vorteil ist aber, dass ich hier endlich mal eine LP höre, bei der besagter Ballast nur einen relativ geringen Prozentsatz der Tracks ausmacht und nicht den Hauptteil. Allein das reicht schon aus, damit Songs of Experience für mich das beste U2-Album in den letzten zehn Jahren ist, mal ganz abgesehen vom Beweis, dass es überhaupt noch ein ansatzweise gutes U2-Album geben kann. Bono und Kollegen zeigen, dass sie 2017 vielleicht nicht die besten Vorbilder sind, aber wenigstens machen sie ein bisschen coolere Musik. Und ein Teil von mir findet das auf irgendeine verkorkste Weise genau richtig.





Persönliche Highlights: Love is All We Have Left / You're the Best Thing About Me / Red Flag Day / the Showman (Little More Better) / the Blackout

Nicht mein Fall: Get Out of Your Own Way / American Soul / Summer of Love

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