Montag, 11. Dezember 2017

Willkommen im Dschungel

Dass ich mit meiner Aufmerksamkeit immer etwas verhalten bin, wenn es um das Besprechen von Live-Platten geht, hat sich in der Vergangenheit schon des öfteren als Nachteil herausgestellt. Mitunter verpasst man durch solches Verhalten sehr gute Alben von Acts, die man im Studio gar nicht soo spannend findet oder versäumt es, bekanntes Material mal ganz anders zu hören. Da ich aber nicht unbegrenzt viel Kapazität habe, Musik zu besprechen und ich ein Studioalbum, zumindest im Blog-Kontext, in fast jedem Fall einer Live-LP vorziehe, wird sich das wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Und dann passieren eben solche Dinge wie gerade jetzt, wo ihr Mitte Dezember den Artikel über eine Platte lest, die bereits Anfang Mai erschienen ist. Der Grund dafür ist ziemlich einfach: Ich hätte es mir nicht verzeihen können, dieses Jahr keine Besprechung über Meeting of the Waters zu schreiben. Weil dieses Album mich fasziniert hat, weil es etwas ziemlich neues und revolutionäres präsentiert und weil dieses Stück Musik für mich persönlich die Art und Weise, wie ich über Live-Aufnahmen denke, ein kleines Stück erweitert hat. So etwas passiert selbst jemandem wie mir, der ständig sehr viel Musik hört, nicht oft und deswegen musste ich nochmal ausführlich darüber reden (einen kurzen Exkurs darüber gab es bereits in meinem Post zur neuen LP von Avey Tare). Die Geschichte der Platte ist wie folgt: Weil Animal Collective eine coole Band sind, die es auch im neuen Jahrtausend noch schafft, die Grenzen dessen, was moderne Musik bedeutet, regelmäßig zu pushen, reisten die beiden Mitglieder Geologist und Avey Tare im Sommer 2016 in den Amazonas, um dort gemeinsam zu jammen. Das besondere dabei war, dass die beiden sich dazu nicht in ein Studio verzogen und perfekt abgemischt loslegten, sondern sich mit ihrem Equipment Mitten in den Dschungel setzten und dort aufnahmen, inklusive aller aufkommenden Nebengeräusche. Das heißt, dass neben der Musik an sich hier auch ein ständiger Pegel an quasi "natürlichen Field Recordings" zu hören ist, wie zum Beispiel von Wasserläufen, Bäumen im Wind, Insekten, Vögeln und diversen anderen Tieren, die jede Menge zusätzliche Atmosphäre erzeugen. Was viele in der Musik also eigentlich als Störfaktor für hochwertige Aufnahmen empfinden, nutzen Animal Collective hier ganz bewusst. Der Amazonas ist mit Sicherheit eine der geräuschvollsten natürlichen Umgebungen der Erde und liefert eine Klangpalette, die sehr einzigartig ist und den beiden Musikern viel bietet, um es in ihren Songs zu verarbeiten. Und das mit dem Verarbeiten meine ich tatsächlich auch so, denn die Geräusche einfach nebenbei laufen zu lassen kann ja jede*r. Zwar ist im Live-Moment relativ wenig Einflussnahme möglich, doch besonders die ambient-psychedelischen Synth-Flächen von Geologist stellen einigermaßen eindrucksvoll die Bindung zwischen natürlicher Umgebung und menschgemachtem Kunstprodukt her. Avey Tare klimpert dazu relativ einfach gehaltene Gitarrensongs mit Gesang, wie man sie auch auf der Eucalyptus-LP hört, doch verschmilzt auch er in gewisser Weise mit der Umgebung, in der er spielt. Vor allem dadurch, dass weder Gesang noch Gitarre nicht extra mikrofoniert wurde, ist der offene Raum, in dem er sich befindet, irgendwie spürbar. Zwar sind seine Parts das führende strukturelle Moment hier, doch sie brechen nicht aus dem ambienten Schema aus. Und sie geben dieser Musik in ihrer minimalistischen Art einen gewissen Halt an traditionelle Hörgewohnheiten. So ist das Album am Ende zwar durchaus sehr experimentell, aber keineswegs schwer verdaulich. Ähnlich einem gut gemachten Chillout-Track bleibt es im Hintergrund und hält sich nicht an klassische Sound-Dogmen, ist aber dennoch weder unangenehm zu hören noch klanglich provokant. In meinen Augen ist Meeting of the Waters damit sogar zahmer als so manches Studioalbum von Animal Collective. Man kann es also auch locker hören, ohne sich für den ganzen Field-Recording-Audio-Spaß zu interessieren. Wobei dieser die LP für mich zu so einem großen Highlight macht. Zumindest meiner Information nach gab es bisher niemanden, der das Prinzip von Umgebungsgeräuschen so offensiv genutzt hat und in Musik eingeflochten hat wie Avey Tare und Geologist das hier tun. Ich bin keineswegs der Meinung, dass ab jetzt alle Live-Alben so klingen sollten wie das hier, doch rein als künstlerischer Ansatz ist Meeting of the Waters mit Sicherheit die Platte, die mich 2017 am meisten fasziniert hat. Auch sieben Monate nach ihrem Erscheinen habe ich immer noch nicht alle Facetten dieser Idee durchexerziert und ich gehe davon aus, dass ich damit noch einige Zeit meinen Spaß haben werde. Ganz nebenbei finde ich auch Animal Collective zum ersten Mal so richtig geil und verstehe, warum bei denen immer alle so ausflippen. Die Frage ist nur, ob ich das jetzt auch über ihre Studioalben denken kann.





Persönliche Highlights: Blue Noses / Man of Oil / Amazonawa/Anaconda Oppurtunity / Selection of A Place (Rio Negro Version)

Nicht mein Fall: -


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