Montag, 4. Dezember 2017

Dig Out Your Soul

Ich will ehrlich sein: Ich hätte wahrscheinlich keinen Grund gehabt, über die neue Platte von Noel Gallagher und seinen High Flying Birds in so ausführlicher Form zu sprechen, hätte es da nicht die Platte von Liam gegeben. Durch die vorher quasi unvorstellbare Tatsache, dass der kleine Bruder (mit dem Noel ja unweigerlich noch immer in gewisser Konkurrenz steht) ein wirklich großartiges Album veröffentlicht hatte, über das ich sprechen musste, erschien es einfach nur fair, dass jetzt auch er seine eigene Besprechung bekommt. Immerhin ist er bisher immer mein heimlicher Favorit unter den beiden Brüdern gewesen und hat mit dem selbstbetitelten Debüt der High Flying Birds 2011 die bis hierhin noch immer beste Post-Oasis-Projekt-LP gemacht. Dass ich für seine mittlerweile dritte Platte große Hoffnungen hatte, bedeutet das aber keineswegs. Schon lange vorher versagte der Brite zusehends dabei, an die Qualität der besagten ersten Platte anzuknüpfen und sein anfänglicher Ruf als die interessantere Hälfte des Gallagher-Clans sank in meinen Augen über die Jahre drastisch. Sein letzter Longplayer Chasing Yesterday von 2015 war ein furchtbar lahmes Unterfangen mit wenigen wirklich zündenden Ideen, dass über eine ganz solide Single nicht hinauskam und abgesehen davon mehr oder weniger komplett abflachte. Und obwohl Noel rein stilistisch hier wieder mehr Gas gibt als vorher, rettet ihn auch das diesmal nicht. Who Built the Moon? ist viel eher noch eine Ecke dämlicher als sein Vorgänger, weil die Versuche, ein cooles und experimentelles Album zu machen, hier einfach nur verzweifelt wirken. Um hier künstlerisch die Kurve zu kriegen, entwickelt der Brite hier einen Sound, der stark in die Richtung psychedelischer Popmusik geht und Tendenzen zu Disco, Madchester und Big Beat aufbaut. Eigentlich keine üble Idee, hat er doch in den Neunzigern bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht (als er als Songwriter mit den Chemical Brothers zusammenarbeitete) und nennt als Einflüsse regelmäßig Bands wie die Stone Roses oder Primal Scream. In der Umsetzung hier stellt es sich jedoch als die mit Abstand dümmste Idee heraus, die Noel seit langem hatte. Nicht nur, weil sie im Prinzip von Liam geklaut ist, der mit BE schon vor vier Jahren sein Madchester-Album gemacht hatte, sondern auch, weil das ganze einfach sehr gewollt klingt. Ungefähr so: Vor ein paar Wochen wurde der Song Holy Mountain kurzfristig zum viralen Meme, da jemand in der Band bei einem Fernsehauftritt eine Bastelschere als Begleitinstrument spielte. Und genau so angestrengt psychedelisch ist Who Built the Moon? auch musikalisch. Noel Gallagher spielt die gleichen langweiligen Stücke wie schon auf dem letzten Album, erweitert sie jedoch um ein paar vollkommen hirnrissige, "psychedelische" Effekte, die meistens nur stören, und kommt sich dabei vor wie Captain Beefheart. Der experimentelle Touch fungiert hier nur als das schöne Geschenkpapier, in den der Brite seine komplett unkreativen und farblosen Dadrock-Tracks einwickeln kann, um dann zu behaupten, er mache ja Kunst. Allerdings fühle ich mich von diesem Album am Ende des Tages weder herausgefordert noch unterhalten, sondern in den meisten Fällen einfach nur angeödet. Noel hat einfach keine guten Ideen mehr. Ich will jetzt auch nicht so tun, als wäre er damit der einzige. Sein werter Bruder hat dieses Jahr mit einer Platte abgeräumt, die Eins zu Eins klang wie das Oasis-Album, das nie erschienen ist, das ist auch nicht besonders originell. Nur hatte der eben gute Songs, während der andere hier scheinbar keine straighte Melodie mehr auf die Reihe kriegt. Es ist jetzt aber auch nicht so, dass mich das ärgern würde. Stand 2017 brauche ich keine hinreißende Platte mehr von jemanden, der schon so viele fantastische Songs geschrieben hat und dass Who Built the Moon? jetzt kein Morning Glory wird, war ja auch ein bisschen ahnbar. Allerdings hofft ein Teil von mir noch immer, dass irgendwann nochmal so eine LP wie die erste von ihm kommt, denn theoretisch hätte Noel noch das Zeug dazu. Dazu müsste er nur wieder ein paar vernünftige Songideen finden. Ich habe ja gehört, ein gewisser Liam Gallagher hat in dieser Hinsicht gerade Kapazitäten...





Persönliche Highlights: Holy Mountain / Interlude (Wednesday Pt. 1) / End Credits (Wednesday Pt. 2)

Nicht mein Fall: Fort Knox / It's A Beautiful World / Be Careful What You Wish For

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