Samstag, 23. Dezember 2017

Das war's 2017: Die besten Songs des Jahres

Okay ihr Lieben, es geht ans eingemachte! 25 Songs, ohne bestimmte Reihenfolge angeordnet, die ich zu meinen persönlichen Highlights der vergangenen 12 Monate zähle. Natürlich hat dieses ganze Jahr wie immer einen Haufen großartiger Tracks und die hier aufgezählten sind natürlich nur ein Bruchteil davon. Doch es sind die, zu denen ich im Laufe dieser Saison immer wieder zurückgekehrt bin und die mich über Wochen und Monate hinweg nachhaltig fasziniert haben. Die Stücke sozusagen, die von diesem Jahr am wahrscheinlichsten noch lange in meinem Gedächnis als Lieblingssongs zurückbleiben. Und 2017 waren das folgende:





LCD SOUNDSYSTEM
Call the Police
aus dem Album American Dream








Der beste Song des Comebacks von LCD Soundsystem ist kein Partytrack, keine biografische Murphy-Ballade und kein komplett kaputter Dancepunk-Brecher, sondern in meinen Augen eher so etwas wie eine heimliche Hymne. Eine glamouröse Sinfonie für die grauenvollen Zeiten, in denen wir leben und eine Ode an den Verfall der Gesellschaft, der sich momentan in allen Dingen zeigt. Der herrliche "Hurra, die Welt geht unter"-Spirit der New Yorker, der sich in den Lyrics zeigt, badet im schillernden Discopop, die Stimmung ist gleichermaßen episch und ausgelassen, wie bei einer Straßenparty mit brennenden Autos und Polizeisirenen im Hintergrund. Dabei ist auf diesem Track nirgends eine Spur von Weltschmerz, sondern nur noch von Dekadenz. Und im Prinzip beschreibt genau das ziemlich gut, wie 2017 die Einstellung vieler Menschen war und dass LCD Soundsystem dafür zur Stelle sind, passt sehr gut zu ihnen. Denn wenn schon tanzend in den Abgrund, dann wenigstens mit der besten Partyband der Welt.

 

REMO DRIVE
Art School
aus dem Album Greatest Hits








Die großen Stärken der jungen Band Remo Drive sind: Erstens Geschmack, zweitens Humor und drittens ein Händchen für sehr geile Giterrenlicks. Und alle drei dieser Qualitäten kommen direkt auf dem Opener ihres Debütalbums wunderbar zur Geltung: In einem Track, in dem ein geniales Riff nach dem anderen kommt und der sich an den besten Eigenschaften von Acts wie Weezer oder Sunny Day Real Estate bedient, singt Erik Paulson einen selbstironischen Disstrack über die eine Exfreundin, die eigentlich viel zu cool für ihn war. Das Ergebnis ist dabei dann nicht nur witzig für jemanden, der selbst schon mal in kleinen Kackbands gespielt hat, sondern hat tatsächlich einen gewissen Henry-Rollins-Meets-Scott-Pilgrim-Comedy-Faktor. Noch dazu sprechen wir hier von einem unglaublich tight performten Rocksong, der so viel Catchiness und Attitüde in seinen Melodien mitbringt, dass einem erstmal gar nicht auffällt, wie beschissen das ganze produziert ist. Schon ein großes kleines Kunststück, das Remo Drive hier abziehen.



KENDRICK LAMAR
Humble
aus dem Album Damn.








Was bitte wäre 2017 ohne diesen Song? In jedem verdammten Jahresrückblick bisher, im YouTube-Rewind, auf einem Dutzend Partys und in zigtausend Memes habe ich Humble allein in den letzten Wochen gehört und noch immer habe ich nicht genug von diesem Track. Aus meiner ganz persönlichen Sicht hat Kendrick Lamar hier ohne jede Frage den meisten Song der Saison geschrieben. Dass dem so ist, ist nicht nur schön für mich, sondern auch superwichtig für ihn. Denn obwohl Kdot bereits seit Jahren ein Rapper mit unglaublichem Renomée ist, fehlte ihm nach Grammy-Alben, Obama-Besuch und To Pimp A Butterfly bisher immer noch eins: Die eine große Single, die seine Existenz in die Chart-Historie meißelt und ihn für die nächsten Dekaden nicht mehr aus den Köpfen derer verschwinden lässt, die dieses Jahr bei vollem Bewusstsein miterlebt haben. Humble ist mit seinem trockenen Piano-Beat, seiner deftigen Hook und den unglaublich vielen zitierfähigen Zeilen definitiv ein solcher Song und wird in Zukunft für ihn wahrscheinlich so etwas sein wie California Love für 2Pac oder Hey Ya! für OutKast. Das ist schon mal feierwürdig.



GORILLAZ feat. BENJAMIN CLEMENTINE
Hallelujah Money
aus dem Album Humanz






Wie sehr mich das neue Album der Gorillaz enttäuscht und in meinen Grundfesten erschüttert hat, kann ich nicht häufig genug betonen. Allerdings muss ich ihm eingestehen, dass ich zumindest einen Song davon ziemlich genial finde und dieser quasi das ganze Jahr über bei mir lief. Zugegeben, ein bisschen liegt das auch daran, dass er so überhaupt nicht auf diese Platte passt. Zwischen den ganzen Pop-Sternchen auf Humanz wirkt ein Vokalakrobat wie Benjamin Clementine sehr distinguiert und erlesen und musikalisch hängt der Track viel mehr der Plastic Beach-Ära nach als der Rest der LP. Mit seinem gespiegelten Wertekomplex und seinem etwas Gospel-artigen Charakter ist er das Kronjuwel des neuen Songzyklus, der es hier tatsächlich mal schafft, eine gesellschaftskritische Message zu vermitteln und mit viel Seele und Verstand ausgestattet wirklich auch hochwertig zu klingen. Im großen Debakel von Humanz am Ende des Tages die Nummer, die beweist, dass Gorillaz nach wie vor großartig sein können und sich hier nur weit unter Wert verkaufen.



LOVE A
Unkraut
aus dem Album Nichts ist neu








Es sind starke Zeiten im deutschsprachigen Punkrock und 2017 gehörten die Kölner von Love A zu den stärksten Kräften der Szene. In Anbetracht der vorher eher introvertierten Ästhetik der Band ist das schon ziemlich überraschend, andererseits setzen sie ihre bisherigen Stärken hier nur anders ein. Musikalisch gewohnt ätherisch-treibend spielt die Rhytmusgruppe hier die perfekte Basis für Jörkk Mechenbiers angepisste Tiraden, die Deutschtümelei und Leitkulturdebatten direkt zwischen die Augen Treffen. Da ist die Rede von "Adolf Mustermann", vom "Weltmeister Kartoffelland" und von "Petry Heil" und wer Love A kennt, der weiß, so vulgär und direkt sind sie eher selten. Wenn von so einer Band so ein Song kommt, liegt der Gedanke nah, dass die Kacke schon ziemlich am Dampfen sein muss und aktuelle Befunde aus dem Alltag bezeugen ja auch nichts anderes. Gerade deshalb aber ein Stück Musik, das mir 2017 ganz besonders aufgefallen ist und die Stimmung dieses Jahres auf ganz besondere Weise einrahmt.



ENTER SHIKARI
Live Outside
aus dem Album the Spark








Am Anfang war es nur ein Guilty Pleasure, aber dann hörte man es öfter und öfter und mit jedem Mal, das dieser Song lief manifestierte sich mehr, dass Enter Shikari hier wohl einfach ihren vielleicht besten Song überhaupt geschrieben haben. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Der Track ist catchy wie nichts gutes, zeigt eine völlig neue Richtung in der Musik der Band aus Sheffield auf und hält mit jeder Sekunde unglaublich viel Spannung bereit. Die Tatsache, dass das wahrscheinlich alles gar nicht so ernst gemeint ist, kann man dabei erstmal außer Acht lassen. Denn was unterm Strich bleibt, ist der erste richtige Hit von Enter Shikari, dem völlig egal ist wie unzeitgemäß, bescheuert gecrossovert und albern er sich eigentlich gibt, weil er mit so einer Inbrunst performt ist, für welche man die Band einfach respektieren muss. Live Outside ist wahnsinnig mutig und dass das Experiment gelungen ist, macht die Sache umso schöner. Da können die Oldschool-Fans noch so laut rumjammern.



ONDATRÓPICA
Bogotá
aus dem Album Baile Bucanero








Das Bild von Kolumbien in Europa ist bekanntermaßen nicht unbedingt das beste, aber wenn man der Musik von Ondatrópica mal ein wenig zuhört, könnte man zu der Überzeugung gelangen, dass es dort ja eigentlich gar nicht so schlimm sein kann. In Bogotá besingt das dort beheimatete Musikprojekt seine Heimatstadt, die gleichzeitig die Landeshauptstadt des südamerikanischen Staates ist (mal ein bisschen Geografie auf dieser Plattform schadet ja auch nicht 😉) und kommt dabei aus der Schwärmerei nicht mehr heraus. Ähnlich einem New York, New York von Frank Sinatra oder einem Dickes B von Seeed ist dieser Song eine emotionale Ode an die eigene Hood, die Menschen und das Leben, die so eine Stadt erstmal verdient haben muss. Aber auch für diejenigen von euch, die vielleicht nicht von dort kommen, ist der Track definitiv eine Empfehlung, ist er doch ein Wunderwerk an schönen Latin-Folk-Momenten und als solcher auch ein ziemlich gewaltiger Ohrwurm. Für mich damit der unbestreitbare Sommerhit des Jahres.



FUTURE
Mask Off
aus dem Album Future








Dass Future in diesem Song seine Vergangenheit aufarbeitet, religiöse Themen anschneidet und sich auch mal kritisch mit der rauschmittelverseuchten Trap-Szene seiner Zeitgenossen auseinandersetzt, ist mir ehrlich gesagt ein bisschen egal. Denn es geht verdammt nochmal um die Flöte! Es ist witzig, wie sich in den letzten Jahren in dieser Rubrik stets genau ein Song mit einem markanten Flöten-Instrumental durchgesetzt hat und dieses Jahr kommt dieses nun mal von Future. Aber mal ernsthaft: Der von Southside und MetroBoomin aus einem Sample von Tommy Butlers Prison Song gesamplete Beat ist tatsächlich einer der stärksten des Jahres (in meinen Augen sogar der stärkste) und wurde nach der Veröffentlichung des Titels nicht umsonst zum Mainstream-kompatiblen Meme. Es ist vielleicht ein bisschen schade, weil es in diesem Track ja tatsächlich mal auch ein wenig um den Inhalt geht, aber sowas nennt man dann wahrscheinlich Glück im Unglück. So oder so einer der besten Songs des Jahres und definitiv auch eines der Highlights in Futures Diskografie. Darauf erstmal ein Molly!



ALVVAYS
Dreams Tonite
aus dem Album Antisocialites








Eigentlich könnte mal wieder jeder Song vom neuen Alvvays-Album auf dieser Liste stehen, aber wenn man nach der persönlichen Ohrwurm-Quote bei mir während der letzten Monaten geht, hat Dreams Tonite quantitativ einfach die Nase vorn. Die chillig-melancholische Synthpop-Nummer mit Twangle- und Sixties-Untertönen hat nämlich nicht nur die perfekte Hook, sondern eigentlich das perfekte Alles. Ab der ersten Sekunde des Tracks ist die Nummer unglaublich stimmig, unglaublich einlullend und leider Gottes auch gefährlich eingängig. Mit all seiner Kreativität, Catchiness und Coolness ist dieser Track einer der vielen Beweise dafür, warum die Band aus Vancouver seit ihrem Debüt vor drei Jahren noch einmal um Welten besser geworden ist und hier eines der besten Alben des Jahres abliefert. Wenn euch das hier also gefallen hat, dann dringend auch die anderen Sachen hören! Dauert auch nur 30 Minuten...



JOHN MAUS
the Combine
aus dem Album Screen Memories








Einer der wenigen elektronischen Tracks, die man diese Saison unter dieser Rubrik finden wird, aber dafür auch ein richtiger Kracher. Ich höre sehr viel Musik und kann ernsthaft von mir behaupten, einen Song wie the Combine noch nie zuvor gehört zu haben. Die Art und Weise, wie John Maus hier mit Synthpop umspringt ist dermaßen einzigartig und seltsam, dass ich jedes Mal wieder baff bin und mich in meiner Faszination bestätigt fühle. Dieser Track ist kein Elektro-Stück, er ist eine Sonate. Eine Fanfare an digitalem Instrumentarium mit einer Kompositionsweise, die eher an Klassik erinnert als an Pop. Das, was hier Keyboards machen, klingt wie Streicher und Bläser, nebenher tuckert ein simpler Beat und Maus selbst murmelt einige minimalistische Textzeilen, das Ergebnis dabei ist unglaublich. Ein gleichermaßen skurriler wie epischer Song und eine Zäsur in der Diskografie des John Maus. Hätte es dieses Jahr nur mehr solcher Dinger von ihm gegeben...



SLOWDIVE
Star Roving
aus dem Album Slowdive








Es brauchte diesen Winter nur wenige Takte der ersten Single vom neuen Album und ich wusste, dass Slowdive zurück sind. Nach 22 Jahren Abstinenz der Band klingt dieser Song, als wäre seit 1995 kein Tag vergangen und in diesem Falle ist das sogar durchaus ein gutes Zeichen. Diese leichte, direkte und unverschnörkelte Form von Shoegaze ist etwas, das mich in jedem Moment, in dem ich Star Roving wieder höre, absolut beeindruckt und für Leute, die wie ich auf hallende Gitarren, schwammig gemischtes Schlagzeug und Halbschlaf-Vocals stehen, ist dieser Track wahrscheinlich ein feuchter Traum gewesen. Es fühlt sich tatsächlich an, als würde sich an einem bewölkten Tag für exakt fünf Minuten und achtunddreißig Sekunden die Sonne durch den Dunst schieben, sodass man plötzlich überall Gänsehaut bekommt und einem schlagartig ein bisschen wärmer ist. Ich weiß, solche Vergleiche stehen im Shoegaze-Klischee-Bingo ganz weit oben, aber am Ende des Tages ist dieser Song ja irgendwie auch ein Klischee. Oder sagen wir es anders: Ein Klassiker.



BILLY WOODS
Bush League
aus dem Album Known Unknowns








Eigentlich müsste es ja Billy Woods featuring Blockhead heißen, denn letzterer ist der eigentliche Held dieses Songs. Mit seiner dreißten, souligen und knalligen Produktion und einem äußerst derben Sample schafft er es, den kantigen, rauhbeinigen und trägen Flow von Billy Woods in einen Song zu manövrieren, den man tatsächlich als Hit bezeichnen könnte. Es gibt eine stabile Hook, der Track geht ohne Verzögerung in die Vollen und bleibt die gesamte Zeit über sehr präsent. Woods seinerseits überzeugt auf der anderen Seite mit seinen wie üblich inhaltlich tief schürfenden Lyrics und Nerd-Punchlines, die sich in die neue Umgebung erstaunlich gut einfügen. Als Opener des neuen Albums zeigt es gleich am Anfang, wie fruchtbar die Zusammenarbeit der beiden Parteien hier war und pusht einen meiner Lieblingsrapper musikalisch in ganz neue Dimensionen.



DEAR READER
Oh, the Sky!
aus dem Album Day Fever








Noch ein sehr gelungener Albumopener, hier aber von der ganz anderen Sorte. Cherylin MacNeil, auch bekannt als Dear Reader, streift hier mit einem einzigen Song die etwas naive Aura, die ihre Musik zuvor immer umhüllte ab und macht deutlich, dass sie auf ihrem neuen Album Day Fever eine erwachsene Künstlerin geworden ist. Dabei opfert sie jedoch kein bisschen von der Vielseitigkeit, die ihre früheren Platten schon immer so toll machte. Mit einem halben Chor zur Eröffnung, elektronischem Gefrickel, Klarinetten, einem federführenden Piano und einer sehr rhythmisch geprägten Ästhetik zum Ende schwappt Oh, the Sky! von einer Stimmung in die nächste und wird innerhalb weniger Minuten vom schüchternen, Fast-A-Capella-Songwriter-Track zur kleinen Tanznummer und spannt damit bereits zu Anfang dieser neuen Platte einen unglaublichen Bogen. Ganz zu schweigen von der wie immer atemberaubenden Gesangsleistung der Frau MacNeil. Auch nach guten elf Monaten immer noch eine Nummer, bei der ich ein bisschen Gänsehaut bekomme.



UFO361 feat. GZUZ
Für die Gang
aus dem Album Ich bin 3 Berliner








Wer 2017 immer noch behauptet, dass Mumble Rap und Realness unvereinbar sind, dem war Für die Gang dieses Jahr höchstwahrscheinlich der letzte Sargnagel. Mit dem Flow eines Zahnlosen auf fünf Litern Hustensaft rappt der Berliner über seine Street Knowledge, dazu ein dramatisches Piano-Loop, ein Trap-Beat und fertig ist das perfekte Amalgam aus New School und echter Gangster-Attitüde. Tatsächlich ist der Song dann auch alles andere als eine postironische Style-Over-Matter-Persiflage, sondern hat inhaltlich eine Menge zu sagen und referiert das ganze Gang-Thema mit der notwendigen Dialektik. Insbesondere sorgt dafür auch die Strophe von Gaststar Gzuz, der hier den Part des realen Knacki-Veteranen einnimmt und eines der besten Features abliefert, das Deutschrap 2017 gehört hat. Ganz nebenbei schafft er es dabei, zum zweiten Mal in Folge ohne eigenen Song in dieser Liste zu landen. Mit einem der fettesten Untergrund-Hits der Saison ist das auch wieder mal mehr als gerechtfertigt.



JAY-Z
the Story of O.J.
aus dem Album 4:44








Ich hatte von jemandem wie Jay-Z, der 2017 definitiv zur alten Riege an Rap-Künstler*innen gehört, ehrlich gesagt nicht mehr viel erwartet. Nachdem sein letztes Album so blutleer war und spätestens seitdem er vor kurzem auf der LP seiner eigenen Frau Beyoncé so auseinandergenommen wurde, war für mich bei ihm nicht mehr viel drin. Doch sein neues Album zeigt eindrucksvoll, dass er noch einiges zu sagen hat. Insbesondere die Leadsingle the Story of O.J. ist ein gesellschaftskritisches Schwergewicht, wie man es von ihm bisher selten hörte, dabei einhundert Prozent am Puls der Zeit und auch musikalisch nicht zu unterschätzen. Was der New Yorker hier macht, passt einfach zusammen: Vom clever gewählten und fantastisch produzierten Sample aus Nina Simones Four Women  über seine Kommentare über Rassismus, das geschichtliche Erbe der Sklaverei in den USA und materielle Diskriminierung bishin zum herrlich animierten Video, das das Blackfacing früher Disney-Filme zitiert ist dieser Song ein politisch brisantes Gesamtpaket. Unter den vielen Tracks, besonders im Hiphop, die sich zurzeit mit diesem Thema auseinandersetzen, ist the Story of O.J. damit nicht nur einer der inhaltlich komplexesten, sondern sticht auch kompositorisch heraus. Im großen und ganzen zeigt Jay-Z damit also, dass mit ihm auch im dritten Jahrzehnt seiner Karriere noch zu rechnen ist. Und nach diesem Einstand hoffe ich, dass das auch noch ein bisschen so bleibt.



PHOENIX
Telefono
aus dem Album Ti Amo








Als ich Telefono im Juni auf dem neuen Phoenix-Album die ersten paar Male hörte, mochte ich den Song eigentlich nicht wirklich. Ich hielt ihn für einen sehr halbgaren Versuch, die Italopop-Welle der Achtziger Jahre auf die Schippe zu nehmen und fand den Mischmasch verschiedener Sprachen und die billig gedroppten italienischen Klischee-Vokabeln eher doof ausgeführt. Allerdings dauerte es auch nicht lange, bis der Track bei mir sehr häufig in Dauerschleife lief und ich die vielen schönen Details entdeckte, die Phoenix hier versteckt halten. Thomas Mars singt hier einen flockigen Novelty-Schlager über eine Fernbeziehung, in der die beiden Liebenden übers Telefon Kontakt halten. Dabei darf durchaus über Parallelen über Mars' Ehe zur Regisseurin Sofia Coppola spekuliert werden, ist im Text doch die Rede von Filmpremieren und Studioaufenthalten, außerdem spricht Frau Coppola zufällig ganz gut italienisch. Ein bisschen Gossip ist also auf jeden Fall dabei. Vor allem ist Telefono aber ein gewollt flach geshriebener Popsong, der genau durch diese Qualitäten brilliert und 2017 irgendwie zu einem echten Highlight für mich geworden ist. Muss ja auch mal sein.



AUDIO88 feat. DOZ9
Lied vom Tod auf dem Theremin
aus dem Album Sternzeichen Hass








Bei diesem Song ist es ziemlich ähnlich wie bei Dreams Tonite, insofern, dass eigentlich alle Songs auf Sternzeichen Hass großartig sind und Das Lied vom Tod auf dem Theremin eigentlich nur aufgrund von Ohrwurm-Potenzial hier steht. Besonders daran mag ich daran aber die Strophe von Audio88, denn der Berliner MC ist hier nochmal um ein vielfaches präziser als auf den restlichen Tracks der Platte. Seine Tirade liest sich wie das Filetstück seiner Kritik an deutscher Leitkultur, Almantum und "Ich bin ja kein Rassist, aber..."-Gequatsche. Die Zeilen hier sind hart, aber das hat die Wahrheit eben manchmal an sich und in weniger als drei Minuten fassen er und Gastrapper Doz9 hier das zusammen, was wahrscheinlich die meisten im Moment an dieser Gesellschaft nervt. Der Beat dazu ist ebenfalls maximal finster und minimalistisch und weil hier auch Authentizität angesprochen wird: Ja, in der Hook gibt es sogar ein Theremin.



STATIK SELEKTAH feat. RUN THE JEWELS
Put Jewels On It
aus dem Album 8






Klar, Run the Jewels sind eines der vielleicht intelligentesten Hiphop-Duos, die momentan Musik machen und dass dem so ist, ist total super. Am liebsten mag ich sie aber trotzdem, wenn sie einfach mal so einen Banger wie diesen machen. Put Jewels On It, der schon des Titels wegen einen Preis verdient hat, ist ein tighter, extrem lässiger, Punchline-geladener Rap-Energieriegel, der nach Golden Age, absoluter Coolness und Grandeur schmeckt. Der legendäre Host und Produzent Statik Selektah liefert hier einen edlen Beat, der, ginge es nach mir, sofort im Intro zum nächsten 007-Blockbuster laufen würde und über den sich Killer Mike und El-P lyrisch so richtig austoben können. Es ist schön, die beiden mal wieder so richtig dreckig und verspielt zu hören, weil sie hier endlich mal wieder die Skills auspacken, die ich zuletzt auch ihrem Debüt vor vier Jahren in voller Ausprägung gehört habe. Müsste ich wählen, hätte ich lieber tausendmal diesen Song als einmal die komplette RTJ-Trilogie.



AUSTRA
Future Politics
aus dem gleichnamigen Album








Bereits im Januar lobte ich in meiner Besprechung des gleichnamigen Albums, wie gut der Zuwachs von Pop-Elementen der Musik der KanadierInnen von Austra tut und in meinen Augen zeigte sich diese Entwicklung in keiner Sache besser als im Titelsong der LP. Den sperrigen, bratzligen Elektropop der Frühphase zerrt die Band hier ans Tageslicht, verpasst ihm ein bisschen nettes Make-Up und präsentiert ihn der Weltöffentlichkeit als distinguierte Popmusik, was auch absolut funktioniert. Future Politics ist ein Track mit einem starken, treibenden Beat, fantastisch gesetzten Akzenten und vor allem einer Hook, die mich seit gut elf Monaten nicht mehr so richtig loslässt. Sängerin Katie Stelmanis leistet als moderne New-Wave-Diva mit Kate Bush-Kostüm und ordentlich Statement ganze Arbeit und gibt dem Song die richtige Größe, um beim Hörenden stecken zu bleiben. Da stört es auch überhaupt nicht, dass das Video zu diesem Song meiner Meinung nach eines der schlechtesten in diesem Jahr war. Denn die Richtung ist auf jeden Fall die richtige.


DER WEG EINER FREIHEIT
Skepsis Pt. 2
aus dem Album Finisterre








Ginge es um den Preis des dramatischsten Songs 2017, Der Weg einer Freiheit hätten ihn sicher. Den Würzburgern reicht es diesmal nicht mehr, mit rauschenden Drum-Kaskaden und atmosphärischen Gitarren-Mäandern aufzulaufen, sie gehen auf 110%. Melodische Synthesizer machen ihren Sound noch sinfonischer, mehrteilige Breaks bäumen sich auf, Postrock-Crescendi sind an der Tagesordung und Sänger Nikita Kamprad schreit über den Weltraum, ewige Dunkelheit und das Ende der Erde. Das mag einigen vielleicht ein bisschen too much sein, für mich jedoch wird Skepsis Pt. 2 damit zur Black Metal-Schatztruhe. Das kommt vor allem auch dadurch, dass sich der Song nicht wie viele andere Genre-Musik den Hörenden verweigert und extra krass daherkommt, sondern sich verhältnismäßig weit öffnet. Der Refrain des Stückes ist durch die Keyboards an der Spitze direkt ein bisschen eingängig und schon öfter kam ich beim Hören in Versuchung, Kamprads Weltschmerz einfach mitzuträllern. Damit ist Skepsis Pt. 2 sicherlich einer der ungewöhnlichsten Metal-Tracks des Jahres, aber in meinen Augen auch einer der herausragenden.



BENJAMIN CLEMENTINE
By the Ports of Europe
aus dem Album I Tell A Fly








Weil Hallelujah Money ja nicht wirklich von ihm war, darf Benjamin Clementine dieses Jahr ausnahmsweise zweimal rein. Wäre auch schade gewesen wenn nicht, denn By the Ports of Europe ist in meinen Augen eines der herrlich seltsamen Highlights dieses Jahres. Worum es in diesem Song geht, muss man ehrlich gesagt nicht verstanden haben. Es reicht, wenn man sich daran weidet, wie skurril alles ist. Oberflächlich ist zwar nicht viel daran, wie Clementine hier in einer Mischung aus Jazz und englischem Folk einen der eher entspannten Tracks der neuen Platte abliefert, doch spätestens wenn der Teil mit dem Cembalo kommt und der Brite von wandernden Schweinen und fickenden Fischen singt, wird es ziemlich weird. Im Vergleich zum Rest von I Tell A Fly ist das immer noch recht wenig, doch hier passiert das ganze wenigstens innerhalb einer geschlossenen Songstruktur, die für sich auch äußerst ansprechend ist. Vielleicht der letzte halbwegs normale Song von ihm, bevor er musikalisch bald komplett ausrastet.



ARMAND HAMMER
Pakistani Brain
aus dem Album Rome








Auch Billy Woods trickst sich über sein Bandprojekt Armand Hammer einen zweiten Spot in dieser Liste zurecht und mit Pakistani Brain wieder einen sehr verdienten. Auf dem Opener des neuen Albums Rome geben sich er und Compagnon Elucid lyrisch die Keule in die Hand und übertreffen sich gegenseitig mit textlichen Hakenschlägen, nerdigen Referenzen und gesellschaftskritischen Kommentaren. Während Woods in der ersten Strophe vor allem mit cleveren Wortspielen Punktet und religiöse Anspielungen bringt ("head bobbing hard to gospel at the red light"), wird Elucid im zweiten Teil sehr poltisch, unter anderem mit einer ganzen Reimkette über den Putsch in Simbabwe und Robert Mugabe. Sicher ist das ganze auch ein wenig ungreifbar und schwer zu verdauen, doch mit einem ziemlich schmissigen Beat von Messiah Musik hat sich auch dieser Brocken innerhalb des letzten Monats irgendwie in meinen Gehörkanal gezaubert. Zum Glück, sonst würden Armand Hammer hier jetzt nicht stehen und euch vielleicht auch bald infizieren.



SPIDERGAWD
Stranglehold
aus dem Album Spidergawd IV








Auch ich musste ein paar Mal nachhören, um wirklich klarstellen zu können, dass Stranglehold tatsächlich kein Ted Nugent-Cover ist, aber selbst wenn, es wäre der bessere Song gewesen. Spidergawd schreiben schon immer großartige und eingängige Rocksongs, aber so einen Hit wie diesen hatten sie meiner Erinnerung nach noch nie. Hauptgrund dafür ist natürlich das unglaublich fette Gitarrenriff, das den gesamten Track dominiert und Per Bortens animalischer Gesang, doch erst die vielen schicken Details machen das Gesamtpaket perfekt. So ist es beispielsweise immens geil, wie sich die Melodie zu Anfang erst aufbaut, wie die Band das Thema vor jeder Hook variiert oder wie genial das obligatorische Gniedel-Solo am Ende des Songs die Harmonie abschließt. Aber egal wie man daran herumanalysiert, das Ergebnis bleibt gleich: Stranglehold ist ein hammermäßiger Rocksong, vielleicht ja sogar der beste des Jahres. Ein Titel, den ich Spidergawd nach so vielen guten Platten auch endlich mal zugestehen möchte.



FLEET FOXES
Kept Woman
aus dem Album Crack-Up








Es gibt auf dem neuen Fleet Foxes-Album nicht viele Songs, die auch isoliert vom Albumkontext ihre volle Wirkung entfalten, doch die wenigen, bei denen das möglich ist, sind dann auch gleich richtig genial. Kept Woman ist deshalb der schönste, weil er dazu keine großen Melodiebögen und epischen Band-Momente braucht, sondern als schlichte Klavierballade (mit den notwenigen Extras) überzeugt und damit einer meiner persönlichen Gänsehaut-Tracks dieses Jahres ist. Sowieso ist es immer ein Highlight, wenn Robin Pecknold seine Engelsstimme mal ohne viel Tamtam erklingen lässt so wie damals Paul Simon, und hier gibt es dem Stück eine unglaubliche Entschleunigung, die bei genauerem Hinsehen trotzdem mit unglaublich viel Kreativität einhergeht. Es ist einer der Songs, der die besten Sachen an Crack-Up auf knapp vier Minuten komprimiert und dennoch souverän funktioniert. Bei mir ab jetzt ein Herzstück der Fleet Foxes-Diskografie.



JESU & SUN KIL MOON
A Dream of Winter
aus dem Album 30 Seconds to the Decline of Planet Earth








Es ist schon ein bisschen ein schöner Zufall, dass ich diese Liste 2017 so kurz vorm Fest mit einem Quasi-Weihnachtssong beenden kann und der kommt dann ausgerechnet von Mark Kozelek. Ich war schon ziemlich überrascht, dass das selbternannte Arschloch der Popmusik, das sonst eigentlich ständig nur überall Stunk macht, am Ende seines zweiten Albums mit Jesu einen solch friedfertigen, harmonischen und unangestrengten Track schreibt. Sicher, die typische Federführung des Sun Kil Moon'schen Songwritings kommt auch hier zum tragen, aber eben auf eine ganz andere, weil sympathische Art und Weise, die man in den letzten Jahren eigentlich nie von ihm gehört hat. Im Endeffekt macht das diese Nummer aber nur noch schöner und für mich auch zu einem Moment in der Diskografie von Kozelek, den man würdigen sollte. Denn so schnell macht er das vermutlich nicht wieder.

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