Dienstag, 12. Dezember 2017

Der Teufel in seiner Jugend

Viele Medien, gerade aus dem Bereich Hiphop, bezeichneten den Täubling aus Leipzig dieses Jahr als Newcomer. Ein bisschen ist das schon richtig, ist dieses selbstbetitelte Album doch sein erstes richtiges und sein Deal bei Sichtexot ist noch relativ neu. Allerdings bedeutet das nicht, dass die Künstlerfigur dieses Typen wirklich neu ist. Mehr oder weniger seit 2011 gibt es das Konzept Täubling bereits und in dieser Zeit ist er in gewissen Kreisen zu so etwas wie einem viralen Hit geworden. Als ich im Juli diesen Jahres bei einem seiner Konzerte war (sehr empfehlenswert, wenn man als Publikum beschimpft werden und mit Zitronen beworfen werden will), waren unter einigen der Zuschauer*innen Songs wie Täubling oder Du Penner bereits als so etwas wie Klassiker und ihre Klickzahlen auf YouTube sind für einen so kontroversen und experimentellen Künstler wie ihn gar nicht mal so übel. Dass er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Debüts schon so ein durchgestyltes Produkt ist, ist für die Tracks hier jedoch der größte Gewinn. Denn nur so entsteht hier jene Ästhetik, die diese LP zu einer der interessantesten in diesem Jahr macht und den Täubling selbst zu einem der krassesten Charaktere in der hiesigen Poplandschaft. Zunächst mal muss man dazu wissen, dass die Aussage, dies hier wäre ein Musikalbum, eher relativ ist. Genauso wie seine Konzerte eine Mischung aus HipHop-Set, Poesielesung und modernem Theater sind, ist auch sein Studiomaterial irgendwie Rap, der aber ständig die Grenzen üblicher Konventionen, selbst jene lockeren, die vom Sichtexot-Label sonst geführt werden, überschreitet. Fast in jedem zweiten Track gibt es reine Spoken-Word-Rezitation, viele viele Samples und auch Momente, in denen gar keine Musik läuft. Das ganze hat dann mitunter eher die Wirkung einer groben Collage, in welcher der Täubling hier seinen Charakter zusammenflickt. Und dieser ist dann definitiv der Punkt, wo sich die Geister scheiden. Der Leipziger spielt auf dieser LP die Rolle des belesenen Misanthropen, der sich selbst und der Welt der größte Feind ist und diesen Hass auch sehr unverblümt zum Ausdruck bringt. Die lyrischen Bilder, die er dabei zeichnet, sind eigentlich immer grotesk und ekelerregend, finden aber auch genau darin ihre Faszination. Stilistisch vermischt Täubling dabei den lyrischen Ansatz expressionistischer Dichtung von Gottfried Benn oder Georg Trakl (den er hier auch konkret benennt) mit einer nihilistischen Version zeitgenössischen Mutterficker-Jargons und jeder Menge Anspielungen auf Politik, Kunst und Boulevard-Klatsch. Führt man das ganze so zusammen, kann man sich das Material hier wie die Arbeit eines dämonischen, finsteren Käptn Peng vorstellen, der weniger über Kreise und das Universum redet und dafür mehr darüber, wie er den Pabst fistet. Wenn man bedenkt, wie unglaublich ab vom Schlag und wie experimentell diese Songs dann sind, ist es erstaunlich, wie wenig Ansporn ich dennoch gebraucht habe, um sie großarttig zu finden. Und das liegt gewissermaßen in der Natur der Sache: Der Täubling ist ein extrem polarisierender Künstler, den man entweder sofort scheiße findet oder sofort gut. Ich für meinen Teil bin dabei begeistert von der Konsequenz, mit der er seinen Welthass hier durchzieht. Leute, die sich vor einigen Jahren von Tyler, the Creator gefürchtet haben, werden nach diesem Album höchstwahrscheinlich nicht mehr aus dem Haus gehen können und irgendwie gefällt mir dieser Gedanke ein bisschen. Abgesehen davon ist der Leipziger lyrisch echt fit und kann in Sachen Punchlines auf seine eigene Art wahnsinnig überzeugen. Folglich ist dieses Album, wenn auch nur teilweise in einem musikalischen Verständnis, eines der Highlights dieses Jahres. Ich bin mir nicht sicher, wem genau ich diese Platte empfehlen kann, aber mit einem klassischen Verständnis für Hiphop kommt man hier ebensowenig weiter wie mit einem klassischen Verständnis für Humor. Wenn diese beiden letzten Aussagen auf dich zutreffen, dann ist der Täubling sicher etwas für dich. Andernfalls sollte man vielleicht doch lieber bei Edgar Wasser bleiben.





Persönliche Highlights: Fuge in tä-Moll / Täubling / Du Penner / AntifriedenstaubeAus / Metamüde / Für Jean Baptiste / Mordinterlude / Zwergzog-1

Nicht mein Fall: Tacheles

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