Mittwoch, 27. Dezember 2017

Das war's 2017: Die besten Alben

Die letzte Liste des Jahres, die mit den besten Alben 2017, war wie jedes Jahr die komplizierteste. Nicht nur hatte ich wieder mal mächtig Stress, ob der Post denn nun tatsächlich auch vor Ende des alten Jahres erscheinen würde, die Findung dieser letztendlich feststehenden 30 Platten war eine Prozedur, die mehr oder weniger die gesamten vergangenen zwölf Monate einnahm. Unterm Strich kann man dabei sagen, dass diese Saison eine mit sehr vielen Überraschungen war. So viele Künstler*innen, die ich niemals in einer solchen Liste erwartet hätte, stehen nun doch hier, darunter einige Genres, die ich bis vor einigen Jahren noch nicht mal gehört habe. Einer der coolen Nebeneffekte dabei ist, dass 2017 das erste Mal Acts aus allen sechs Kontinenten unter den besten 30 vertreten sind, CWTE ist jetzt also offiziell kosmopolit. Darüber hinaus ist natürlich das primäre Ziel, dass ich euch entweder im Laufe des Jahres oder jetzt für den ein oder anderen Pick daraus begeistern kann. Und damit willkommen zum Staffelfinale der sechsten Season Careful With That Edge:


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30.
SUN KIL MOON
Common As Light and Love Are Red Valleys of Blood
Caldo Verde

Dass Mark Kozelek der meiste Künstler 2017 war, haben wir ja nun schon zur Genüge festgestellt, was unter anderem auch dazu führt, dass er (Achtung: Spoiler!) in dieser Liste zweimal vorkommen wird. Und obwohl Common As Light and Love... dabei den kürzeren zieht, ist es trotzdem ein immens wichtiges Album für den Songwriter aus Ohio. Auf einem Longplayer von fast zwei Stunden treibt er seine erzählerische Stream-of-Consciousness-Arbeitsweise auf ihren bisherigen Höhepunkt, reißt die wüstesten Räuberpistolen vom Stapel und entdeckt dabei ganz nebenbei den Band-Sound der Red House Painters wieder für sich. Und obwohl das vor allem bedeutet, dass diese Platte echt nicht einfach ist und man sehr viel Geduld und Konzentration braucht, um sie genießen zu können, ist sie mit Sicherheit auch eine der wertvollsten und spannendsten von Kozelek seit Benji. Wer den Schneid hat, sie in ihrer Gänze aufzunehmen, wird mit den vielleicht schönsten Sun Kil Moon-Momenten seit langem belohnt.

Das beste daran: Marks wahnwitziger Tribut an seinen verstorbenen Kumpel in Butch Lullaby, ein völlig neues Level an kozelek'scher Totendichtung.
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 29.
MASTODON
Emperor of Sand
Reprise
 Zuerst hatte ich mich gewundert, was es denn ist, das diese neue Platte hat, das Remission, Crack the Skye oder Once More Round the Sun damals nicht hatten. Auf den ersten Blick war wenig anders als sonst und Mastodon waren immer noch Mastodon. Warum also mochte ich sie hier mehr als auf bisher all ihren Vorgängern? Die Antwort ist, dass die Band hier endlich das Album macht, das sie bereits seit 2011 zu machen versucht. Mit Emperor of Sand schafft die Sludge-Institution aus Georgia ein für allemal den Absprung von der coolen Lieblingsband einer Metal-Nischengemeinschaft zur Stadionrock-Größe, die auf Festivals Headliner-Shows spielt und für Grammys nominiert wird. Das alles gab es schon vorher, aber hier klingen Mastodon endlich auch danach. Was mit den letzten beiden Platten in meinen Augen noch unausgereift war, wird hier zum Stilbruch mit Ansage, der sicherlich den ein oder anderen Leviathan-Headliner vergrault, aber Platz für neues schafft. Von hier aus könnten Mastodon die neuen System of A Down oder KoRn werden. Ich für meinen Teil wäre dem nicht mal abgeneigt.

Das beste daran: Wenn Mastodon in Show Yourself am Ende fast Emorock spielen.
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 28.
MILO
Who Told You to Think??!!?!?!?!
Ruby Yacht
 Ja ich weiß, ich sagte noch, Who Told You to Think?! sei nicht das beste Album vom Milo, aber ein Fehlen des Rappers in meiner Jahresbestenliste hätte das noch lange nicht gerechtfertigt. Auch wenn der MC aus Connecticut nicht auf der Höhe seiner Kunst arbeitet, ist er immer noch eine der interessantesten und hörenswertesten Figuren der heutigen Musiklandschaft und seine neue LP ist wie immer ein Kleinod an inhaltlich hochwertiger Rapmusik. Mit seinem ersten Quasi-Konzeptalbum schafft es Milo tatsächlich, in 42 Minuten Spielzeit einen kompletten philosophischen Diskurs über die gesellschaftliche Bedeutung von Poesie und im engeren Sinne Hiphop abzuhalten und wer seinen Output kennt, für den kommt das sicherlich auch nicht unerwartet. Das tolle ist dabei, wie tiefschürfend er dieses Thema dann tatsächlich beackert und wie hingebungsvoll er sein Konzept lyrisch umtanzt, während er gleichzeitig seine kompositorische Ader unter Zuhilfenahme vollkommen weirder Samples weiter ad absurdum treibt. Vielleicht nicht das einfachste Album dieses Künstlers, aber definitiv eines, das den Weg weist. Wohin, das weiß bis auf weiteres nur Milo allein...

Das beste daran: Wie er die Katze, die er auf Poet (Black Bean) zu Anfang aus dem Sack lässt, ganz am Ende mit Rapper wieder einfängt. So geht Konzept-Rap.
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27.
 KREATOR
Gods of Violence
Nuclear Blast
 Eine der für mich größten Überraschungen des Jahres, waren Kreator vor Gods of Violence für mich doch immer ein bisschen die Problemkinder unter den Altvorderen des Thrash Metal. Dass sie 2017 mit ihrem besten Album seit Ewigkeiten um die Ecke kommen, war nicht nur allgemein unerwartet, sondern vor allem für mich eine Grenzerfahrung, war diese Art von Heavy Metal für mich doch bisher eine absolute Tabuzone. Unter den 30 Platten in dieser Liste ist diese hier mit Abstand die mit dem meisten Schmalz und Pathos, was sowohl der Punkt ist, an dem ich zuvor immer Berührungsängste hatte, als auch der, an dem mich Kreator im Nachhinein ehrlich fasziniert haben. Wenn man so gute Shreds abfährt, so tight zusammenspielt, kompositorisch so fit ist und sich auf der Gitarre den Weg in den Himmel gniedeln kann, ist es nur gut und richtig, wenn man dabei permanent jedes dämliche Metal-Klischee strapaziert. Man kann es den Essenern ja auch nicht verübeln. Wer vor 35 Jahren der erste auf der Party war, der kann jetzt auch ruhig ein bisschen damit angeben.

Das beste daran: Dass jede Thrash-Band für einen Song wie Satan is Real über Leichen gehen würde.
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26.
DER TÄUBLING
Der Täubling
Sichtexot
Ob ich dieses Album wirklich in dieser Liste haben möchte, weiß ich ehrlich gesagt bis jetzt nicht so richtig. Unter den vielen schöngeistigen, formvollendeten, kompositorisch hochwertigen Platten, die hier aufgezeichnet sind, ist das Debüt des Täublings irgendwie das schwarze Schaf, das nervige ADHS-Kind, der mutierte Tumor, der hier auf seltsame Weise reingerutscht scheint. Die LP kann man an sich schon kaum als Musikalbum bezeichnen, in Sachen Songwriting ist das Ding bestenfalls dürftig und konzeptuell sind die elf Songs völlig unzusammenhängend. Trotzdem ist genau das die große Kunst an dieser Platte und der Aspekt, der sie dieses Jahr so unglaublich wichtig gemacht hat. Der Täubling ist, da kann man sich sicher sein, ein Ausnahmekünstler, der sich hier in mein Gedächnis verhakt hat und seitdem dort herumkrakeelt. Ohne ihn wäre mein 2017 nicht das gleiche gewesen und obgleich es mir dabei übel wird, er gehört so sehr in diese Liste wie peinliche Rechtschreibfehler.

Das beste daran: "Wolfgang Schäuble wird letzter bei den Paralympics."
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 25.
DEAR READER
Day Fever
City Slang
 Wer Cherylin MacNeil aka Dear Reader wie ich bisher nur von ihrem 2011er-Debüt Idealistic Animals kannte, wird dieses Jahr überrascht gewesen sein. Den spritzigen, bunten und ziemlich naiven Patchwork-Pop von damals tauscht sie auf ihrem mittlerweile dritten Longplayer aus gegen einen wesentlich distinguierteren Sound, der ihr jedoch keinen Deut schlechter steht. Dass die Südafrikanerin jetzt edlen Kammerpop komponiert, der eher an Kolleginnen wie Emíliana Torrini, Amanda Palmer oder St. Vincent erinnert, bedeutet für sie nämlich weder einen Verlust an Kreativität noch an künstlerischer Identität. Viel eher ist Day Fever das frechste und verspielteste schlaue Songwriter-Album, das ich in den letzten Jahren gehört habe und bindet das Element des Understatement wahnsinnig gut mit einer kindischen Experimentierfreude, die dieser LP ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal gibt. Der Beweis dafür, das Erwachsenwerden im künstlerischen Sinne nicht immer mit Biederkeit gleichzusetzen ist.

Das beste daran: Wenn Oh, the Sky von der choralen Songwriter-Nummer zum rhythmisch vertrackten Popsong wird.
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24.
THIEVERY CORPORATION
the Temple of I & I
ESL Music, Inc.

Es ist zwar äußerst knapp für Thievery Corporation gewesen, aber am Ende trotzdem schön: Endlich gibt es mal ein Reggae-Album in den Top 30! In Zeiten, in denen windige Dancehall-Produzent*innen und die Twenty One Pilots dieser Welt sich die Definitionsherrschaft über den Sound der New School des Genres erschleichen, tut ein so in den frühen Nullern verfangenes Projekt wie dieses echt gut. Vor allem, wenn den Akteur*innen hier trotzdem noch immer nicht die Ideen ausgehen. Zwischen Roots, Dub, Grime, Bossa Nova, Chillout und Jazz findet das Duo aus Washington D.C. in Zusammenarbeit mit diversen Gästen so viele schöne Momente, die mächtig Laune machen und ganz schnell vergessen lassen, ob dies oder das jetzt Up to Date ist oder nicht. Dabei hat the Temple of I & I durchaus ein breites stilistisches Spektrum, das nicht zu verachten ist und vor allem durch jede Menge hervorragende und noch dazu völlig unbekannte Featured Artists getragen wird. Definitiv nicht der hippste Pick in dieser Liste, aber einer, bei dem ich es besonders schade gefunden hätte, wäre er nicht mehr hier gelandet.

Das beste daran: Wie Strike the Root die vorsichtige Aufwärmphase des Albums mit einem fetten Roots-Reggae-Knüller von Notch beendet und innerhalb von Sekunden zur Party macht.
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 23.
TIMBER TIMBRE
Sincerely, Future Pollution
City Slang
 Es fühlt sich mittlerweile leider schon ein bisschen wie stumpfe Routine an, hier das neue Album von Timber Timbre in den Top 30 abzuchecken. Die Kanadier sind in den letzten zehn Jahren so verlässlich in ihrem Output, dass ein mittelmäßiges oder gar enttäuschendes Projekt von ihnen inzwischen absolut undenkbar scheint. Dabei sind sie selbst jedoch zum Glück überhaupt nicht routiniert dabei: Auch auf Sincerely, Future Pollution entwickeln sie ihren Sound signifikant weiter, schaffen neue Stimmungen, experimentieren mit Komposition und schaffen am Ende doch wieder jene tollen Edelpop-Momente, die man bei ihnen schon immer so genial fand. Die neue Platte ist dabei mit Sicherheit ihre bisher düsterste und kantigste, die sich auch mal Postpunk- und Goth-Einschläge traut, diese dann aber genauso gut mit Synthpop, Jazz und Americana kontern kann. Und für die Menschen, die sich das Fragen: Ja, Timber Timbre bleiben auch 2017 die Band mit den besten Saxofonsoli.

Das beste daran: Die sexy Americana-Gitarre, die Western Questions abschließt.
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22.
FUTURE & YOUNG THUG
Super Slimey
 Epic & 300 & Atlantic Recordings

Wenn 2016 bei mir das Jahr war, in dem ich an der Innovationskraft von Trap zweifelte, war 2017 das Jahr, in dem die Innovationskraft mir einen Schlag in die Fresse verpasste. In diesem Fall sogar zwei, denn mit Future und Young Thug überzeugen mich hier gleich zwei Rapper davon, dass mein Misstrauen in ihren Output völlig unbegründet war. Super Slimey ist das Highlight, dass die Kollaboration der beiden momentan vielleicht dicksten Fische im Business verspricht und bringt beide MCs darüber hinaus auch stilistisch voran. Mit offenen Armen laufen die 13 Songs auf Mainstream-Pop zu, Beat-technisch war Hiphop im allgemeinen selten bunter und dass es je eine Grenze zwischen gerappten und gesungenen Vocals gab, kann man hier getrost vergessen. Am Ende des Tages bleibt Super Slimey jedoch vor allem ein Album, das den Trap-Fan in mir glücklich macht und sehr viele sehr coole Nummern vorweist, die die Fackel der Bewegung in ihrer wichtigsten Zeit weitertragen. In zehn Jahren wird man es ihnen danken.

Das beste daran: Wie sich Young Thug in Killed Before an Ed-Sheeran-Gitarrenpop ranschmeißt.
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 21.
CORNELIUS
Mellow Waves
Rostrum Records

Als großer Geheimtipp dieses Jahres war dieses Album bei mir lange irgendwo in den Honorable Mentions, bis ich mich vor wenigen Wochen erneut in die schrulligen Vibes von Cornelius verliebte. Der ehemalige Pabst des fernöstlichen Psychpop nimmt mit Mellow Waves sein entschleunigtes Chillout-Jazz-Projekt auf, das vielleicht auf den ersten Blick nicht besonders auffällt, aber definitiv einige der niedlichsten, frischesten und naiv-schönsten Musikmomente des Jahres beinhaltet. Mit viel Synthetik, Albernheit und Freigeist schreibt der Japaner hier Songs, die ihre Psychedelik auf ein angenehmes Maß reduzieren und deshalb wahnsinnig gut zum klingen kommen. Cornelius' klangliche Tricks und Kniffe sind hier nicht das Hauptaugenmerk, sondern Mittel zum Zweck, wobei letzterer eine Reihe entspannter und unaufgeregter Tracks sind, von denen man gar nicht wusste, dass man sie cool findet. Eine LP zwischen ambienter Nuancierung und der experimentellen Anarchie eines Free-Jazz-Konzerts.

Das beste daran: Dass ausgerechnet Cornelius derjenige ist, der mich mit dem Konzept des Vocal Jazz versöhnt.
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 20.
THURSTON MOORE
Rock N Roll Consciousness
Caroline Records
 Thurston Moore ist dieses Jahr der Geschichtslehrer des Rock'n'Roll gewesen, den jede Klasse wahrscheinlich gerne gehabt hätte. Sein neues Soloalbum zitiert quer durch den Gemüsegarten 50 Jahre Rockmusik, schwebt aus Vogelperspektive über Genre-Definitionen, jammt Lou Reed, J Mascis, Santana, Kevin Shields und Michael Karoli in groben Stücken in einen Topf zusammen und ist dabei gleichermaßen das Werk eines Musikers wie das eines Fans. Ersteres, weil man nach sehr langer Zeit mal wieder merkt, was Moore eigentlich für ein genialer und technisch versierter Gitarrist ist und letzteres, weil man erfährt, bei wem er das alles gelernt hat. Klar hat er dafür dann auch seine Band mit dabei, die natürlich ebenfalls sehr gut spielt, aber man wird nicht leugnen können, dass Rock N Roll Consciousness ein Album ist, das für sechs Saiten gemacht wurde. Und im besonderen eben die sechs Saiten, die nur ein Thurston Moore spielt. Ein sehr besonderer künstlerischer Fingerabdruck des New Yorkers und mit Sicherheit seine beste Platte seit dem Ende von Sonic Youth.

Das beste daran: Gitarre hin oder her: Immer, wenn Thurston anfängt, wie J Mascis zu singen.
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 19.
SLOWDIVE
Slowdive
Dead Oceans
Steile These: Dass Slowdive schon mal besser waren als auf diesen, ihrem Comeback-Album, ist Nostalgiker-Propaganda. Das hier ist in Wahrheit ihr bestes Projekt. Sicher, auch mir fällt es ein wenig schwer, so richtig daran zu glauben, doch es sprechen definitiv Dinge dafür: Wo sie sich in den Neunzigern stets verkorksen mussten, um nicht aus dem Zeitgeschmack zu fallen und dabei auch einige fragwürdige entstanden, sind sie hier, 22 Jahre später frei, einfach aus sich heraus Musik zu spielen und in meinen Augen merkt man das durchaus: Der Shoegaze auf den acht neuen Songs geht direkt ins Blut, ist unvermittelt, gefühlvoll und muss sich nicht mit stilistischen Zweckehen herumschlagen, die eine Band wie Slowdive eigentlich nur behindern. Ich kann es nicht verifizieren, aber diese Platte klingt wie das Album, dass die Briten immer machen wollten und nie konnten, weil das damals zu uncool gewesen wäre. Die Tatsache, dass sie es nach sich selbst benannt haben, spräche auf jeden Fall dafür.

Das beste daran: Als ich im Januar das erste Mal Star Roving hörte und sechs Minuten durchgehend Gänsehaut hatte.
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 18.
VIC MENSA
the Autobiography
Capitol
 Viele waren dieses Jahr vom kommerziellen Debüt des Vic Mensa sehr enttäuscht, aber meine These ist, dass sie einfach nur die falschen Erwartungen hatten. Wer hier ein knallhartes Hiphop-Album mit inhaltlich potenten Stories will, wird hier tatsächlich nicht viel finden. Stattdessen ist the Autobiography einer der besten Poprap-Einstände der Saison geworden, das große Gefühle und Hit-Momente viel größer schreibt. Bei jemandem wie Vic Mensa, der eigentlich eh schon immer der Typ war, den man wegen der guten Hook kannte, eigentlich auch ahnbar. Dieser Mann will nicht wirklich ein MC sein, sondern viel eher ein Rockstar und in meinen Augen schafft er genau das auf dieser LP. Teilweise erinnern mich Tracks wie Memories of 47th Street und Say I Didn't irgendwie an Leute wie Tom Petty oder Bob Dylan (nein, ich kann das nicht wirklich erklären), auch wenn sie definitiv moderne Hiphop-Songs sind. Am Ende des Tages macht das Vic Mensa aber zu einem Künstler, der aus dem Rest der Szene heraussticht und sich bewusst anders entscheidet. Und in dieser Hinsicht sehe ich nach diesem Album großes Potenzial für ihn.

Das beste daran: Dass Rollin' Like A Stoner einer der besten Songs der Platte ist, obwohl er klingt wie ein T-Pain-Track von 2008.
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 17.
KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD
Flying Microtonal Banana
Heavenly Recordings
 Ich könnte an dieser Stelle hervorheben, wie progressiv und unkonventionell es doch ist, dass King Gizzard & the Lizard Wizard sich auf diesem Album dem selten erforschten Phänomen der mikrotonalen Musik annehmen, wie sie dadurch die Komfortzone des Pop sprengen, sich künstlerisch herausfordern, mit Hörgewohnheiten brechen und so weiter und so fort. Das schönste an Flying Microtonal Banana ist in meinen Augen jedoch, wie egal es eigentlich ist, dass sie diese Dinge tun. Wo andere Acts auf solche Experimente hinweisen müssen, weil ihre Platten aufgrund selbiger scheiße klingen, machen die Australier eines ihrer besten Projekte auf diese Art und Weise und sind dabei so gut wie schon immer. Die Hörenden können wählen, ob sie das Album gut finden, weil es unglaublich clever und nerdig ist oder ob sie einfach die Songs darauf feiern und ihnen der ganze Zauber drumherum ziemlich egal ist. Ich persönlich zähle mich zu letzterer Fraktion und bin trotzdem genauso fasziniert von Flying Microtonal Banana wie die ganzen Geeks. Vielleicht spricht das ja gegen mich, auf jeden Fall spricht es aber für King Gizzard. Und das ist ja die Hauptsache.

Das beste daran: "Rattle-snake, rattle-snake, rattle-snake, rattle-snaake!"
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 16.
ONDATRÓPICA
Baile Bucanero
Soundway Records
 Es ist ein bisschen ein Phänomen, dass gerade in einem sehr negativ belasteten Jahr wie 2017 so viel optimistische und gut gelaunte Musik in meiner Jahresendliste landet wie noch nie zuvor. Baile Bucanero von Ondatrópica dürfte in dieser Hinsicht sogar sämtliche Picks von sämtlichen Listen der Vorjahre übertreffen. Dass das damit zusammenhängt, dass wir hier von einer südamerikanischen Band sprechen, die Cumbia und Reggae spielt und auf spanisch singt, halte ich übrigens für ein mieses Vorurteil. Es liegt daran, dass dieses Kollektiv hier einfach nichts anderes tut, als Spaß zu haben. Nicht eine einzige richtige Ballade gibt es hier, irgendwie ist immer Stimmung und selbst der Slowburner Just A Moment ist am Ende eher gemütlich als melancholisch. In so dunklen Zeiten wie diesen mag das blauäugig sein, doch ein bisschen hat mich 2017 Songs wie die von Ondatrópica auch gerettet. Hört man Leute, denen es offensichtlich gut geht, geht es einem gleich auch viel besser. Dieses Album ist deshalb musikalische Empfehlung und Seelenbalsam in einem. Es lohnt sich!

Das beste daran: Der vorbildliche Einsatz von Marimbas auf dem gesamten Album. Neues Lieblingsinstrument gefunden.
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 15.
AT THE DRIVE-IN
In.Ter.A.Li.A
Rise Records

 Das war dann auch für mich selbst eine ziemliche Überraschung: Dass ich das neue Album von At the Drive-In mochte, war ja klar, doch dass es in dieser Liste landen würde, noch dazu auf halbem Weg zu Platz Eins, war dann doch eher nicht geplant. Aber so fair muss man sein, die Texaner haben seit ihrer Trennung 2001 keine Spur an Tightness verloren und In.Ter.A.Li.A klingt, als wäre es gerade Mal wenige Wochen nach dem legendären Relationship of Command erschienen. Was allerdings nicht heißt, dass sie hier das gleiche Album nochmal machen, sondern stilistisch weiter wachsen und klanglich wie kompositorisch noch großkotziger werden. Damit ist es wesentlich mehr als nur ein ziemlich gutes Comeback, es ist eine kleine Sensation. Wenn diese Band wieder in Originalbesetzung zusammen spielt und Musik veröffentlicht, können in meinen Augen alle Mars Voltas, Spartas, Antemasques und Bosnian Rainbows noch so gute Platten machen, sie schaffen es doch nicht, so genial zu sein wie das hier. Und für so eine Leistung sollte Platz 15 mindestens drin sein.

Das beste daran: Wenn Cedrix Bixler-Zavala im Opener Governed By Contagions einen seiner besten High-Energy-Refrains loslässt.
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 14.
FLEET FOXES
Crack-Up
Nonesuch

 Es ist immer ein bisschen Magie im Spiel, wenn die Fleet Foxes Musik machen, doch nur weil diesmel die große David-Copperfield-Show ausfällt, bedeutet das keinesfalls, dass man nicht trotzdem verzaubert werden kann. Waren die bisherigen zwei Alben der Band aus Seattle sozusagen die große Revue, bei der es an allen Ecken und Enden knallte, Statisten zersägt wurden und laute Musik spielte, ist Crack-Up eher die Platte, auf denen es zwar nur Karten- und Münztricks gibt, am Ende aber alles zu einer faszinierenden Illusionsnummer wird, die mindestens genauso cool ist wie der große Zirkus. Will heißen: Der organische Bio-Folk der Fleet Foxes ist hier auf den ersten Blick vielleicht unspektakulär, trotzdem machen sie hier eines ihrer besten Alben. Im Vergleich zum dichten, verschnörkelten Sound der Vorgänger erlebt man hier eine LP der musikalischen Weiten, die ihre Zeit brauchen, aber beim richtigen Umgang auch viel intensiver und eindrucksvoller sein können als alles davor. Also zumindest bei mir hat das so funktioniert. Muss man ausprobieren.

Das beste daran: Wie Robin Pecknold samt Band gleich in den ersten Takten von Third of May mit der Tür ins Haus fällt.
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 13.
KING KRULE
the Ooz
XL Recordings

Der Platz, der in dieser Liste normalerweise für ein Album von Marching Church reserviert ist, geht dieses Jahr mangels Beteiligung der Dänen an den Briten King Krule, der diese Position auch würdig vertritt. Sein gruftig-abgedroschener Indie-Postpunk-Rockabilly-Jazz-Songwriter-Mischmasch auf the Ooz klingt mindestens genauso kaputt und geisteskrank und ist ein Riesenschritt weiter von dem Zeug, das er 2013 auf seinem Debüt machte. Mit gerade Mal 23 Jahren hat Archie Marshall die Sache mit dem Dasein des kurz gefeierten Hype-Künstlers schon wieder abgeschrieben und tut hier sehr gut daran, niemandem mehr gefallen zu wollen und geifernden Fans und Journalist*innen seine schwarze Seele auszukotzen. Mit dem umgekehrten Effekt: the Ooz ist sicherlich eine der beliebtesten Platten dieses Jahres geworden und alle wollen plötzlich mehr von dieser negativen Energie, die Marshall ausstrahlt. Und indem ich die Platte hier platziert habe, habe auch ich mich jetzt zu diesen Leuten gesellt. Wird eng hier, wenn Marching Church demnächst wieder Musik machen.

Das beste daran: Wie gut Archies kaputte, kratzige Stimme plötzlich zu seinem Songwriting passt. Da wird sogar Henning May neidisch.
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12.
OISEAUX-TEMPÊTE
Al-'An!
Sub Rosa

 Wo alle dieses Jahr über Donald Trump und AfD meckern: Auch anderswo läuft es beschissen und auch darüber wurde 2017 Musik gemacht. Mit ihrem dritten großen Mittelmeer-Projekt begeben sich Oiseaux-Tempête mit Al-'An! in den nahen Osten und nehmen dort ein Album auf, das nach den Ruinen des arabischen Frühlings, nach Syrienkrieg, Palästinakonflikt, Hisbollah und Reccep Tayyip Erdogan klingt. Dass sie das auf instrumentale Weise tun, lässt natürlich jede Menge Interpretationsspielraum, aber wer die Band aus Paris kennt der weiß, dass bei ihnen die Message meistens vor der musikalischen Ästhetik kommt. Dank dieser Einstellung und einer ganzen Horde an großartigen Gastmusikern schaffen sie es auch hier erneut, eine Postrock-LP aufzunehmen, die großen Abstand von Genre-Klischees nimmt und klanglich so vielseitig ist wie die Themen, die sie beleuchtet. Ein weiteres atemberaubendes Experiment der Franzosen und hoffentlich auch nicht das letzte.

Das beste daran: Wenn Fast-schon-Bandmitglied G.W. Sok im vorletzten Song seinen Spoken-Word-Part beginnt und man weiß, dass alles vorher auf diesen Moment aufgebaut hat.
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11.
  MOUNT EERIE
A Crow Looked At Me
P.W. Elverum & Sun

Da ist man wieder an diesen Punkt gekommen, wo man sich scheiße fühlt, weil man jetzt dieses Album in eine Liste von anderen Alben einordnet, die besser oder schlechter sind als dieses und das eigentlich der komplett falsche Ansatz ist, sich mit A Crow Looked at Me zu beschäftigen. Denn in meinen Augen ist das hier weniger ein Kunstwerk als ein persönliches Dokument über das ich mich eigentlich nicht traue, zu urteilen. Phil Elverum aka Mount Eerie verarbeitet hier in elf grauenvoll ehrlichen Songs den Tod seiner Ehefrau im letzten Jahr und schafft dabei einerseits ein wunderschönes und intimes Stück Musik, das künstlerisch extrem hochwertig ist, auf der anderen Seite aber auch ein auf schlimme Weise direktes Erlebnis, bei dem man allein davon ein schlechtes Gewissen bekommt, dass man Elverum hier beim Leiden zuhört. Ich kann nicht leugnen, dass diese Platte dieses Jahr für mich ein Highlight war, doch eigentlich auch nicht wirklich ein positives. Die Platzierung hier erfolgt auf jeden Fall mit herbem Beigeschmack.

Das beste daran: Nichts. Es gibt absolut nichts schönes an diesem Album.
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 10.
DRAKE
More Life
Universal Music

Aubrey Drake Graham war in den letzten Jahren sicherlich einer der produktivsten Musiker im Mainstream und hat sich mit seinen Alben in dieser Zeit große Mühe gegeben, Trends zu setzen. Die meisten dieser Versuche waren in meinen Augen vergeblich und zum großen Teil eher mittelmäßig, weshalb es mich wundert, warum ich ausgerechnet diese LP so genial finde. More Life ist nach den vielen sehr akribisch durchgeplanten Projekten der vergangenen Jahre so etwas wie die Resterampe, auf der Drake noch einmal versucht, das Maximum aus den Songs zu holen, die auf keines der vorherigen Alben gepasst haben und erstaunlicherweise das beste, was er in all dieser Zeit gemacht hat. Vielleicht liegt es daran, dass der Kanadier hier eine sehr vernünftige Schnittmenge seines Stils präsentiert, der Flow hinhaut oder er nicht irgendwelchen total absurden Blödsinn ausprobiert, aber das hier ist irgendwie die Platte, die ich schon seit Ewigkeiten von ihm hören will. Dass es von ihm keine Überraschungen gäbe, kann man also weiß Gott nicht behaupten.

Das beste daran: Wenn in Teenage Fever in bester Vaporwave-Manier If You Had My Love von Jennifer Lopez verwurstet wird.
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09.
WIEGEDOOD
De Doden Hebben Het Goed II

Consouling Sounds

Was kann man über Wiegedoods zweite LP sagen, was man nicht schon beim letzten Album gesagt hätte? Klar, auf dem gleichnamigen Sequel ihrer 2015 begonnenen De Doden Hebben Het Goed-Saga experimentieren sie stärker mit Hardcore-Elementen, bauen ambiente Elemente in ihren Sound ein und geben sogar ein paar Takte auf den Didgeridoo zum besten, die Essenz dessen, warum die Belgier in meinen Augen eine der besten Black-Metal-Bands Europas sind, bleibt jedoch die gleiche: Scheidige Riffs, dramatisches Songwriting, epische Strukturierung. Wiegedood können es eben einfach. Das zeigt ihr neues Album ebenso beeindruckend wie das alte und ist deshalb auch der absolut perfekte Nachfolger dafür. Wer 2017 noch qualitativ hochwertigen Hausmacher-Metal sucht, der kann sich hier gütlich tun, und mithoffen, dass die Band in zwei Jahren dann den Hattrick vollmacht.

Das beste daran: Dass Wiegedood mit dem Didgeridoo im Titelsong ein Instrument auftun, das im Metal unbedingt mehr eingesetzt werden muss.
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08.
AUDIO88
Sternzeichen Hass
Normale Musik

 Hätte ich dieses Jahr einen Award für das misanthropischste Album des Jahres zu vergeben, Audio88 wäre konkurrenzloser Preisträger. Seine neue Mini-LP Sternzeichen Hass schafft es in gerade Mal 22 kurzen Minütchen, mehr Schwarz zu malen als der gesamte Rest der deutschen Musikszene und miese Stimmung für zehn zu verbreiten. Der springende Punkt ist dabei, dass der Berliner hier die richtigen Argumente auf seiner Seite hat und von allen anderen am intelligentesten Pöbeln und Schimpfen kann, was wiederum der Grund ist, warum dieses Album so weit oben auf der Liste steht. Audios finstere Vibes sitzen so tief, dass man auf der einen Seite gerne sagen würde, dass das hier satirische Übertreibung ist, man ihm auf der anderen Seite aber auch immer wieder recht geben muss. Ob die Welt des Jahres 2017 tatsächlich so verkorkst ist, kann am Ende ja jeder selbst entscheiden. Wer seinen Optimismus behalten will, sollte von dieser Platte aber vielleicht doch die Finger lassen.

Das beste daran: "Du machst 217 allen Ernstes Disstracks, die nicht mal ne Stunde lang sind?!"
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 07.
CIGARETTES AFTER SEX
Cigarettes After Sex
Partisan Records

Ich hätte auch nie gedacht, dass es mal ein Album geben würde, dass ich aufgrund seiner Monotonie mag, doch Greg Gonzalez hat mich eines besseren belehrt. Fast zehn Jahre nach Gründung seines Projektes Cigarettes After Sex erschien 2017 deren Debüt und wurde innerhalb kürzester Zeit vom Geheimtipp der letzten Indierock-Fans zum Kracher der diesjährigen Festivalsaison. Was mich an der Band jedoch am meisten fasziniert, ist ihre trockene und emotionslose Art und Weise, sich melancholischem Shoegaze-Pop anzunähern, sodass sie unter den Blumenmädchen und Surferboys der Garagen-Szene ein wenig wirken wie die Grufti-Kinder, mit denen niemand redet, weil sie mit niemandem reden. Wenn Gonzalez über Gefühle singt, dann hat das die Aura eines Menschen, der diese nur als theoretisches Konzept kennt und das müde und dünnhäutige Geklimper, das seine Band dazu absondert, passt zu dieser Ästhetik auch sehr gut. Unterm Strich sind Cigarettes After Sex also die vielleicht langweiligste Band des Jahres, aber sie schaffen es, genau damit zu faszinieren. Das klingt vielleicht paradox, aber auch nur so lange, bis man die Platte mal gehört hat.

Das beste daran: "Well I know full well that you are / the patron saint of sucking cock"
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 06.
DER WEG EINER FREIHEIT
Finisterre
Season of Mist

ich freue mich schon ein bisschen, dass das beste Metal-Album dieses Jahres ausgerechnet von Der Weg Einer Freiheit kommt, denn in der Luft lag das irgendwie schon lange. Zum fantastischen Songwriting und dem erlesenen Geschmack in Sachen Sound fehlte der Band aus Würzburg eigentlich nur noch ein wirklich origineller, eigenständiger Stil und den haben die Bayern auf Finisterre nun endlich auch gefunden. Ihr fünftes Album ist das mit Abstand am dicksten aufgetragene Black Metal-Projekt des Jahres, das vor allem durch seine Theatralik beeindruckt. Die gesamte Band schraubt und windet sich hier durch eine Reihe von Songs, deren Höhenflüge und Abgründe 2017 niemand sonst erforscht hat und spart dabei auch kein bisschen an Pathos. In diesem Fall aber genau das richtige, weil Der Weg einer Freiheit sich dadurch auf ihre komplette musikalische Größe aufbäumen müssen und man endlich mal das sieht, was sie eigentlich schon sehr lange sind: Eine der besten Metalbands, die momentan aktiv sind.

Das beste daran: Wenn Skepsis Pt. 2 aus der melodischen Hook mit einem messerscharfen Break wieder in den Strophenpart abstürzt.
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05.
BILLY WOODS
Known Unknowns
Backwoodz Studioz

 Als angenehmer und hörerfreundlicher MC ist der New Yorker Billy Woods nicht gerade bekannt, was seine Platten trotz ihrer lyrischen Genialität schon immer zu schwierigen Angelegenheiten gemacht hat. 2017 nimmt er diesen Umstand nun selbst in die Hand und versucht zumindest musikalisch, seinem Publikum etwas entgegen zu kommen. Konkret schafft er das, indem er den legendären Ninja-Tune-Bastler Blockhead als Produzent für die gesamte LP verpflichtet und damit nicht nur auf seine bisher eingängigsten Beats überhaupt setzt, sondern vor allem auf einen künstlerisch starken roten Faden. Im modernen Hiphop ist so etwas leider noch immer ein seltenes Glück und hier so ein konsistentes und rundes Album zu hören, bestätigt mich auf jeden Fall darin, dass ich so etwas gerne öfter erleben würde. Dass Billy Woods dabei seinerseits wieder mächtig abliefert, muss man wahrscheinlich niemandem mehr sagen. Nur kann man seine Kunst jetzt endlich auch ohne angedockten Rapgenius-Tab genießen.

Das beste daran: Bush League, der erste richtige Banger des Billy Woods.
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 04.
DIRTY PROJECTORS
Dirty Projectors
Domino Recordings Co.

 Gleich zwei Dinge macht mir das selbstbetitelte Album der Dirty Projectors dieses Jahr endlich schmackhaft: Zum einen die Musik von Dave Longstreth selbst und ihren doch sehr speziellen Sound, zum anderen das Konzept des experimentellen R'n'B, das diese hier vertreten. Für ein Konzeptalbum über eine vergangene Beziehung ist das hier zwar ein ungewöhnlich buntes und knalliges Album, doch auch eines, das viele verschiedene Elemente sehr gut kanalisieren kann. Die Streicher und Bläser hier machen Spaß, passen aber auch in die Stimmung, die Vermischung elektronischer und analoger Instrumente ist unglaublich clever und ich glaube, ich habe noch nie ein Album gehört, welches Autotune so erlesen einsetzt wie dieses hier. Was Longstreth hier fabriziert, ist ein oszillierendes Projekt voller genialer Details, die nicht nur für sich unglaublich geil sind, sondern auch noch wahnsinnig toll ineinander verwoben sind. Platz vier für Dirty Projectors ist folglich einfach nur die Würdigung einer guten musikalischen Arbeit, auf die man erstmal kommen muss und eines der originellsten Pop-Alben der letzten Jahre.

Das beste daran: Der folkige Bläser-Boost in Up in Hudson, der wärmend Dave Logstreths Indie-Vergangenheit enthüllt.
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03.
REMO DRIVE
Greatest Hits
Independent

 Hits, Hits, Hits, Hits, Hits! Was drei jungen Herren von Remo Drive auf ihrem Debütalbum fabrizieren, ist stilistisch und strukturell eigentlich nichts besonderes, müffelt nach den späten Neunzigern und es wäre den Bronzeplatz sicherlich nicht wert, hätte diese Band nicht so ein unglaublich sensibles Gefühl für eingängige Rockmelodien. Jeder der zehn Tracks hier ist ein kompositorsicher Hakenschlag, der gleichsam unglaublich catchy ist, aber auch jede Menge Überraschungen bereithält und niemals vorhersehbar wird. Greatest Hits ist so gut, dass es die meiste Zeit überhaupt nicht auffällt, wie beschissen die Platte produziert ist und dass Remo Drive echt noch Frischlinge im Musikbusiness sind. Aber wenn diese LP schon so gut geworden ist, wer weiß, wozu diese Jungs in näherer Zukunft noch fähig sind. So viel Hoffnung hatte ich lange nicht mehr für einen Newcomer und wenn es nach mir geht, ist das hier erst der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Das beste daran "You make me want to start smoking / cigarettes so I die slowly"
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02.
JESU & SUN KIL MOON
30 Seconds to the Decline of Planet Earth
Caldo Verde

 Common As Light and Love... war dieses Jahr das große Aushängeschild der Songschmiede Mark Kozelek, doch seine unzähligen nebenher laufenden Kollaborationen waren die eigentlichen Highlights. Insbesondere seine zweite Zusammenarbeit mit Justin Broadrick von Jesu stach für mich persönlich heraus, da zwischen diesen beiden Musikern inzwischen eine ganz spezielle Chemie herrscht. Nachdem ihr gemeinsames Debüt für mich letztes Jahr eher unglücklich verlaufen war, finden sie hier gegenseitig viel besser ihre jeweiligen Stile und schaffen es, darauf aufbauend einige sehr fruchtbare Experimente durchzuführen. Kozeleks langatmige Stories finden mit Broadricks elektronischen Klangflächen ein wunderbares Backing und jeder der zwei Künstler animiert den anderen hier auch dazu, aus seiner Komfortzone auszubrechen und neues auszuprobieren. Dass dabei alles so großartig aufgeht, ist eine ziemliche Sensation und zeigt, dass sich hier wirklich ein gutes Paar gefunden hat. Hoffentlich wissen das auch die beiden Musiker und nutzen diese LP als Ausgangspunkt für weitere gemeinsame Projekte. Wobei man dieses Album in meinen Augen schon kaum noch steigern kann.

Das beste daran: Wenn Mark Kozelek in A Dream of Winter ausnahmsweise mal wie ein halbwegs netter Mensch rüberkommt.
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 01.
ALVVAYS
Antisocialites
Transgressive

2017 ist eines dieser Jahre, in denen es wahnsinnig tolle experimentelle, kontroverse und unkonventionelle Platten gab, die auf jeden Fall Anerkennung verdienen. Am Ende gewinnen diese Runde jedoch einmal mehr die Melodiker. Antisocialites von Alvvays war dieses Jahr das Album, das die Rezeptur von gut gemachter Popmusik zur Perfektion führte und mich mit seinen eingängigen Hooks, schnörkellosen Zuckerwatte-Momenten und wundervollen Drei-Minuten-Songs einlullte. Dass die Band aus Vancouver diese Dinge schon auf ihrem Debüt von 2014 sehr gut konnte, wusste ich ja, aber hier holen sie all diese Qualitäten noch einmal auf ein völlig neues Level. In gerade Mal 32 Minuten schaffen sie es, so viel Schönheit und schmissige Komposition auf mich loszulassen, dass mir schwindlig wird und nur wenige Sekunden eines beliebigen Tracks hier reichen, um mich nie wieder loszulassen. Die Vergrößerung des instrumentalen Spektrums tut Alvvays ebenso gut wie das Erforschen neuer musikalischer Nischen, doch die wirklich wichtigen Sachen wussten die Kanadier eigentlich schon immer. Antisocialites 2017 zur Platte des Jahres zu küren, mag vielleicht konservativ sein, aber es ist zumindest ein Zeichen dafür, dass auch in dieser Saison nicht die Pessimisten gewinnen, sondern die Romantiker. Und in schweren Zeiten wie momentan kann das ja so verkehrt gar nicht sein...

Das beste daran: Wenn in Not My Baby die Streicher einsetzen und man einfach nur noch heulen will.



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