Mittwoch, 29. Januar 2020

Der Rest meines Lebens

[ gefällig | gereift | selbstironisch | unpolitisch ]

Als die Antilopen Gang groß wurde, in der Zeit vor Aversion, die man heute als ihre kreative Hochphase bezeichnen könnte, waren sie in meiner Wahrnehmung eine vordergründig politische Band. Sie gehörten in der ersten Generation Zeckenrap zu Acts wie Sookee, Waving the Guns, Neonschwarz und Zugezogen Maskulin, die eine mehr oder weniger neue Nische im deutschsprachigen Hiphop ausdefinierten, die gerade erst anfing, spannend zu werden. In besagter Nische nahmen sie dann zwar sehr schnell die Rolle der ironischen Spaßband ein, die sogar schon zu den Zeiten Hits hatte, in denen Feine Sahne Fischfilet noch AJZs betourten, ihre Haltung war in der Musik jedoch allgegenwärtig. In ihrer Frühphase gab es neben den blödelnden Enkeltricks und Fick die Unis, die die Aufmerksamkeit der Masse erreichten, jede Menge lyrische Pöbelfinger, eindeutige Parolen und Ton Steine Scherben-Punchlines, die klar machten, wo die Band politisch stand. Und weil man das damals mitbekam, weiß man das heute auch noch. So sehr, dass man gar nicht gemerkt hat, wie sehr sich die Antilopen seitdem von diesem Narrativ entfernt haben. Schon ihr zweites Album Anarchie & Alltag von 2017 verkleinerte ideologische Gesten zugunsten einer umfassenderen Nabelschau, in der die drei Rapper sich auf innere Dämonen fokussierten und mit ihrer dritten LP führen sie diesen Trend nun zu einer konsequenten Vollendung. Wäre Abbruch Abbruch die erste Platte, die ich von dieser Band hören würde, ich hätte ein komplett anderes Bild von ihrer künstlerischen Ausrichtung und dem, was sie repräsentieren. Denn politisches Messaging gibt es hier nur noch als unterschwelligen Vibe. Statt diesem beschäftigen die Antilopen sich hier vordergründig wieder mit sich selbst, in diesem Fall insbesondere mit der eigenen Vergangenheit. Mit 2013 wird das Album von einer Art antinostalgischen Retrospektive eröffnet, die in die Zeit vor dem Debüt zurückblickt und vor allem den Tod des einst vierten Bandmitglieds NMZS aka Jakob Wich verarbeitet. Das ist ernster und erwachsener als so ziemlich alles, was ich von den Antilopen bisher gehört habe und geht durchaus an die Substanz. Auch mit Songs wie Bang Bang (einem Titel über das Verlieren der Jungfräulichkeit), Wie wir leben oder dem Lied gegen Kiffer üben die drei sich in Vergangenheitsbewältigung, wobei hier stellenweise aber wieder der gruppentypische Humor durchschimmert. Im Gegensatz zum Vorgänger stößt das hier aber nicht auf, da sie spaßige und weniger spaßige Themen diesmal viel besser ausbalancieren. Und einen völlig albernen Track wie Pizza oder Enkeltrick gibt es auf Abbruch Abbruch erstmals nicht. Man kann also durchweg sagen, dass die Antilopen ingesamt reifer geworden sind. Nicht nur inhaltlich, sondern ganz klar auch musikalisch. Von allen bisherigen Platten der Ruhrpott-Band ist das hier diejenige, die sich am wenigsten scheut, offensiv unrebellisch zu sein. Die Hooks hier sind wesentlich Pop-orientierter und in vielen Momenten scheinen sie sich eine Scheibe bei Danger Dans Feature-Kumpel Sebastian Krumbiegel abgeschnitten zu haben. Zusammen mit den selbstironischen Verweisen an die eigenen Whackness entsteht hier eine Art souveräne Spießigkeit, die man von den letzten Sido-Alben kennt. Zwar ist der Sound dadurch insgesamt runder und spannender als auf ihrem unsäglichen Vorgänger und Andreas Bourani hat hier noch keinen Gastauftritt, doch mit dieser Marschrichtung gehen sie auch schnurstracks den Weg in Richtung Wise Guys des Deutschrap. Es ist erstaunlich, dass sie das hinkriegen und hier gleichzeitig die wohl ernsthafteste und finsterste Platte ihrer Karriere machen. Und so sehr ich die Ästhetik der Antilopen auch komisch finde, ist das was hier passiert doch ein eindeutiger Fortschritt im Vergleich zu Anarchie & Alltag. Hier wirkt vieles etwas gefällig, aber ist wenigstens ehrlich gemeint und geht mir irgendwie nahe. Vielleicht ist es ja auch einfach so, dass die Antilopen Gang am Ende des Tages schon immer diese Band waren und das radikale Image nur eine Phase. Wenn das so wäre ist das gut für sie, allerdings stirbt damit dann auch die letzte Eigenschaft, die diese Jungs für mich wirklich sympathisch machte.



Klingt ein bisschen wie:
Sido
VI

Die Prinzen
Küssen verboten

Persönliche Höhepunkte
2013 | Trenn dich | Wünsch dir nix | Bang Bang | Keine Party

Nicht mein Fall
Roboter | Zentrum des Bösen

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