Donnerstag, 18. Juli 2019

Brennender Samt





















[ politisch | provokativ | asozial ]

Testo und Grim104 aka Zugezogen Maskulin sind ein Duo, das in die deutschsprachige Rap-Landschaft noch immer nicht so richtig passen will. Eigentlich viel zu intellektuell für die Szene, aber stets mit dem Auftreten angetüdelter Dorffest-Prolls, dazu irgendwo gefangen zwischen radikalisiertem Zeckenrap und Festival-Mainstream und in ihrer musikalischen Ausrichtung sowohl Teil der inhaltlich affinen Zwotausender-Sparte als auch des postfaktischen Lalala-Cloudrap. Ein Paradox von einer Band, das seit ungefähr einem Jahrzehnt durch die Playlisten der Republik torkelt und an seinen Widersprüchen eigentlich schon lange hätte zugrunde gehen sollen. Stattdessen haben Zugezogen Maskulin daraus die Energie gewonnen, das mit Abstand beste Deutschrap-Album der Zehner aufzunehmen. Eine LP, die gerade als Aufguss besagter Dissonanzen so gut funktioniert und mit ihren Songs einen Spagat vollführt, den seitdem niemand mehr auf diese Weise geschafft hat. Vor allem aber eine, die nicht aufhört, großartig zu sein, selbst nach fünf Jahren Massivbeschallung. Aber was genau machen Zugezogen Maskulin hier so viel besser als alle anderen? Zunächst mal: Sie sind nicht alle anderen. Als Künstler sind Testo und Grim sozusagen Paradebeispiele für Hiphop-Underdogs. Beide fernab vom Puls der Szene aufgewachsen, der eine ein belesener Düsterpoet mit Horrorcore-Einschlag, der andere ein lyrisch sperriger Ost-Antifa mit heimlicher Liebe zu Autotune und R'n'B. Für sich alleine sind die beiden extreme Weirdos, gemeinsam kochen sie hier jedoch ihre ganz eigene Utopie eines Deutschrap-Mainstream-Sounds auf, die nicht nur inhaltlich ordentlich klatscht. Auf ihrem Debüt Kauft nicht bei Zugezogenen 2013 geschah das noch eher zaghaft, zwei Jahre später jedoch geben ZM die volle Breitseite. Gemeinsam mit Silkersoft, der hier den Großteil der Beats produziert, wagt Alles brennt den ambitionierten Versuch eines Poprap-Albums. Party-Trap, fette Hooks, Autotune, gleichzeitig aber bis ins Detail perfektionierte Texte, die so gut wie alles können. Politische Ansage (Agenturensohn), ironische und selbstironische Meta-Muckerei (Ayahuasca), provokative Troll-Momente (Endlich wieder Krieg) und sogar reflektiertes Storytelling (Grauweißer Rauch). Die beiden MCs sind dabei so gut wie überall die lyrischen Poldi und Schweini, die optimal aufeinander aufbauen und beide hundertzehn Prozent investieren. Das gesamte Album ist voll mit Lieblingsparts und das wunderbare ist, das diese nicht nur als starke Hits funktionieren. Gerade im letzten Teil der LP schafft das Produktionsteam ein paar Übergangsmomente (wie den zwischen Guccibauch und Oi!), die man im Hiphop selten so ausgefuchst erlebt und die Dynamik der Tracklist ist mindestens genauso klasse. Wenn ich sage, Alles brennt ist das beste Deutschrap-Album der Dekade, dann vor allem, weil es eines der sehr wenigen ist, das auch wirklich als Album funktioniert. All diese Dinge sind vielleicht großer Zufall und vielleicht grandioses künstlerisches Kalkül, aber was von beidem letztendlich stimmt, ist auch egal: Auf Alles brennt gibt es keine Schwachstellen. Keine zweitklassige Line, kein lausiger Beat, keine peinliche Hook. Sogar extrem wüste Experimente wie das Drum & Bass-Outro von Oi! oder Grims in furchtbarem spanischem Akzent vorgetragene Strophe in Monte Cruz können diese makellose Platte nicht ruinieren. Von Kritiker*innen kam seinerzeit häufig die Kritik, ZM wären einfach nur der Trap-Ableger von K.I.Z., aber selbst diese (objektiv berechtigte) Nörgelei kann ich für meinen Seelenfrieden entkräften. Zugezogen Maskulin sind - zumindest auf diesem Album hier - die weit besseren K.I.Z. Statt ein paar gewollt skandalösen Zeilen und billigen Schlager-Hooks haben Testo und Grim hier ein echtes Gesamtkunstwerk gemacht, das trotzdem noch mit dem gleichen Hitpotenzial daherkommt und darüber hinaus wesentlich besser gealtert ist. Für mich ganz persönlich ist Alles brennt ein prägendes Stück Musik, das ich in meinem musikalischen Kosmos durchaus als modernen Klassiker bezeichnen würde. Dass es das für die meisten Menschen nicht ist, liegt wahrscheinlich daran, dass es für den echten Mainstream eben doch zu linksintellektuell-horrorclownmäßig rüberkam. Das ist schade, denn so ein Album macht keine Band zweimal. So ein Album macht vielleicht kein Deutschrap zweimal. Deshalb wäre es unglaublich schade, wenn diese LP zur Fußnote seiner Geschichte degradiert würde.

Klingt ein bisschen wie:
K.I.Z.
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SXTN
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Persönliche Höhepunkte: Alles brennt | Ayahuasca | Plattenbau O.S.T. | Grauweißer Rauch | Endlich wieder Krieg | Guccibauch | Oi! | Agenturensohn | Schiffbruch

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