Montag, 22. Juli 2019

Goldenes Handwerk



[ organisch | psychedelisch | hippiesk | retro ]

Unter allen Gattungen der Rockmusik war Psychrock in den letzten zehn Jahren garantiert diejenige, die am meisten Fett ansetzte. Wenn man wollte, konnte man von 2010 bis jetzt so gut wie jeden Monat eine nostalgische Hippie-Space-Acid-Protometal-Band finden, die gerade irgendein heißes Album auf den Markt schleuderte. Von den wirklich einschlägigen wie King Gizzard & the Lizard Wizard oder Tame Impala über sehr gute wie Goat und Odd Couple bishin zu vernachlässigbaren Trittbrettfahrenden wie Blues Pills, Kadavar und gefühlt jeder skandinavischen Rockband zwischen 2011 und 2014 gibt es dabei eine extrem breit gefächerte Palette, die auch stilistisch sehr weit reicht. Um in diesem verkifften Rauschen einen wirklichen Unterschied zu machen, musste man als Schaffende*r schon mehr mitbringen als bloß den richtigen Nerd-Faktor und einen prominent platzierten Orange-Verstärker. Die wenigen Gruppen, über die man auch 2019 noch redet, sind in den meisten Fällen dann auch solche, die das Konzept Psychrock auf ihre Weise neu definierten und es damit ins 21. Jahrhundert übersetzten. Colour Haze aus München gehören als eine der wenigen großen Bands nicht dazu. Und zunächst mal gilt auch festzustellen, dass es sich bei ihnen keinesfalls um eine der besagten jungen Hype-Acts handelt. Mit über 25 Jahren erfolgreicher Karriere gehören die Bayern mit Leuten wie Motorpsycho und Monster Magnet zu den altvorderen Schlachtschiffen des Retro-Acidrock, an denen solche Trendwellen inzwischen nur noch abprallen. Dennoch brauchten sie bis 2012, um die eine Platte zu veröffentlichen, die ihrem Genie auch wirklich gerecht wird. Unter den vierzehn (!) Alben und EPs, die über die Jahre erschienen, gibt es zwar jede Menge Fan-Favoriten (Los Sounds de Krauts von 2003 und das selbstbetitelte von 2004 dürften darunter die größten Heiligtümer sein), doch wenn man mich fragt, ist keines davon so sehr Opus Magnum wie She Said. Über 80 Minuten großartiger Gitarrenrock, von denen absolut jeder Ton sitzt, der in jeder Zelle unfassbar groovt und der sich auch nicht immer auf das klassische Jam-Genudel der meisten Psychrock-Acts beschränkt. Dabei sind Colour Haze hier eigentlich alles andere als eine innovative Band. Mit ihren scheinbar endlosen instrumentalen Mäandern, dem blumig-verkifften Songwriting und einem exzessiv kultivierten Analogfetisch sind die Münchner so kredibil wie sehr wenige Acts in Europa und Originalität ist für ihre Musik kein Kriterium. Was sie aber so großartig macht ist ihre Organik und wie wunderbar alles bei ihnen ineinander fließt. Und auf keinem Album werden diese Parameter so zur Perfektion getrieben wie auf She Said. Der Sound dieser LP ist für mich das Optimum, das am Ende aller teuren Effektgeräte, Vintage-Amps, Vierkanalmischpulte und 180-Gramm-Vinylpressungen im Idealfall steht - quasi der Nektar von Gitarrenrock aus kontrolliert biologischem Anbau. Das Ergebnis aufwändiger Arbeit, die viele sich nicht machen, weil es ja heutzutage so viel effizienter geht. Wenn sich aber mal jemand die Mühe macht, so zu arbeiten, kommt mit viel Geduld und Spucke eine Platte wie diese dabei raus. Mit perfekt abgestimmten Höhen und Tiefen, mit genau richtig schrappeliger Distortion, mit herrlich dickem Bass und perfekt pappigem Schlagzeug. In besonderen Momenten auch mit kleinen Extras wie den Trompeten in Transformation oder den Backing-Vocals in Slowdown. Der gesamte Klang dieses Albums ist so unglaublich genial, dass es manchmal frustrierend ist, danach wieder anderen Bands zuzuhören. She Said hier ist das Maximum, das eine Produktion in meinen Augen leisten kann und gehört für mich inzwischen ohne jede Übertreibung zu den klanglichen Höhepunkten der Rockgeschichte. Besser als große Teile der originalen Psychrock-Acts aus den Siebzigern (was teilweise auch nicht wirkich schwer ist) und unglücklicherweise sogar besser als sie selbst. Wenn man man davon ausgeht, dass sich der Sound von Colour Haze seit den Neunzigern zu diesem Punkt hin entwickelt hat, könnte man ja meinen, dass danach alles viel einfacher für die Bayern geworden wäre. Leider ist dieser Zustand von ihnen jedoch nicht nur unerreicht geblieben, sie haben sich seitdem sogar zurückentwickelt. Wo To the Highest Gods We Know von 2015 noch eine sehr gute klangliche Variation der She Said-Ästhetik war, optimierte In Her Garden 2017 das Konzept mehr oder weniger kaputt und entblößte plötzlich die nervig-gniedelige Seite von Colour Haze. Daran sieht man, dass es manchmal Nuancen sind, die einen Geniestreich von einer muffigen Jam-Nudelei unterscheiden und dass man ersteres nicht einfach so wiederholt. She Said war der kurze Moment, in dem die Münchner nach den Sternen griffen und eine LP erschufen, die den gesamten Psychedelic Rock in anderthalb Stunden zu buckeln scheint. Später musste man feststellen, dass sie sich genau daran verheben und teilweise sogar ziemlich doof klingen können. Wunder passieren eben, aber meistens nur einmal. Wir können froh sein, dass es Colour Haze damals erwischt hat.

Klingt ein bisschen wie:
Motorpsycho
Here Be Monsters

Neu!
Neu!

Persönliche Höhepunkte: She Said | This | Transformation | Breath | Slowdown | Stand In... | Rite | Grace

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