Donnerstag, 11. Juli 2019

the Beast I Worship





















[ animalisch | avantgardistisch | entmenschlicht ]

Niemand ahnte schlimmes, als am 8. März 2011 eine experimentelle Hiphop-Gruppe aus Sacramento eine knapp halbstündige EP als kostenlosen Download auf ihrer Webseite veröffentlichte. Das Trio Death Grips, das zum damaligen Zeitpunkt gerade Mal vier Monate existierte, war ein Konglomerat aus altgedienten regionalen Szenemusikern, die außerhalb des Untergrunds kaum bekannt waren. Als ganz krasser Insider für avantgardistischen Noiserock kannte man vielleicht noch Zach Hill, der früher Drummer bei Hella war und unter anderem mit Boredoms, Marnie Stern und Omar Rodriguez-López zusammengearbeitet hatte, praktisch sprach aber alles dafür, dass auch dieses, wie viele seiner Projekte eine reine Szene-Angelegenheit für exklusive Weirdos bleiben würde. Was bedeutet hätte, dass vielleicht ein komplettes Jahrzehnt künstlerisch vollkommen anders verlaufen wäre, denn wie wir inzwischen wissen, sind Death Grips eine der Bands, die die letzte Dekade mit Sicherheit am wesentlichsten geprägt haben. Nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch mit ihrem Marketing, ihrem öffentlichen Auftreten, ihrer visuellen Ästhetik und ihrer gesamten Attitüde. Was die Kalifornier für die Meme-Kultur, für neue PR-Ansätze und internetbasierte DIY-Bewegungen getan haben, ist ein massiver Verdienst, der sich im Untergrund wie im Mainstream schon seit einigen Jahren abzeichnet. Death Grips sind lebende Legenden und echte Avantgardisten, das kann ihnen zum jetzigen Zeitpunkt niemand mehr absprechen. Und im Gegensatz zu vielen visionären Acts kann man das bei ihnen auch von der ersten Stunde an hören. Exmilitary, das quasi-offizielle Debüt der Kalifornier, ist trotz seiner noch etwas undefiniertes Ästhetik bereits voll mit den typischen Parametern, die die Band langfristig zu so einer Hausnummer gemacht hat: Der hektische, rappelnde und pumpende Sound, die elektronischen Baller-Riffs von Flatlander, die ruppige Punkrock-Attitüde, die geisteskranken Vocals von Frontmann MC Ride und die finsteren, misanthropischen Texte. Dinge, die einen glauben lassen, Death Grips wären von einem anderen Planeten und würden von allen popkulturellen Einflüssen völlig losgelöst funktionieren. Das ist natürlich nicht ganz richtig. Wer aufmerksam zuhört, bekommt hier Einflüsse von anderen experimentellen Rap-Kollektiven wie Dälek mit oder findet Ähnlichkeiten zum Industrial und IDM der frühen Neunziger. Auch die Samples auf diesem Album verraten einiges über die vielschichtigen Bezugspunkte der Gruppe. Von Charles Manson über Link Wray, Black Flag und Jane's Addiction bishin zu Air sind hier ein paar ziemlich seltsame Referenzen verarbeitet, die Death Grips schon hier weit außerhalb irgendwelcher Genre-Kontexte verorten. Und wie sie diese Dinge am Ende verarbeiten ist so unglaublich schräg, dass am Ende tatsächlich eines der innovativsten Alben der damaligen Zeit herauskommt. Man muss sich das mal vor Augen führen: 2011 war für die meisten Hiphop-Fans eine Platte wie My Beautiful Dark Twisted Fantasies das höchste Maß an Kreativität und die Indiekids waren noch im Retro-Loop der Zwotausender gefangen. Platten wie dieser hier ist es zu verdanken, dass solche Denkweisen aufgebrochen wurden und es auf einmal eine ganz neue Offenheit und Verspieltheit gab. Eng damit verbunden ist auch die auffällige Internetpräsenz von Death Grips. Allein der Sprung, den die Aufmerksamkeit für die Band von ihrer ersten EP zu Exmilitary machte, ist enorm, und dass ein so kurzlebiges Projekt wie dieses direkt danach bei einem Majorlabel unterschreibt, sieht man auch nicht alle Tage. Schuld daran ist die Marketing-Struktur der Band, die ebenso rotzig wie brilliant ist. Bis zu the Money Store (der ersten LP beim neuen Label Epic) waren alle Platten von Death Grips als kostenlose Downloads zu haben und User wurden ermutigt, sich in Form von Remixes und Memes damit auszutoben. Dinge wie das Video zu Guilliotine, Vocal-Snippets von MC Ride oder auch das Cover wurden somit rasend schnell zu wirksamen Running Gags, die die Aufmerksamkeit für das eigentliche Produkt immer weiter steigerten. In späteren Jahren wurde dieser Feedback-Loop in noch viel krassere Dimensionen getrieben, doch hier erlebt man Meme-Marketing in seiner grotesken Urform. Und die Musik trägt ihren Teil dazu bei. Zwar sind Death Grips schon hier unglaublich aggressiv und schwer verdaulich, doch kann mir niemand sagen, dass Tracks wie Takyon, Guilliotine oder Beware nicht unfassbar eingängig wären. Dazu Catchphrases wie "I am the beast I worship" oder notorische "It goes it goes it goes it goes"-Mantren und fertig ist ein bizarrer Hit, wie geschaffen für die postmoderne Satirekultur des Internetzeitalters. Neben Vaporwave und Soundclown-Mashups zählen die Kalifornier für mich im musikalischen Bereich ganz eindeutig zu deren Speerspitze. Der Einfluss dieser LP ist damit also absolut nicht bestreitbar und wenn man mich fragt, ist Exmilitary bis heute auch die beste Platte, die Death Grips je gemacht haben. Auf Alben wie No Love Deep Web oder Jenny Death haben sie ihren Sound und ihr künstlerisches Konzept zwar perfektioniert, aber nur hier waren sie so roh und grantig, dass man wirklich noch den Punk raushörte. Vielleicht ist hier deshalb auch der Schockeffekt am größten. Auf jeden Fall scheue ich mich nicht, diese LP schon jetzt einen Klassiker zu nennen, denn ihre Wirkung ist in der momentanen Popkultur ist einfach nicht mehr zu übersehen. Obwohl die meisten Leute es wahrscheinlich gar nicht mitkriegen.

Klingt ein bisschen wie:
Dälek
Asphalt for Eden

Show Me the Body
Body War

Persönliche Höhepunkte: Beware | Guilliotine | Spread Eagle Cross the Block | Lord of the Game | Takyon (Death Yon) | Klink | Culture Shock | I Want It I Need It | Blood Creepin

1000kilosonar bei Twitter

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