Montag, 8. Juli 2019

Monotonie ist eine Strategie





























[ langatmig | textintensiv | willkürlich ]

Die Arbeit von Mark Kozelek während der 2010er kann man gemeinhin in zwei Phasen einteilen: eine bis ungefähr 2015, in der er ein ziemlich detailverliebter und intensiver Singer-Songwriter mit Hang zu tragischem Storytelling war, die andere von 2015 bis jetzt, in der er ausgedehnte Stream-of-Consciousness-Monologe abhält, die er mit ein bisschen Musik unterlegt. Die Grenze dazwischen ist gar nicht mal so fließend, wie man vermuten mag: Sollbruchstelle ist die LP Universal Themes, die das Spiel, das Kozelek vorher mit lyrischen Zufallsprinzipien und gesprochenen Texten machte, zur Regel machte und einfach alle Strukturen fallen ließ. Seitdem geben seine Werke immer wieder Anlass zu der Frage, inwieweit man das hier überhaupt noch nach musikalischen Kriterien bewerten kann. Über Platten von ihm oder seiner Band Sun Kil Moon zu sprechen ist immer mehr so, als ob man über Bücher spräche und das Hörerlebnis konzentriert sich mittlerweile eigentlich ausschließlich auf das, was über die Texte vermittelt wird. Bei vielen hat dieser Stilbruch für Unbehagen gesorgt, weil durch die Willkürlichkeit des Gesagten viel von der Schönheit verloren ging, die Alben wie Benji so besonders machten. Ich allerdings bin auf eine ganz andere Art von ihnen begeistert, weil sie nochmal viel unmittelbarer und realer sind als vorher und eine Menschlichkeit präsentieren, die selbst die schönste Musikalität nicht ersetzen kann. Vor allem funktioniert die ganze Sache, weil Mark Kozelek eine so eigenwillige Persönlichkeit mitbringt, sich nicht scheut, auch mal anzuecken und über die eigene Dämlichkeit und Unzulänglickeit zu reden. Natürlich ist das ganze alles andere als Easy Listening und mit Alben, die gerne Mal über zwei Stunden gehen braucht es außerdem viel Geduld, um sich diesem Material zu nähern (vor allem mit Sprachbarriere), doch für mich lohnt es sich immer wieder. Ich könnte auf der Stelle mindestens fünf seiner LPs aufzählen, die mich nachhaltig fasziniert haben und die alle nach 2015 erschienen sind. Wenn es darum geht, welche davon meine liebste ist, dann ist es aber immer noch ganz klar diese hier. Nicht unbedingt, weil sie die besten Stories oder den besten Erzählstil hat, sondern weil das Gesamtkonzept hier besonders gelungen ist und diesmal sogar die Musik ziemlich fetzt. Dabei war das im Vornherein eigentlich ein eher unwahrscheinliches Szenario. 30 Seconds to the Decline of Planet Earth ist die zweite Kollaboration von Sun Kil Moon mit Justin Broadrick von Jesu (früher war er auch mal bei Napalm Death), die bereits im Jahr zuvor eine gemeinsame LP veröffentlichten. Auf dieser scheiterten sie ziemlich kläglich beim Versuch, Kozeleks Erzählstil mit apokalyptischen Drone-Klangwänden zu kreuzen (was nach Lulu von Lou Reed und Metallica beziehungsweise Soused von Sunn 0))) und Scott Walker hiermit dreifach als zum Scheitern verurteilt belegt wurde), weshalb ich damals eigentlich nicht besonders begeistert über ein weiteres Projekt der beiden war. Anscheinend hatten aber auch sie das bemerkt und stellten ihr Konzept für 30 Seconds fast gänzlich um, also zumindest was Broadricks Anteil angeht. Die klangliche Grundlage für diese Platte bilden neben den bei Sun Kil Moon üblichen akustischen Arpeggio-Gitarren einige ambiente elektronische Instrumentals, die entfernt an Aphex Twin oder Kraftwerk erinnern und eine ganz neue Ausdrucksform für Kozeleks Texte sind. Man muss dafür wissen, dass jener neue Stil, den ich oben beschrieben habe, Anfang 2017 sozusagen noch in der Betatestphase war. Universal Themes von 2015 war als Anfangspunkt noch ziemlich ruppig und langweilig und zwischen diesem Album und 30 Seconds erschien nur besagte erste Jesu-Kollaboration, ein Coveralbum und das etwas klobige (aber schon sehr gute) Common As Light and Love Are Red Valleys of Blood. Was die beiden hier machen, ist in meinen Augen also das erste Mal, dass die Idee von Sun Kil Moon als akustisch unterlegtes Spoken Word-Projekt wirklich zündet. Dabei geschieht hier noch etwas wichtiges: Auf den Platten zuvor wurden die langen Monologe, die teilweise weit über zehn Minuten in Anspruch nehmen, immer wieder durch unterhaltsame und kurze Zwischenteile und Songs mit traditioneller Sturktur aufgebrochen, was im Nachhinein einfach nur inkonsequent war. 30 Seconds ist die erste LP, die ihre Monotonie stattdessen als Stärke begreift und sie nicht mindert, sondern anheizt. Broadricks Elektro-Motive sind zum Teil extrem repetetiv und minimalistisch, was den Texten hier nur noch mehr Platz einräumt und sie endgültig zum Fokuspunkt macht. Das ist aber in keinem Moment langweilig, sondern verleiht der Platte eben genau den Hörbuch-Charakter, der ihre Nachfolger für mich so toll macht. Die Folge daraus sind dann eben genau diese tollen und komplexen Song-Kurzgeschichten, in denen sich Kozeleks Persönlichkeit zementiert. Twenty Something ist ein Stück, in dem er sich über einen jungen Autoren lustig macht und dessen mangelnde Lebenserfahrung ankreidet, ihn schlussendlich aber ermutigt und ihm dankt. In You Are Me and I Am You geht es um seinen Vater und wie ähnlich sich die beiden mit zunehmendem Alter werden. He's Bad liefert bereits Jahre vor Leaving Neverland eine sehr akkurate Zusammenfassung des Problem-Celebritys Michael Jackson. Und A Dream of Winter ist eine fast romantische Weihnachtsgeschichte darüber, sich zwischen den Jahren endlich mal auf die faule Haut legen zu können. Obwohl all diese Geschichten auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben, zeigen sie als Gesamtheit einen kleinen Einblick in den Charakter dieses Typen, der da singt. Manchmal ein bisschen griesgrämig, manchmal auch ein Arsch, aber dann auch wieder sehr verständnisvoll und unkompliziert. Sowas erlebt man bei der wenigsten Popmusik und es reicht definitiv, um Mark Kozeleks Schaffen stilistisch vom gesamten Rest der Mischpoke abzuheben. Aus der heutigen Perspektive kann ich definitiv sagen, dass er einer meiner größten musikalischen Held*innen der letzten 10 Jahre ist, vor allem durch den Output der letzten drei bis vier Jahre. Dieses Album kann man dabei als eine Art Einstiegspunkt verstehen, mit dem man als Neuling vielleicht am besten anfängt. Alles danach ist nur was für Leute, die dieses Zeug mögen. Die anderen können ja immer noch Benji hören.

Klingt ein bisschen wie:
Underworld & Iggy Pop
Teatime Dub Encounters

Henry Rollins
Think Tank

Persönliche Höhepunkte: You Are Me and I Am You | Wheat Bread | Needles Disney | He's Bad | Bombs | Twenty Something | A Dream of Winter

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