Dienstag, 20. Juni 2017

This Girl is On Fire

Im November diesen Jahres wird Ella Yelich-O'Connor aus Auckland, Neuseeland, 21 Jahre alt. Ein Alter, in dem ich gerade mal ein gutes Jahr lang studiert haben werde, nicht weiß, wann ich das nächste Mal umziehen muss und meine finazielle Existenz von Sachbearbeiter*innen des lokalen BAFöG-Amtes abhängig ist. Ella hat stattdessen schon mit 16 ein Nummer-Eins-Album veröffentlicht, ist zum sicherlich größten bisherigen Popstar ihres Heimatlandes geworden und hat die Art und Weise, wie wir den Mainstream 2017 wahrnehmen, entscheidend geprägt. Das Phänomen, das sich Pure Heroine nennt, ist auch heute, gut vier Jahre später, noch ziemlich unfassbar und ziemlich faszinierend. Lorde ist mit ihrem vehement gegen den Strich gebürsteten, eigentlich völlig radiountauglichen Debüt (das ich tatsächlich auch ein winziges bisschen langweilig fand) nicht nur zur seelischen Stimme zigtausender Millenials geworden, sondern hat auch die Musikindustrie mehr als einmal ordentlich durchgekerchert. Nach dem Riesenhit Royals von 2013 wollten plötzlich alle großen Namen im Mainstream auch so eine schick introvertierte, minimalistische Understatement-Platte haben, beziehungsweise mussten es. Und auf einmal waren Justin Bieber, Zayn Malik, Beyoncé Knowles und sogar Britney Spears genauso einsam und missverstanden wie das Mädchen aus Auckland. So ein Zufall. Doch was war mit Lorde selbst in all dieser Zeit? Während die Welt (nicht nur die der Musik) scheinbar auf jede ihrer Bewegungen fixiert war, machte diese sich mehr und mehr rar. Abgesehen von ein paar Features und Soundtrack-Beiträgen gab es absolut nichts zu hören und je mehr die Fans nach neuem Material lechzten, desto weniger passierte. Die Erlösung kam dann endlich Anfang diesen Jahres mit dem Song Green Lights. Wobei Erlösung vielleicht das etwas falsche Wort dafür ist, denn eigentlich war vieles daran eher verstörend. Von Understatement und introvertiertem Minimalismus war hier nicht mehr viel zu hören, der Track war eher ziemlich geladen. Es klang, als wäre Lorde selbst zu einem der Popstars geworden, die sie eigentlich schon besiegt hatte. Und nachdem man den ersten Schock verdaut hatte, wurde man nicht wirklich schlau daraus. Auch die nächsten Singles Liability und Sober waren in dieser Hinsicht nicht wirklich hilfreich. So langsam beschlich mich also das Gefühl, dass für das kommende Album Melodrama mein persönliches Worst Case-Szenario eintreten würde: Nämlich, dass es belanglos sein würde. Und bis zu seiner Veröffentlichung wurde dieses Gefühl nur noch stärker. Zum Glück ist diese Künstlerin aber wieder mal schlauer, als wir alle vermutet haben und hat mir bewusst diese Falle gestellt. Nur damit ich feststelle, wie alles auf der fertigen LP plötzlich Sinn ergibt und doch ganz wunderbar funktioniert. Zwar ist Melodrama mit Sicherheit das bisher hedonistischste Projekt, das sie gemacht hat und ja, einigen Fans des Debüts wird das übel aufstoßen, doch dieser Schritt geschieht in keinem Moment unüberlegt. Man kann vielen dieser Songs anfühlen, dass die Songwriterin hier jede Menge Herzblut reingesteckt hat und dieses Album wirklich machen wollte. Das entschuldigt vielleicht nicht, dass ihr Gesangsstil zu puckernden Dancepop-Hymnen und R'n'B-Feuerwerken nicht so richtig passen will, aber diese Tatsache einfach zu ignorieren, ist nicht die schlechteste Lösung. Und wenn dafür Songwriting, Gesamt-Flow und Kreativität auf diesem Level sind, passt das schon. Zumindest für mich ist es gerade dadurch genau das richtige: Mit Pure Heroine wurde ich nie so recht warm, weil ich es ziemlich monoton fand und diesen Vorwurf kann man der neuen Platte keineswegs machen. Viel eher versucht Lorde hier ein paar Sachen zu viel, was aber auch wurscht ist, weil sie die verschiedenen Stile so gut verschachtelt, dass das Album in keinem Moment fremdelt. Ganz nebenbei ist sie textlich mal wieder herrlich unverblümt und schafft es erneut, haufenweise frustrierten Twens aus dem Herzen zu sprechen. Empowerment sollte einer ihrer vielen Vornamen werden. So weit so gut. Doch wirklich restlos begeistert bin ich von der Künstlerin auch hier noch nicht. Was Lorde kompositorisch im Vergleich zum Vorgänger gewonnen hat, das hat sie klanglich verloren. An vielen Stellen der Platte ahnt man, auf was dieser bestimmte Moment jetzt hinaus wollte, doch bleibt der Song dabei meistens irgendwie stecken und kann sich nicht richtig entfalten. In Sachen Instrumentierung wurden hier teilweise sehr billig klingende Sounds verwendet, was der angedachten Größe vieler Stücke nicht entspricht. Das fällt besonders in zurückhaltenden Cuts wie Liability oder Writer in the Dark auf, die sich einfach zu sehr auf diese mittelmäßige Klanggestaltung verlassen. Es mag wie eine Kleinigkeit erscheinen, doch es ist mir während der gesamten 40 Minuten des Albums immer wieder aufgefallen. Und wenn ich mich frage, was mich im Endeffekt daran gehindert hat, diese LP so zu genießen, wie ich es gern getan hätte, ist dieser Faktor der springende Punkt. Dennoch ändert dieser Umstand nichts daran, dass mich Melodrama positiv überrascht hat. Dafür, dass ich vorher glaubte, es hassen zu müssen, mag ich es doch sehr gerne und in manchen Belangen ziehe ich es Pure Heroine sogar vor. Mit dieser Platte ist es nicht mehr ganz so krass, sich Lorde als Popstar vorzustellen, doch sie bleibt noch immer eine Kuriosität des Mainstream-Kosmos. Nächste Woche wird dieses Album wahrscheinlich irgendwo auf Eins gehen und es hat etwas schönes, dass das 2017 niemanden mehr wundert. Auf diesen Lorbeeren darf Frau Yelich-O'Connor sich ruhig ein bisschen ausruhen.





Persönliche Highlights: Green Light / the Louvre / Hard Feelings / Loveless / Sober II (Melodrama) / Perfect Places

Nicht mein Fall: Writer in the Dark

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