Samstag, 4. April 2020

What's A Sufjan Gonna Do?

[ ätherisch | elektronisch | unstet ]

Es fällt in der allgemein vorherrschenden und zumeist auch gerechtfertigten Verehrung für das Schaffen des Songwriters Sufjan Stevens meistens nicht so richtig auf, doch wenn man sich die letzte Dekade mal genauer betrachtet, wird sehr schnell klar, dass er eben dieser Songwriter schon lange nicht mehr so richtig ist. Nicht weil er sich stilistisch groß verändert hätte, auch in den Zwotausendern war er für wesentlich mehr zu haben als den hymnischen Konzeptfolk seiner wichtigsten Platten, doch ist er genau darin einfach nicht mehr ansatzweise so gut. Seine letzte universell gefeierte LP the Age of Adz stammt von 2010 und ist stilistisch auch eher der finalen Phase seines Nuller-Outputs zuzuordnen, denn was nachher passierte, war vor allem viel Nichts. 2014 veröffentlichte er unter dem Namen Sisyphus eine fürchterbare Hiphop-Kollaboration mit Son Lux und Serengeti, 2017 kam er mit Bryce Dessner von Interpol und Nico Muhly auf einem fast neoklassischen Projekt zusammen und mit Carrie & Lowell erschien 2015 das einzig relevante größere Projekt von ihm als Solokünstler, das in meinen Augen aber stark im Schatten seiner genialen Frühphase steht. Wenn man mich fragt, waren es vor allem die kleineren Unternehmungen wie die Soundtrack-Arbeiten zu Call Me By Your Name oder die beiden Tonya Harding-Singles, in denen der Songwriter wirklich überzeugend war. Und zu Beginn dieses strukturell neuen Zeitabschnitts steht für mich ein wenig die Frage: Wer ist der Sufjan Stevens von 2020 und wo will er musikalisch hin? Eine Frage, auf deren Beantwortung ich vermutlich noch ein wenig warten muss, denn seine neueste LP Aporia ist in dieser Hinsicht eher kontraproduktiv. Wobei sie das auch sein darf, denn schließlich ist sie kein astreines Soloprojekt des Detroiters. In gewisser Weise kann man das, was hier passiert in zwei Richtungen einordnen. Einerseits als eine weitere Kollaborationsarbeit von Stevens, die in den letzten Jahren ja ein bisschen seinen Haupterwerb darstellten, zum anderen als indirektes Spinoff zu Carrie & Lowell, denn mit Lowell Brams ist hier niemand geringeres als Sufjans Stiefvater mit dabei, der dort als wesentlicher Protagonist auftritt. Brams selbst ist schon seit den Achtzigern als Musiker aktiv und gründete gemeinsam mit Stevens deren gemeinsames Hauslabel Asthmatic Kitty, das er bis heute leitet. 2009 erschien dort sein erstes offizielles Soloalbum Music for Insomnia, in dem er einen ähnlich ambienter New Age-Sound vorstellte, wie er nun auch auf dieser LP zu finden ist. Und an dieser Stelle muss ich definitiv die erste Warnung für Sufjan-Fans aussprechen, die hier ein neues Album von ihm erwarten: Aporia ist klanglich eher ein Brams- als ein Stevens-Ding. Klar haben beide Künstler prinzipiell einen gleichberechtigen Anteil an diesen Kompositionen, doch die prägende Ästhetik ist doch die der Musik des Stiefpapas, was einige vielleicht verstören könnte. Und obwohl ich darin in keinster Weise ein prinzipielles Problem dieser Platte sehe, bin ich vom Gesamtergebnis doch größtenteils sehr ernüchtert. Denn in den meisten Momenten weiß Aporia einfach nicht so richtig, wohin mit sich selbst. Es wäre ja die eine Sache gewesen, wenn die beiden hier einfach beschlossen hätten, ein geruhsames Ambient-Album im Stil der Eno-Brüder aufzunehmen, das etwas atmosphärische Qualitäten hat und zu dem die zwei mit Sicherheit fähig gewesen wären. Doch scheitert vieles hier daran, dass es eben oft mehr sein will als das. Immer wieder brechen Songs hier in ein rhythmisches IDM-Geholper als, das vielleicht an Four Tet oder Aphex Twin erinnern soll, meistens aber einfach nur für Chaos sorgt und unangenehme Unruhe in die Platte bringt. Auch Momente wie die Postpunk-Gitarre in Eudaimonia oder die B-Movie-Synths in Agathon wirken oft völlig fehl am Platz und lassen die Frage aufkommen, was hier eigentlich der Plan war. Wie ein durchgängig geplantes Album klingt Aporia in den wenigsten Momenten, meistens eher wie ein lose gepanschter Sampler, ein fiktiver Soundtrack oder manchmal auch nur eine Ansammlung von Vignetten und Ideen. Und in jeglicher Hinsicht muss ich dabei sagen, dass hier das Thema verfehlt wurde. Wäre das Vorhaben gewesen, eine tatsächlich gehaltvolle LP an den Mann zu bringen, hätte es wesentlich mehr gebraucht, um diese aus der grundsätzlichen Ätherik zu katapultieren und war ein plätscherndes Ambient-Projekt das Ziel, gibt es hier zu wenig, dass die einzelnen Songs zusammenhält und festigt. Was schlussendlich zur Folge hat, dass Aporia an vielen Stellen entweder langweilig oder unfertig klingt und eine Sache ist, die bei beiden Künstlern leider nicht zum ersten Mal auftritt. Im Falle von Stevens muss man sogar sagen, dass ich seit dem Sisyphus-Projekt nicht mehr so enttäuscht von ihm war, und das war wirklich grauenhaft. Egal was also sein Plan für die kommenden Jahre ist, die Formkurve sinkt an dieser Stelle direkt schon wieder. Und ich bin mir nicht sicher, wie lange ich diesen Zustand verkrafte, wenn es nicht demnächst wenigstens wieder einen guten Filmscore von ihm gibt.



Hat was von
Four Tet
New Energy

Tim Hecker
Love Streams

Persönliche Highlights
the Runaround

Nicht mein Fall
Agathon | Afterworld Alliance | Eudaimonia


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