Mittwoch, 1. April 2020

Bayou Blood

[ melancholisch | emotional | mystisch ]

Es sind in den letzten Jahren schon ein paar echt seltsame Gesichter gewesen, die sich Jack White als exklusive Signees auf sein rennomiertes Third Man-Label holte, wie den clownesken Retro-Blues-Hardliner Pokey LaFarge, den schrägen Ambient Pedal-Steel-Virtuosen Luke Schneider oder die Stonerrock-Legende Sleep. Und häufig hatte man schon zuletzt das Gefühl, dass der Willy Wonka unter den Labelchefs in seinem Katalog langsam aber sicher ein kleines Kuriositätenkabinett wunderlicher Rock-Acts zurechtsammelt. Dass mit the Gonzalez Lights seit neuestem auch eine Posthardcore-Band zu diesen Auserwählten gehört, ist jedoch selbst für seine Verhältnisse etwas ungewöhnlich und provoziert die Frage, was eine junge Formation wie sie denn in Whites heilige Hallen treibt. Und wie so oft lautet die Antwort darauf: Weil sie eben etwas besonderes sind, und vielleicht auch nicht unwesentlich deshalb, weil sie mit ihrem sehr eigenwilligen künstlerischen Ansatz womöglich Whites persönliches Interesse treffen könnten. Denn wie es der Zufall will, teilen sich die Gonzalez Lights eine wesentliche Leidenschaft mit ihrem neuen Chef: Die Liebe zum Blues. Und auf Flotsam Memory, dem zweiten Album der Gruppe aus Baton Rouge, ist das tatsächlich nicht nur verborgene Leidenschaft, sondern ganz konkreter musikalischer Einfluss. Es ist dabei eine müßige Frage, ob die neun Songs dieser LP jetzt eher emotional aufgeladener Hardcore mit sehr starken Blues-Einschlägen ist oder die Formel andersrum funktioniert, weil ehrlich gesagt beides nicht so richtig den Sound dieser Band beschreibt. Strukturell gesehen ist diese Platte eher vom Schlag eines Zeal & Ardor-Projektes, insofern diese beiden Stilrichtungen hier lediglich zwei klare Pole darstellen, die in verschiedenen Songs auf diverse Weisen zueinander finden, wobei das meiste eher ein Zwischending ist. Es gibt sowohl klassische Core-Bretter wie den Opener Ghost Light oder das etwas nach La Dispute klingende Jeff Arnolds, als auch sehr traditionelle Blues-Momente, die vor allem als kleinere Motive in diversen Tracks stattfinden. Innerhalb dieses Spektrums gibt es aber vor allem viele Verbindungselemente, wie das fast klavierballadige 57 French Town Road, Lafayette oder Fruits of the Blood, das mit vorsichtigen Elektro- und Industrial-Einflüssen spielt. Eine Coverversion von John Lee Hookers Canal Street Blues hingegen endet hier in einer Form, die fast ein wenig an die ganz alten Modest Mouse erinnert. Musikalisch ist Flotsam Memory also schon mal wesentlich mehr als die Summe seiner Teile. Und auch die Lyrics dieser Platte sind in dieser Beziehung nicht ganz ohne. Sänger Greg Hempsted, seinerseits ein großer Verehrer des Songwritings von Jordan Dreyer, nutzt auch inhaltlich sehr intensiv die Stilpalette des Blues, wobei seine Stücke eher ein kollektives und gesellschaftspolitisches Elend beschreiben, das in direkter Verbindung mit seiner Heimat Louisiana steht. Vor allem geht es dabei um die immer wieder aufkeimenden Konflikte der Vergangenheit und das Vermächtnis von Sklaverei und Rassentrennung im Süden der USA, aber auch um Migration, Gangkriminalität, religiösen Fanatismus und das Versagen der Politik gegenüber diesen Problemen. Ähnlich wie Dreyer beschreibt Hempsted diese Zustände anhand von Einzelschicksalen und Anekdoten und stellt dabei immer wieder den Bezug zur eigenen emotionalen Ohnmacht her. Das ist prinzipiell eine sehr clevere Herangehensweise und als Konzept ist Flotsam Memory große Klasse, ich würde aber lügen, wenn ich sage, dass the Gonzalez Lights das hier auch einwandfrei umsetzen. Auf klanglicher Ebene ist vieles hier leider noch nicht so richtig ausgegoren und so cool die Stilkombination dieser verschiedenen Elemente in der Theorie ist, wirklich harmonisch passt so manches hier noch nicht ineinander. Wenn in Spanish Moon, the House is On Fire aus heiterem Himmel ein Mundharmonika-Solo einsetzt oder Hempsted am Ende des Titelsongs seine heißere Screamo-Performance über halbakustische Gitarrenparts hinlegt, wirkt die Zweckheirat von Hardcore und Blues manchmal doch etwas zu gewollt und dass einige Stellen wirklich sehr nach La Dispute klingen, ist ebenfalls ein Manko. Allerdings keines, was vom Prinzip her nicht lösbar wäre. Die Gonzalez Lights stürzen sich auf dieser LP immerhin in ein sehr waghalsiges musikalisches Experiment und dass das in den meisten Momenten aufgeht, ist ja schon mal eine kleine Sensation. Und wenn das beim ersten Versuch so gut funktioniert, sehe ich eine vergleichsweise kleine Hürde darin, die hier noch auftretenden Schwachstellen auf kommenden Platten auszubügeln. Insofern das auch dem Plan der Band entspricht und sie das hier nicht nur als einmaligen Exkurs verstehen.

Nachtrag: Der größte Haken an der Sache mit den Gonzalez Lights und diesem Album ist ja eigentlich auch, dass ich mir die ganze Nummer von vorn bis hinten erstunken und erlogen habe und nichts von beidem in Wirklichkeit existiert. Einen schönen ersten April!



Hat was von
Zeal & Ardor
Devil is Fine

La Dispute
Rooms of the House

Persönliche Höhepunkte
Ghost Light | Fruits of the Blood | Jeff Arnolds | 57 French Town Road, Lafayette | No Holy Waters | Flotsam Memory

Nicht mein Fall
Canal Street Blues


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