Sonntag, 5. April 2020

Schmeckt der Kopf nach Füße

[ kunstig | niedlich | verrückt ]

Man denkt ja am Anfang immer erstmal, dass man eine sehr erfreuliche Entdeckung gemacht hat, wenn man dieser Tage auf einen Vertreter des Archetyps "Niedliche, witzige Indiepop-Band mit deutschen Texten" trifft, die sich in den letzten Jahren exponentiell zu vermehren scheinen und zu denen natürlich auch eine Gruppe mit dem selten dämlichen Namen Acht Eimer Hühnerherzen gehört. Da diese in den meisten Fällen eine ziemlich niedrigschwellige Form von Schnuffel-Folkpunk mit einer Attitüde zwischen Riot Grrrl-Punk, Neuer Deutscher Welle und Kinderliedern für Prenzelberg-Muttis machen, ist besagter erster Eindruck auch für mich stets einer, dessen ich mich häufig nur schwer erwehren kann. Und tatsächlich muss ich zugeben, dass ich mit Acts wie Schnipo Schranke, Blond oder Baumarkt in der Vergangenheit auch viel Spaß hatte. Aber: Ich muss der Ehrlichkeit halber zugeben, dass die wenigsten dieser Gruppen es in dieser Zeit geschafft haben, meine anfängliche Begeisterung auch langfristig aufrecht zu erhalten. Wenn ich heute beim zwölften WG-Kochabend zum zwanzigsten Mal Songs wie Pisse oder Spinaci höre, ist das schon lange nicht mehr so großartig wie einst und zeigt mir sehr deutlich, welche kurze Halbwertszeit ein Großteil dieser Musik tatsächlich hat. Und obwohl das prinzipiell nicht meine Lust mindert, in dieser Richtung neues zu entdecken, habe ich mir doch eine gewisse Vorsicht dabei angewöhnt. Und im Falle der hier vorliegenden Platte ist das sicherlich eine gute Entscheidung gewesen, denn was dieses Trio aus Berlin auf seinem halbstündigen Debüt macht, birgt durchaus gewisse Gefahren. Wobei diese tatsächlich vor allem damit zu tun haben, dass sie an und für sich sehr gut darin sind, Songs zu schreiben. Fast jedes der immerhin 14 Stücke auf Album überzeugt durch eine extrem eingängige Melodik, kann gute Hooks vorweisen und zeugt in gewisser Weise auch von viel kompositorischem Charisma. Schon die wenigen Durchläufe, die ich mit der LP bisher hatte, verursachten einige ziemlich hartnäckige Ohrwürmer und rein musikalisch macht das meiste hier großen Spaß. Doch liegt gerade darin auch die bösartige Täuschung. Denn eine besonders nachvollziehbare Band sind Acht Eimer Hühnerherzen in keinem Fall. Wo ihre nächsten klanglichen Verwandten Schnipo Schranke zwar auch etwas rätselhafte Texte schreiben und immer ein bisschen um die Ecke denken, kann man bei denen doch zumindest grobe Narrative ausmachen, was mir bei diesen Songs bisher nur sehr selten gelingt. Die BerlinerInnen haben coole lyrische Vignetten, die irgendwie sehr gebildet und kunstig daherkommen und zumindest Teilweise auch Ursprünge in soziologischen Theoriegespinsten zu haben scheinen (siehe das durkheim'sch angehauchte Gesellschaftstanz), doch meistens sind es eben auch nur Vignetten und keine zusammenhängenden Texte. Es gibt Stücke wie Somnambulismus oder Endlich Fluchen, in denen man vielleicht die Illusion bekommt, es ginge hier um irgendwas, aber auch solche wie Zahlen oder Hallo, in denen die Band anscheinend einfach nur mit sexy klingenden Fremdwörtern um sich wirft. Und das ist prinzipiell nicht das Problem, sehr gute Acts wie Dÿse oder Messer machen das auch, nur wirkt das bei denen nicht so pretenziös und forciert. Erschwerdend hinzu kommt, dass die Reime auf dieser Platte teilweise wirklich furchtbar sind und den Tracks dadurch bei aller Eloquenz eben doch etwas sehr stumpfes anhaftet. Was bedeutet, dass wenn ich schon einen Ohrwurm haben muss, ich wenigstens einen nachvollziehbaren Song dafür haben möchte und nicht so ein willkürliches Konstrukt wie Polenböller oder Zement. Dass Album als solches nicht das Produkt ist, das mich von Acht Eimer Hühnerherzen überzeugt, muss aber nichts heißen. Denn hinter allem kunstigen Gewäsch und inhaltslosem Tralala erkenne ich hier zumindest das Potenzial, echt gute Musik zu machen. Bei dieser Gruppe mangelt es ganz offenkundig nicht an Talent oder gutem Songwriting, sondern einfach an der inhaltlichen Ausrichtung, und das ist eine Sache, die sich definitiv noch entwickeln kann. Schließlich reden wir hier gerade Mal vom Debüt der BerlinerInnen, das ja ruhig noch etwas rumpelig sein darf. Es könnte mit dieser Band also eventuell noch spannender werden als hier. Obwohl ich sie jetzt schon dafür hasse, dass ich den Refrain von Gesellschaftstanz bis zu ihrer nächsten Platte wahrscheinlich nicht mehr aus dem Kopf kriege.



Hat was von
Schnipo Schranke
Satt

Chérie bring mir den Fisch ans Bett
Braaaaaaaaa Tapes

Persönliche Höhepunkte
Somnambulismus | Gesellschaftstanz | Reprise

Nicht mein Fall
Immer schlimmer | Zahlen


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