Donnerstag, 9. April 2020

Wer zu spät kommt

[ progressiv | chaotisch | energisch ]

Es gab in den acht Jahren, die ich nun inzwischen schon über Musik schreibe, jede Menge Platten, bei denen ich mich im Nachhinein doch sehr ärgere, dass ich über sie letztendlich nicht geschrieben habe, obwohl ich sie ihrerzeit auf dem Schirm hatte. Wobei den weithin überwiegenden Teil dieser imaginären Liste Debütalben ausmachen dürften, was ja auch einer gewissen Logik folgt. Zum einen, weil ich generell jemand bin, der meistens erst den späteren Output eines Acts gut findet und zweitens, weil man bei Erstlingswerken gerne noch etwas unsicher ist. Nur in den seltensten Fällen entpuppt sich eine Entdeckung, die man auf einem halbwegs guten Einstand gemacht hat, auch tatsächlich als glücklicher Treffer, der mit wachsender Diskografie reift und nicht als Eintagsfliege, die danach langsam versandet. Und im Zweifelsfall entscheide ich mich immer lieber dafür, noch abzuwarten. Nur gibt es manchmal Künstler*innen wie Rosalía, Big Thief, Idles oder eben Yves Tumor, deren Debüt am Ende doch sehr wesentlich das prägt, was in näherer Zukunft ihren guten Ruf ausmacht. Und gerade was diesen britischen Künstler angeht, habe ich eine echte Lücke. Nach seinem umjubelten Warp-Erstling Safe in the Hands of Love von 2018 war schnell klar, das viele hier einen der spannendsten Newcomer der letzten Jahre ausgemacht hatten und auch ich fand die Platte ernsthaft gut. Gleichzeitig unterschätzte ich aber das massive positive Echo, welches der Brite dafür einfahren würde und erwähnte es nur drei Sätze lang in einem Schnelldurchlauf. Blöd gelaufen, da genau diese LP ihn rückblickend als einen unfassbar spannenden Elektronik-Künstler mit echten Sporen in der experimentellen Artpop-Szene zeigte, der sich hier mit einem Paukenschlag ins Feuilleton durchboxte. Safe in the Hands of Love war der Punkt, der für seine Karriere extrem wichtig war und ich war gefühlt nicht dabei. Und nun zwei Jahre später auf seinem nächsten Longplayer mit ihm anzufangen, fühlt sich irgendwie falsch an. Zumal der zusätzlich das Problem hat, dass er nicht halb so gut ist wie die letzte Platte. Wo Yves Tumor 2018 ein Typ war, der mehr war als die Summe seiner Teile und hinter seinem souligen Big Beat-Sound Einflüsse aus Prog, Hiphop und Indierock versteckte, ist Heaven to A Tortured Mind nun nicht nur wesentlich direkter, sondern auch eine ganze Ecke schlumpiger. Der Brite versucht sich hier an einer ziemlich bewährten Mischung aus Soul, R'n'B und Jazz, die man ähnlich schon von Childish Gambino oder Serpentwithfeet kennt und die hier höchstens ein bisschen rustikaler und experimenteller ausgeführt wird. Die Beats sind etwas rockiger und fetter, die Nähte zwischen den Samples gröber und generell muss hier nicht immer alles Hi-Fi sein. Zwischendrin gibt es auch immer wieder ein Prince-artiges Gitarrensolo oder einen cineastischen Bläsersatz, aber nichts davon hat einen besonders großen Aha-Effekt für mich. Und an und für sich wäre das ja okay, wenn es hier wenigstens gute Songs gäbe, doch ist auch das leider nicht immer der Fall. Mit Gospel for A New Century oder Kerosene gibt es deutliche Höhepunkte auf dieser LP, die Spaß machen, aber meistens nur deshalb so klasse sind, weil sie sich von einem großen Pool aus weniger coolen Ideen absetzen. In verschiedenen Songs hier wird sich eher an klassischen und weniger bombastischen Strukturen probiert, die im Vergleich zu Yves Tumors eigentlichem Potenzial ziemlich wie Füllmaterial klingen und melodisch meistens eher durchwachsen sind. Und obwohl diese kompositorisch mit sehr viel Understatement daherkommen, wird auf sie die gleiche grantige LoFi-Schnipseldynamik angewendet wie bei allen Songs, was sie irgendwie sehr unordentlich und chaotisch wirken lässt. Das hat zur Folge, dass man hier häufig nicht weiß, wo ein bestimmter Track mit seinen Ideen eigentlich hin will und man schnell angestrengt ist. Was wiederum darin resultiert, dass selbst die äußerst knapp bemessenen 36 Minuten dieser Platte sehr enervierend und lang werden können. Sicher muss man dabei beachten, dass Yves Tumor nie jemand war, der große Hits schreiben wollte, doch hatte er auf seinem Vorgänger wenigstens einen Grund, das nicht zu müssen. Heaven to A Tortured Mind hingegen ist kompositorisch angepasster und zahmer, was experimentelle Eskapaden und umfassende Originalität ein bisschen verhindert. Und dann nicht das Songwriting zu haben, das diese Neuerungen abfängt, entpuppt sich als ungünstig. Vieles an diesem Album wirkt undurchdacht und man hat hier nicht das Gefühl, einem visionären Newcomer zuzuhören, sondern einem verzettelten Hochstapler, der seine halbfertigen Mutationen als große Kunst verkauft. Durch das tolle Debüt weiß ich, dass das nicht der Fall ist, aber es ist schon enttäuschend, Yves hier so zahnlos zu hören. Und es ist noch enttäuschender, dass ich hierfür mehr Zeit investiert habe als für die Platte, bei der es sich eigentlich gelohnt hätte. Ich will nicht sagen, dass ich den Typen jetzt schon abschreibe, schließlich hat er nach wie vor großes Potenzial. Nur wäre ich jetzt nicht mehr überrascht, wenn Yves Tumor doch nicht die Karriere einschlägt, die so viele ihm vor zwei Jahren voraussagten und einer der Leute wird, die auf ihrem Debüt am besten waren.



Hat was von
Childish Gambino
3.15.20

Prince
Purple Rain

Persönliche Highlights
Gospel for A New Century | Kerosene | Asteroid Blues | A Greater Love

Nicht mein Fall
Dream Palette


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