Dienstag, 24. März 2020

Glover in weiß

 [ intensiv | vielschichtig | ambivalent ]

Ich will ehrlich sein: Ich hatte nach den Ereignissen der letzten Jahre eigentlich nicht damit gerechnet, dass es so zeitnah ein vollwertiges neues Album von Donald Glover geben würde und ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt eines gewollt hätte. Ganz einfach, weil ich nicht gedacht hätte, dass er am Ende so berechenbar sein würde. Aber bevor ich mir gleich mit den ersten beiden Sätzen dieses Artikels den Hass diverser Gambino-Fans zuziehe, möchte ich mich diesbezüglich erklären. Denn dass ich so empfinde, bedeutet wahrscheinlich nicht das, wonach es klingt. Und es hat auch weniger mit meiner persönlichen Einstellung gegenüber Glover zu tun als mit dem Künstler selbst. Einem Künstler, der gerade in den vergangenen Jahren niemand war, der sich durch Vorhersehbarkeit auszeichnete, in mehr als einer Hinsicht. Da ist zunächst mal die Tatsache, dass es sich bei ihm nicht nur um einen begnadeten Musiker, sondern eben auch um einen begnadeten Schauspieler, Comedian, Drehbuchautor und Regisseur handelt, der höchstwahrscheinlich auch noch Nierentransplantationen durchführen und Eiskunstlaufen kann. Was bedeutet, dass er von jedem Moment in seiner Karriere ab auch locker zehn Jahre keine Musik machen könnte und trotzdem extrem erfolgreich und beliebt wäre. Was ein neues Album von ihm zunächst mal nicht notwenig gemacht hätte. Und was zu dieser fehlenden Notwendigkeit noch dazukommt ist der Faktor, dass Glover künstlerisch schon immer äußerst sprunghaft war und sich selbst selten in die kreative Enge fester struktureller Kontexte begab. Weshalb ein Release-Prozedere wie zuletzt 2018, als er lose eine Reihe von Singles und Videos veröffentlichte, ihm eigentlich viel besser steht und seiner exzentrischen Arbeitsweise weniger im Weg ist als der strenge künstlerische Rahmen eines Longplayers. Trotzdem gibt es 3.15.20 jetzt und es ist in den letzten vier Jahren das erste musikalische Gambino-Produkt, das einem Album zumindest sehr nahe kommt. Im klassischen Stil seines Schöpfers war dessen Erscheinen in den letzten Wochen etwas mystisch und erregte viel Aufsehen im Internet (die Platte lief einen Tag als Stream auf einer gesonderten Webseite und verschwand danach wieder), doch seit ungefähr Samstag ist das ganze jetzt eine fertige Sache. Wobei sich vieles trotzdem nicht so rund anfühlt wie bei seinen bisherigen LPs. Schon die Präsentation des neuen Produkts ist mit dem reinweißen Artwork (wenn man das so nennen will) und den meistens lediglich als Startzeiten angegebenen Titeln sehr minimalistisch und auch musikalisch ist man so wenig Profil eigentlich nicht von Gambino gewohnt. Wo Because the Internet als antibiografische Drehbuch-Platte und Awaken My Love als retrofuturistische Funk-Odyssee deutliche Konzepte aufzeigten, ist 3.15.20 diesmal irgendwie sehr ambivalent und nicht so richtig zu greifen. Ein Rap-Album ist es auf jeden Fall schon mal nicht, soviel als Gegenbegriff. Abgesehen davon sieht es jedoch schwierig aus. Donald Glover ist hier an vielen Punkten experimentell und bewusst weird, nicht jedoch völlig aus der Ordnung gekommen. Große Hooks gibt es wenige, erkennbare Melodien und Muster aber schon. Viele Songs sind irgendwie emotional, lyrisch gibt es aber meist nicht viel zu holen. Es gibt eine Art Album-Flow, trotzdem hat die LP keinen klaren kompositorischen Kern. Und das Fehlen von inhaltlichem Kontext lässt mich vieles hier zwar gut finden, wirklich großartig wird es aber nicht, weil ich nicht weiß, was es so richtig bedeutet. Für jemanden wie mich, der gerne ein bisschen Trivia und künstlerische Absicht in seinen Platten mag, ein ziemliches Dilemma. Doch zum Glück gibt es eine Art musikhistorische Analogie, die hier zumindest einiges hier ganz gut aufgreift: Die Legende vom weißen Album. Und ich weiß, das ich auf den ersten Blick vielleicht etwas hochgegriffen. Aber in meinen Augen ist dieser Vergleich nicht total abwegig, schließlich gibt es zum berühmten selbstbetitelten neunten Longplayer der Beatles einige strukturelle Parallelen: Beide Platten sind stilistisch sehr vielfältig und experimentieren an diversen Stellen quer durch die Botanik, nehmen damit aber vor allem Abstand von musikalischen Konzepten und übergreifenden Ideen. Eine wie die andere ist dabei ein Sammelbecken für haufenweise Nuancen eines künstlerischen Spektrums und auch die Art, wie eng verschiedene Ausprägungen beieinanderstehen, teilen sich Gambino und die Fab Four. Was mich angeht, sorgt das allerdings auch in beiden Fällen für ein ausbaufähiges Ergebnis. Ich will kein Miesepeter sein, 3.15.20 ist in seiner Gesamtheit auf keinen Fall ein enttäuschendes Album und es kriegt zumindest das Kunststück hin, die vielen klanglichen Herzen in Glovers Brust gleichzeitig zum Schlagen zu bringen. Und viele Momente hier sind auch echt genial, wie das an Frank Ocean erinnernde 24.19, die Afrobeat-Einflüsse in 35.31, das fast noisige 32.22 oder das kleine bisschen Erlösung, das Feels Like Summer kurz vor Schluss ins Spiel bringt. Gerade in der ersten Hälfte der LP ist aber vieles noch etwas lasch performt, das dreiminütige Intro ist ziemlich ermüdend, 24.19 klingt stellenweise sehr wie der alte Meme-Klassiker Redbone vom Vorgänger und über weite Teile ist auch die Produktion hier nicht ganz so der Hammer. Was im Vergleich zu Awaken My Love zwar nur ein kleiner Rückschritt ist, es ist aber einer. Sicher ist 3.15.20 in vielen Hinsichten auch ein sehr intensives Album, das so kurz nach Release definitiv noch etwas atmen muss und ich habe auf jeden Fall nicht das Gefühl, darüber bereits eine endgültige Meinung gefasst zu haben. Insbesondere da es ja vielleicht doch sein könnte, dass der Künstler sich noch irgendwann zu den Hintergründen dieser Platte äußert. Das heißt im Laufe der Zeit könnte sich das hier noch zum nächsten großen Konsenswerk von Glover entwickeln, es könnte aber auch als irgendwie unvollständiges Experimentalprojekt zwischen seinen ganzen anderen Arbeitsbereichen versanden. Ich für meinen Teil bin aber zumindest zuversichtlich, dass man über diese LP noch sprechen wird. Und das bedeutet immerhin, dass die Musik von Childish Gambino auch 2020 noch äußerst interessant ist.



Hat was von
Prince
Purple Rain

Brockhampton
Ginger

Persönliche Höhepunkte
Algorythm | 19.10 | 24.19 | 32.22 | 35.31 | 39.28 | 42.26 (Feels Like Summer) | 47.48 | 53.49

Nicht mein Fall
-


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