Dienstag, 3. März 2020

Halt dein Maul und tanz!

[ tanzbar | eingängig | spaßig ]

Es scheint inzwischen ein völlig anderes Universum zu sein, in der Disclosure mal eine Band galten, die wirklich wichtig und erfolgreich war. Ein Universum, in dem der Mainstream noch nicht von Hiphop dominiert wurde, in der heute obskure Acts wie Eliza Doolittle und London Grammar große Namen waren und in der man noch glaubte, Impulse aus dem Elektropop würden die nächsten zehn Jahre dominieren. Es war vielleicht eine schönere Zeit, denn noch hieß der Präsident der USA Barack Obama und die Alternative für Deutschland war eine lächerliche Splitterpartei, doch rein musikalisch gesehen war sie auch ziemlich langweilig. Und gerade Disclosure standen mehr oder weniger symptomatisch für diese Ereignislosigkeit. Ihr kreativer Selling Point war es damals, den klassischen House-Sound der späten Achtziger als klangliches Gerüst wiederzubeleben, diesem dann aber die volle Dröhnung Konsenspop zu verpassen, bis man ihn von selbigem eigentlich kaum noch unterscheiden konnte. Ihre beiden ersten Alben, die respektive 2013 und 2015 erschienen, waren zwar keine schlechten, aber im Nachhinein betrachtet auch alles andere als aufregend. Wobei sie damit tatsächlich noch eines der spannenderen Phänomene des damaligen Mainstream waren. In der Zwischenzeit ist zwar lediglich eine halbe Dekade vergangen in der die beiden Briten mehr oder weniger abwesend waren (2018 gab es eine halbherzige EP von ihnen), doch hat sich um sie herum mehr oder weniger alles verändert. Nicht nur steht die Welt im Jahr 2020 gefühlt kurz vor der Apokalypse, auch musikalisch ist einiges nicht mehr an seinem Platz und eine Gruppe wie Disclosure wirkt darin wie eine totale Anomalie. Dass man ihre erste neue Musik seit fünf Jahren inzwischen nicht mehr als Mainstream bezeichnen kann, liegt tatsächlich weniger an ihrer eigenen klanglichen Veränderung als an der der gesamten Pop-Landschaft und man kann von Glück reden, dass sie den Versuch, diesem Ideal nachzueifern erst gar nicht unternehmen. Stattdessen ist Ecstasy in seiner Gesamtheit wahrscheinlich die bisher clubbigste Platte der beiden geworden und eifert in seiner Marschrichtung eher den letzten Projekten von Leuten wie Flume und Mura Masa hinterher. Auch sie entscheiden sich hier für eine etwas knapper gehaltene LP (gerade Mal fünf Tracks in 24 Minuten), die dafür aber aus ihrem klassischen Radiopop-Schema aussteigt und exotischere Features einbringt. Mit dem feinen Unterschied, dass Disclosure deswegen nicht aufhören, Hits zu schreiben. In meinen Augen werden sie mit diesem Album sogar noch weitaus eingängiger. Absolut alle Songs auf Ecstasy glänzen mit einem unglaublichem Banger-Potenzial und sind noch mehr für den Einsatz auf Tanzflächen geeignet als der größte Teil der bisherigen Diskografie der Briten. Wobei das Duo sein klassisches Rezept hier in sehr diversen Geschmacksrichtungen aufbereitet. Wo der eröffnende Titeltrack noch eine verhältnismäßig klar fomulierte, moderne und shufflige House-Nummer ist, überraschen sie auf Tondo mit kamerunischer Diskomusik, auf Expressing What Matters mit schniekem Soul und in Get Close sogar mit Anleihen von Leuten wie Sophie und AG Cook. Nicht immer lässt sich dabei ein künstlerischer Leitfaden absehen, aber bei so bombastischen Stampfern wie diesen ist das auch echt ein zu vernachlässigendes Kriterium. Es ist nicht viel, was Disclosure auf diesen fünf Songs machen, aber was sie tun, haut zu einhundert Prozent hin und macht vor allem jede Menge Laune. Klar könnte man hier an Kleinigkeiten herumkritteln, aber wer das macht, will in meinen Augen einfach keinen Spaß daran haben und ist allein schon deshalb falsch hier. Zwar glaube ich ehrlich gesagt auch nicht, dass irgendeiner dieser Tracks später mal zu meinen ewigen Lieblingssongs oder so gehört, im Moment feiere ich das hier aber schon mit großer Hingabe. Und es ist mit Sicherheit das beste, was die Diskografie von Disclosure bis dato zu bieten hatte. Dass sie mittlerweile etwas aus der Zeit fallen, ist also bisher eine durchweg positive Sache. Hoffentlich auch dann noch, wenn sie irgendwann mal wieder ein größeres Projekt angehen.



Klingt ein bisschen wie
Mura Masa
R.Y.C.

Bonobo
Migration

Persönliche Höhepunkte
Ecstasy | Tondo | Expressing What Matters | Etran | Get Close

Nicht mein Fall
-


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