Donnerstag, 19. März 2020

Mashallah

 [ aufwänding | spirituell | lyrisch ]

Für die Hiphop-Nerds dieser Welt war es letzten Freitag sicherlich eine kleine Offenbarung, als nach Jahren der Unsicherheit und der zweideutigen Andeutungen tatsächlich der Moment gekommen war, an dem endlich ein offizielles, kommerzielles Debütalbum von Jay Electronica erschien. So lange hatte der Untergrund in den Staaten auf diese Platte gewartet, dass der Name des Rappers stand 2020 bereits mit einer Art Mythos, ähnlich dem eines Andre 3000 verbunden war, bei dem man schon gar nicht mehr an dieses Release glaubte und stattdessen schon dann feuchte Hände bekam, wenn er irgendwo als Feature-Spot auftauchte. Ein Hype, der zusätzlich dadurch angeregt wurde, dass der MC aus New Orleans über die Jahre immer wieder immenses künstlerisches Backing von diversen Szene-Größen von Jay-Z bis J Dilla bekam und nebenbei Produzier-Jobs für Leute wie Nas bekleidete. Zwar hatte es von ihm selber in der Vergangenheit irgendwann auch mal ein Mixtape und ein paar vereinzelte EPs gegeben, allerdings wusste man von dem, was dieser Typ dort sagte und tat, dass er wesentlich mehr auf der Pfanne hatte als diese Bruchstücke und dass es einen gescheiten Longplayer brauchte, um der künstlerischen Vision des Jay Electronica gerecht zu werden. Immerhin gilt er unter den modernen Conscious-Rappern als besonderes spirituelles Chamäleon, das in seiner Musik die großen Fragen der Welt aufwirft und auch musikalisch ziemlich extrovertiert ist. Und die gute Nachricht ist, dass A Written Testemony sich dieser Tragweite sehr bewusst ist. Vor allem lyrisch hat man bei der LP das Gefühl, die sehr durchwirkten Gedanken eines Mannes zu hören, der sich seit Jahrzehnten auf der inneren Sinnsuche befindet und sich dabei nicht mit Lapalien aufhält. Gleich im Intro der Platte geht es um Dinge wie die afrikanische Diaspora und deren Parallelen zum biblischen Exodus und zum Zionismus, was zu Beginn vielleicht ein bisschen viel ist, aber die LP auch irgendwie sehr gut einleitet. Denn simpler wird es danach nicht mehr. Viele Songthemen hier beschäftigen sich mit der Religiosität des Künstlers und gehen dabei zum Teil tief in die Lore gleich mehrerer Konfessionen, besonders intensiv ist aber die Beschäftigung mit Jays persönlichem Lieblingsglaube, dem Islam. Auch das ist nicht einfach, da er stellenweise auf arabisch rappt und ich eigentlich schon mit der englischen Sprachbarriere genug zu tun habe, aber spannend ist es schon irgendwie. Nebenschauplätze dieser textlichen Inhalte sind dann unter anderem solche Peanuts wie Rassismus, Krieg, Politik und Geld, zu denen der Rapper dann seine konfuzianischen Äußerungen verbreitet. Seinem vorab angereicherten Mythos wird er thematisch also auf jeden Fall gerecht. Verwirrend wird es erst, wenn es um die strukturellen und musikalischen Hintergründe dieser Platte geht, und da fangen die Fragezeichen schon bei der Feature-Liste von A Written Testemony an. Auf acht von zehn Songs taucht dort nämlich Jay-Z auf, der auch in all diesen Tracks mindestens eine Strophe beisteuert und damit fast einen identischen Anteil an Rap-Arbeit dieser LP hat wie Jay Electronica selbst. Zwar kann das fehlende Namedropping ihm egal sein, denn als Chef von Roc Nation verdient er hieran sicherlich auch so nicht zu knapp, trotzdem wirkt die Platte dadurch eher wie ein gemeinsames Projekt als ein Soloalbum. Und dann ist da die Musik, die für mich ganz klar der problematische Faktor hier ist. Dass der Hauptakteur für sein Debüt auch produktionstechnisch den Löwenanteil leistet, sollte dabei nicht verwunderlich sein, schließlich ist Jay Electronica seit jeher ebenso sehr Beatmaster wie MC. Leider fand ich ihn in dieser Funktion bisher eher durchwachsend uns spätestens auf Albumlänge entpuppt sich sein Style als eher nicht so prickelnd. Zwar finde ich es cool, dass Sample-technisch hier auch abseits der üblichen Pfade gesucht wurde und gerade das Instrumental von Ghost of Soulja Slim zeigt das sehr eindrucksvoll, doch ist das Ausgangsmaterial eben nicht alles. Was den Beats hier fast über die komplette Spieldauer fehlt ist eine gewisse innere Ordnung, die den Song strukturiert und lebendig macht. Fast in jedem dritten Takt baut Jay irgendeinen ulkigen Effekt ein, der für total viel Unruhe sorgt und überhaupt nicht nötig gewesen wäre. Selbst ruhige, soulige Titel wie the Neverending Story und Ezekiel's Wheel wirken deshalb mitunter total hektisch. Zusätzlich dazu gibt es auf A Written Testimony nur wenige klare Hooks, was für noch mehr Chaos sorgt und große Teile der LP am Ende etwas nervig macht. Das ist schade, denn solche musikalischen Unstimmigkeiten sind dann manchmal auch den an sich tollen Lyrics abträglich, weil man oft nicht weiß, worauf man sich konzentrieren soll. Es wirkt ein wenig so, als hätte Jay Electronica versucht, unglaublich viel cleveres Zeug auf diesem großen Album zu versammeln, das dadurch aber völlig überladen daherkommt. Gemessen daran, dass es gerade Mal 40 Minuten lang ist, kann man schon von Reizüberflutung sprechen. Und in der Gesamtwirkung leidet die Platte damit deutlich. A Written Testimony ist offensichtlich der Versuch, mit einem lang erwarteten Debüt ein großes Statement zu landen, vergleicht man das hier aber mit artverwandten Werken der letzten Jahre wie Drogas Wave von Lupe Fiasco oder 4:44 von Jay-Z, wirkt das hier nicht nur ungenügend, sondern schon fast dilletantisch. Jay Electronica will hier sehr viel von sich selbst und nach zehn Jahren ohne Album und einer komplett ausgehungerten Fanbase ist so ein Unterfangen weiß Gott kein Waldspaziergang. Nur ist A Written Testimony selbst ohne diesen Kontext ziemlich enttäuschend. Zum Fear Inoculum des Rap wird es dadurch nicht gleich, aber der Effekt ist der gleiche: Weniger Tamtam zu einem früheren Zeitpunkt wäre wahrscheinlich besser gewesen. Alles andere führt nur zu komischen Verzerrungen.



Hat was von
Jay-Z
the Blueprint III

Brother Ali
Mourning in America and Dreaming in Color

Persönliche Höhepunkte
Ghost of Soulja Slim | Ezekiel's Wheel

Nicht mein Fall
Flux Capacitor


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen