Donnerstag, 26. März 2020

Maßnahmen sind eingeleitet

[ synthetisch | apathisch | düster ]

Man kann Abel Tesfaye ja nun wirklich nicht vorwerfen, dass er sich keine Mühe gegeben hätte. Seit mittlerweile sieben Jahren ist er jetzt schon mit großem Aufwand dabei, den Sound, den er mit the Weeknd zu Anfang der letzten Dekade etabliert hat und der die Ästhetik von (kommerziellem) R'n'B in dieser Zeit wesentlich geprägt hat, wenigstens ein bisschen weiterzuentwickeln. Er hat Songs von Daft Punk und Gesaffelstein produzieren lassen, mit Ed Sheeran und Lana del Rey zusammengearbeitet, ist lyrisch auffälliger geworden und hat sich jüngst sogar von der markendefinierenden Obszönität getrennt, die er ein Jahrzehnt lang seine Frisur nannte. Trotzdem ist es ihm seit seinem zweiten offiziellen Album Kiss Land von 2013 nicht so richtig gelungen, etwas mehr Bewegung und Abwechslung in seine Musik zu bringen, die stilistisch nach wie vor an ein und derselben Stelle verharrt. Und obwohl gerade diese spezielle Herangehensweise an R'n'B, in der Tesfaye sich mit dunklen Farben als zutiefst missverstandenes Arschloch porträtierte, ihn am Anfang so cool machte, ist sie ab einem gewissen Punkt ziemlich ermüdend geworden und inzwischen auch schon in allen erdenklichen Facetten durchgespielt. Mehr oder weniger seit 2015 verkauft sich deshalb fast jedes größere Release von the Weeknd als gewagter Stilbruch, wobei keines das bis jetzt so richtig war. Unter den zweieinhalb letzten Alben hat sich mittlerweile jede*r seiner Fans ein anderes herausgesucht, das in deren Augen seinen Sound am besten umsetzt (bei mir ist das noch immer Beauty Behind the Madness) und hofft irgendwie darauf, dass der echte Neuaufbruch vielleicht doch noch kommt. Und auch seine neueste LP After Hours verbreitete diesbezüglich wieder Hoffnung: Zum einen durchaus wegen Oberflächlichkeiten wie Tesfayes neuem Look und seinem Horrorfilm-Artwork, zum anderen aber auch, weil der Kanadier hier erstmals nicht nur als Sänger, sondern auch als Produzent auftritt und die wesentlichen Fäden damit selbst in die Hand nimmt. Die Möglichkeit, dass er sich in Eigenregie nun den Sound verpassen würde, den ihm zig prominente Promi-Komponist*innen nicht geben konnten, war zumindest im Bereich des Wahrscheinlichen. Und ich sage es mal so: Das, was auf diesem Album letztendlich passiert, ist zumindest eine der besten Versionen des klassischen Weeknd-Sounds, die ich seit langem gehört habe. Zwar schafft es Tesfaye auch hier nicht, sich von den wesentlichen Elementen seiner altbekannten Ästhetik zu lösen (wäre ja auch zu schön gewesen), doch modifiziert er sie hier immerhin so, dass wieder ein paar spannende Song-Ideen dabei rumkommen. Die Strategien sind dabei von Fall zu Fall unterschiedlich. In manchen Tracks wie Faith ist er elektronischer, in anderen wie Alone Again schmeißt er sich tiefer in den Kosmos der Trap-Einflüsse und wieder andere orientieren sich an Achtziger-Synthpop und New Wave. Außerdem werden auf einigen Stücken neue Gesangstechniken ausprobiert beziehungsweise diese mit Effekten nachträglich bearbeitet, was ebenfalls ein bisschen hilft. Maßnahmen wie diese sorgen dann immerhin dafür, dass After Hours einigermaßen flüssig klingt und nicht die nervige Jammerigkeit der letzten beiden Platten an sich hat. Sieht man aber genauer hin, werden viele Probleme hier eher kaschiert als wirklich gelöst. So begeht auch diese LP wieder die Weeknd-typische Dummheit, sich auf ein bis zwei Songs als tanzbare, catchy Single-Auskopplungen zu beschränken und den überwiegenden Rest der Platte als melancholische R'n'B-Balladen zu inszenieren. Außerdem gibt es eben trotz der vielen kleinen Reparaturmaßnahmen Tracks wie Heartless, die komplett in alte Muster verfallen. Und ganz unabhängig davon muss ich leider feststellen, dass After Hours lyrisch eines der schwächeren Alben des Kandiers geworden ist. Das alles bedeutet nicht gleich, dass hier Hopfen und Malz verloren ist, im Gegenteil: Vieles hier geht in die richtige Richtung. Auch diese Platte ist zwar nicht der Stilbruch, den Abel Tesfaye eigentlich gebraucht hätte, doch sie erkennt relatv gut, wo die Probleme im Weeknd-Sound stecken und geht diese proaktiv an. Was letztendlich immerhin in seinem besten Gesamtwerk seit Beauty Behind the Madness resultiert. Und das ist nach so furchtbaren Erlebnissen wie Starboy ja schonmal die halbe Miete. Wenn er jetzt noch die Eier hat und diese Maßnahmen erweitert und sich vielleicht auch außerhalb seiner Komfortzone bewegt, ist der Weg zu einem weiteren richtig guten Album schon gar nicht mehr so weit. Insofern er das nächste Mal in seinen Kokon zurückschnappt, wie das schon so oft passiert ist.



Hat was von
Porches
the House

070 Shake
Modus Vivendi

Persönliche Höhepunkte
Alone Again | Scared to Live | Snowchild | Escape From L.A. | Faith | In Your Eyes | Save Your Tears | Until I Bleed Out

Nicht mein Fall
Heartless


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