Freitag, 27. März 2020

Du bist bereit

 
[ edgy | postironisch | wild ]

Es passiert ja selten genug, dass ich in diesem Format mal als Fan eines bestimmten Acts oute, bevor dieser überhaupt ein einziges Album draußen hat und es gibt eigentlich nur zwei Szenarien, in denen sowas passiert. Eines davon ist, wenn ich besagten Act persönlich kenne oder er in meiner Bubble unterwegs ist, das andere und noch wesentlich seltenere ist, wenn ich wirklich schon in frühen Veröffentlichungen ein überbordendes Potenzial sehe oder diese schon mögliche Karrierehöhepunkte sind. Und seit letztem Jahr gehört der Rapper Jace aus Hamburg definitiv zur zweiten Kategorie. Als wirklichen Newcomer kann man ihn zwar mittlerweile nun auch nicht mehr ganz bezeichnen, denn seit 2017 gab es von ihm insgesamt schon fünf selbstveröffentlichte EPs und/oder Mixtapes, doch technisch gesehen ist er damit noch immer in einer Sprungbrett-Phase. Und bis 2019 hatte die irgendwie auch noch ihre Berechtigung: Jace war auf Platten wie Stich und Picknick ein MC, der vor allem gute Punchlines hatte und viel rohes Talent besaß, das aber nur selten in formvollendete Songs umsetzte. Es gab zwar schon effektive Banger wie Pudding oder Treppen, die kamen aber eher vereinzelt vor und waren nicht die Regel. Ein Album wäre bis zu diesem Zeitpunkt in meinen Augen noch nicht die beste Wahl für Jace gewesen. Allerdings ist Wo ist Jacek 2020 die EP, die das ändern soll und auch tut. Ganz einfach aus dem Grund, weil der Hamburger spätestens hier anfängt, den Rahmen eines viertelstündigen Kleinformats zu sprengen und in sieben Songs sieben seiner bisherigen Karrierehöhepunkte vorstellt. Wobei er ein Können entwickelt, dass über das performen effekthaschereischer Bad Bars hinausgeht. Vor allem musikalisch ist dieses Projekt ein Riesenschritt nach vorne, weil es den Faktor der Beats zum ersten Mal nicht nur als klangliches Surplus zu den Lyrics begreift, sondern als künstlerisches Betätigungsfeld, das vielfältig einsetzbar ist. So gibt es hier zum ersten Mal nicht nur staubige Banger, sondern auch etwas poppigere Nummern, R'n'B-Einflüsse und sogar ein paar Anleihen aus der Emotrap-Bewegung, die im Deutschrap ja bisher noch nicht so angekommen ist. In dieser neuen ästhetischen Vielfalt schreibt Jace dann auch erstmals etwas biegsamere Hooks und Melodieparts, was vor allem in den langsameren Tracks überraschend gut kommt. Wobei das alles auch diesmal in den Hintergrund rückt, wenn wir erstmal über die Texte auf dieser Platte reden. Und obwohl dieser Bereich zu den Faktoren auf Wo ist Jacek gehört, die der Hamburger auch bisher schon gut konnte, ist er hier nochmal besonders heiß und so gut wie alle Songs hier Zeugnis eines lyrischen Ausnahmezustands. Ich habe im Vorfeld dieses Artikels ernsthaft überlegt, mir die klassische Besprechung an dieser Stelle einfach zu sparen und hier stattdessen nur die besten Punchlines dieser EP aufzulisten, weil das am Ende der größte Selling Point des ganzen sein dürfte. Womöglich wäre der Post aber dann sogar noch länger geworden, denn fast jede Zeile auf dem Tape wäre diese Erwähnung eigentlich wert. Und das schöne ist ja, dass Wo ist Jacek mehr ist als das. Zwar sind auch Tracks wie Leb Sterb oder Pokedex richtig klasse, in denen einfach nur ein Brett nach dem anderen rausgehämmert wird, die Kunststücke dieser Platte sind aber eher Stücke wie Heartbreaks oder Wendler, in denen das alles in einem gewissen Kontext doppelt so großartig ist. Sachen wie diese zeigen mir, dass der Jace von 2020 nicht mehr der blöde Rotzlöffel ist, der nur auf dicke Lippe aus ist, sondern ein äußerst talentierter Rapper, der ab jetzt keinen Anlauf mehr braucht, um in der nächstgrößeren Liga mitzufahren. Soll im Klartext heißen: Wenn der Junge jetzt ein Album machen wollen würde, meinen Segen hat er. Denn den richtigen Moment abwarten ist gut, ihn verpassen aber nicht so. Und um jemanden wie ihn wäre es schade, wenn er ewig in der Nerd-Ecke herumvegetiert.



Hat was von
LGoony
Space Tape

Princess Nokia
Everything Sucks

Persönliche Höhepunkte
Pokedex | Leb Sterb | Chicos | Karussel | Wendler | Scooter | Heartbreaks

Nicht mein Fall
-

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