Mittwoch, 4. März 2020

Muss man mögen (feat. Mein Plädoyer für Powermetal)

[ überladen | pathetisch | hymnisch ]

Es gibt in meiner musikalischen Sozialisierung eine ziemlich simple Devise, die sich über die letzten Jahre immer wieder sehr erfolgreich bewährt hat und die mir zu einigen schönen Entdeckungen verholfen hat. Sie greift immer dann, wenn ich bestimmte Genres oder Stilrichtungen entweder noch nicht kenne oder partout nicht mag und beinhaltet im Prinzip die einfache Vorgehensweise, dass man diese Musik einfach lange genug ausprobieren muss und irgendwann schon die ein oder andere Platte findet, die doch die Ausnahme darstellt und einen mit besagtem Genre vertraut macht. Innerhalb meines Daseins habe ich mir so bereits eine Akzeptanz für so gut wie alle Spielarten von Metal, sowie Traprap, Folkpunk, Ska, Italopop, Volksmusik, Schlager und Country beigebracht und stehe bis dato bei einer Erfolgsquote von huntert Prozent. Wobei ich meine jüngste Errungenschaft dieses Prozederes für besonders schwerfällig und daher besonders wertvoll halte: Seit ungefähr einem Jahr höre ich mit zunehmender Leidenschaft Powermetal, was meine Lebensqualität im Allgemeinen unglaublich verbessert hat und mir unfassbar viel Spaß bereitet. Überraschenderweise waren es dabei ausgerechnet Bands des von mir persönlich eigentlich sehr ungeliebten Nuclear Blast, die wesentlich für meinen Sinneswandel verantwortlich waren, namentlich die Gruppen Beast in Black und Sonata Arctica aus Finnland. Generell ist es das skandinavische, traditionell besonders schwulstige und pathetische Modell von Powermetal, das es mir besonders angetan hat, wobei Ghost als Einstiegsdroge keinesfalls zu unterschätzen ist. Viele der hier ansässigen Bands spielen einen zackigen, hochwertig produzierten Stilmix, der gleichzeitig die hymnische Bombast-Komponente von Achtziger-Rock und die Keyboard-Arbeit von New Wave einbezieht und damit die fehlende Härte durch jede Menge Schmalz und Schminke wettmacht. Und gerade eine Formation wie the Nighflight Orchestra ist ein perfektes Exemplar für das, was ich in dieser Musik suche. Ihren klanglichen Ansatz noch als Metal zu bezeichnen, ist schon fast wieder Blödsinn, da sie ihre künstlerischen Vorbilder eher im Erwachsenenrock der Siebziger und Achtziger, das heißt in Bands wie Journey, Foreigner, REO Speedwagon oder Survivor suchen und dabei sehr an die Grenze des Definitionsbereichs vorstoßen. Trotzdem hat ihr Output nach wie vor eine gewisse Metalligkeit und dass hier Mitglieder von Projekten wie Soilwork und Arch Enemy die kompositorische Hauptarbeit machen, legt die klangliche Assoziation auch in Sachen Personal Nahe. Aeromantic ist dieser Tage bereits das fünfte Album der Schweden und geht den konsequenten Pop-Drall des Night Flight Orchestra konsequent weiter. Die 12 Titel wurden zum Teil auf altem Abba-Equipment aufgenommen, sind noch synthetischer und sinfonischer als ihre Vorgänger und gehen Einflusstechnisch mitunter sogar in Richtung Supertramp und Elton John. Zwar dominiert nach wie vor eine rockige Aura, doch sind Keyboards und Gitarren dabei mindestens gleichrangig und Songs wie This Boy's Last Summer oder Curves sind zeitweise ziemlich funky. Für die eigentliche Qualität der Platte ist das aber mehr oder weniger irrelevant, weil so gut wie alle dieser Tracks weiterhin extrem catchy und clever sind. Über das Ohrwurmpotenzial von If Tonight is Our Only Chance oder den Titelsong gibt es absolut keine Diskussion und ohne eine gute Hook funktioniert auf diesem Album nichts. Aus dem Handbuch ihrer Vorbilder nimmt sich die Band hier die absolut besten Kniffe und baut daraus musikalische Fondant-Torten, die alle furchtbar kitschig, aber auch meisterhaft gemacht sind. Bei all dem Pomp und Poserquatsch, der mit solcher Musik einhergeht, muss man auch ehrlich gestehen, dass das Handwerk dahinter meistens der Hammer ist und Leute wie Full of Hell schon cool sind, aber ich am Ende zehntausend Mal lieber das hier pumpe. Man muss Platten wie diese meiner Meinung nach nicht inhaltlich ernst nehmen oder nach ihrer Experimentierfreude bewerten, denn das sind sie wirklich nicht. Trotz allem finde ich, dass der schlechte Ruf solcher stilistischen Ausprägungen unverdient schlecht ist. Denn Spaß macht die ganze Sache auf jeden Fall mächtig, wenn sie gut gemacht ist. Und diese Band weiß, wie man genau das hinkriegt.



Klingt ein bisschen wie
Ghost
Prequelle

Beast in Black
From Hell With Love

Persönliche Höhepunkte
Divinyls | If Tonight is Our Only Chance | This Boy's Last Summer | Curves | Aeromantic | Golden Swansdown | Taurus | Dead of Winter

Nicht mein Fall
-


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