Sonntag, 29. März 2020

Was Attitüde heißt

[ sozialkritisch | aufgeräumt | authentisch ]

Als Musikfan, der sich seit langem für gut gemachten Hiphop interessiert und sich politisch doch recht konsequent der linken Szene zuordnet, ist es manchmal ein bisschen traurig, sich das anzuhören, was sich im so alles Deutschrap unter dem Label "Zeckenrap" verkauft. Ihre Funktion als politische Plattform ist eine der coolsten Sachen, die die Sprechgesangs-Szene leisten kann und gerade in den letzten zehn Jahren wächst diese auch hierzulande gewaltig, doch sind die Ergebnisse meistens ein bisschen, nun ja, uncool. So sehr ich mit den inhaltlichen Aspekten des Outputs von Künstler*innen wie Sookee, Neonschwarz, Kummer oder der Antilopen Gang auch klargehe, so anstrengend und peinlich finde ich sie meistens musikalisch und selbst mit K.I.Z., die diese Art von Sozialkritik gerne sehr um die Ecke denken, habe ich mitunter so meine Probleme. Wobei ich nicht so tun will, als gäbe es keine Ausnahmen. Zugezogen Maskulin sind seit Jahren echte Favoriten von mir, Waving the Guns haben immer mal ein paar echt gute Sachen am Start und seit einer ganzen Weile spukt auch dieser ziemlich talentierte Typ namens Pöbel MC durch den Äther, der mir hier und da mal aufgefallen ist. Hauptsächlich war das bisher in als Gastrapper auf den Songs anderer Acts und einmal live im Vorprogramm von WTG, wobei ich davon kaum etwas mitbekam. Aber der Name war irgendwie in meinem Hinterkopf und er reichte, um mich vor einigen Monaten auf diese neue LP aufmerksam zu machen, vor allem auf dessen beiden großartigen Leadsingles. Das Auskopplungs-Doppel aus dem Titelsong und dem zweiten Track Patchworkwendekids, das im Winter erschien, zeigte Pöbel MC als einen aufgeräumten, klartextenden No Bullshit-Rapper, der sich hier vor allem mit seiner Herkunft (Arbeiterkind aus der Rostocker Vorstadt) und seiner daraus resultierenden Haltung gegenüber snobistischem Blödsinn auseinandersetzt. Und das tolle dabei war am Ende eben nicht, wie politisch und progressiv er dabei ist, sondern das er dabei eine sehr persönliche Perspektive einnimmt. Und im wesenlichen fasst das auch zusammen, warum ich Bildungsbürgerprolls als Album mag. Pöbel MC ist auf diesen zwölf Tracks auf jeden Fall ein kritischer Beobachter gesellschaftlicher Verhältnisse von Polizeigewalt bis Alltagssexismus, nur finden diese Inhalte bei ihm nie im luftleeren Raum statt. Von den vielen Überzeugungen, die er hier äußerst, stellt er keine als unumstößliche Gebote dar, sondern als Resultat von Erfahrungswerten und Teil seines Charakters. Womit er es hier in den besten Momenten schafft, seine Songs gleichzeitig auf einer politischen und einer persönlichen Ebene spannend zu machen. Außerdem bringt es den Vorteil mit sich, dass der Künstler dabei fast immer sehr authentisch und eben nicht von oben herab plakativ wirkt wie viele seiner Kolleg*innen. Mit dem Pöbel MC von diesem Album würde ich sehr gerne ein Bier trinken, aber auch über Meinungskultur diskutieren wollen. Auch gerade deshalb, weil ich aus manchen Stücken hier nicht so ganz schlau werde. Dopamindealer beispielsweise ist ein für meine Begriffe etwas zu zynischer Song über soziale Medien, in dem der Rostocker leider ein bisschen boomerig daherkommt und mit Kommunikationsgenie bin ich zwar Message-technisch einverstanden, von der platten lyrischen Umsetzung aber nicht so begeistert. Viel besser funktionieren da Tracks, in denen auch ein bisschen Persönlichkeit mit einfließt und PMC mit seiner Authetizität punkten kann: Sexsexsex ist eine großartige Fallstudie über Sexualität und Männlichkeit und dabei vor allem durch seine ehrliche Selbstreflexion beachtlich, Kalkül ist schonungslose Systemkritik mit Finger an der eigenen Nase und Keine Rolle setzt die Messages des Rappers sehr gekonnt auf die Metaebene. In gewisser Weise ist Bildungsbürgerprolls damit schon eine Nabelschau, aber eine eher moralische als emotionale. Und damit auch schon wieder hochpolitisch. Musikalisch muss ich sagen, dass die Platte ebenfalls im großen und ganzen gelungen ist. PMC zieht hier zum großen Teile eine sehr simpel gestrickte Traprap-Nummer durch, in der es wenige große Highlights gibt, die aber auch wenig falsch macht. Klar macht das viele Songs klanglich sehr auswechselbar und manchmal hätte ich mir schon etwas mehr Zinnober gewünscht, letztlich macht es aber auch nur deutlich, dass die LP einen starken inhaltlichen Fokus hat und solange der stimmt, wird es zumindest nicht langweilig. Was unterm Strich heißt, dass ich von Bildungsbürgerprolls zumindest überzeugt bin. Anhand der ersten beiden Singles war zwar durchaus etwas mehr zu erwarten und die Platte ist definitiv keine, die man nebenbei hören sollte, doch was sie beeindruckend schafft, ist die künstlerische Persönlichkeit von Pöbel MC auszumalen. Und das ist irgendwie auf eine eigene Art faszinierend, die ich so gar nicht erwartet hatte.



Hat was von
Waving the Guns
Das muss eine Demokratie aushalten können

Kummer
KIOX

Persönliche Höhepunkte
Bildungsbürgerprolls | Kalkül | Keine Rolle | Schlau ohne Grund | Sexsexsex | JBG Remix 2020

Nicht mein Fall
Dopamindealer | Kommunikationsgenie


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