Montag, 23. März 2020

Danish Girl

 [ folkloristisch | pathetisch | fragwürdig ]

Die erste Sache, die auf dem dritten Album von Myrkur ganz unmissverständlich klar sein sollte, ist dass man das mit dem Black Metal-Anteil darauf mittlerweile so gut wie endgültig streichen kann. Die Amalie Bruun von 2015, die sich mit schwarzem Kleid, Weltuntergangsmiene und krachiger Kreischerei als vollwertige Szene-Künstlerin neu zu definieren gedachte und damit vor allem viel Hass von dämlichen Purist*innen erntete, gibt es spätestens hier erstmal nicht mehr. Nachdem sich bereits ihre letzte EP von Myrkur als Metalband distanzierte und stärker auf den Folk- und Pagan-Aspekt ihres Outputs konzentrierten, ist diese Metamorphose auf Folkesange nun komplett vollzogen. Schon der Titel des neuen Albums (direkt übersetzt "Volkslieder") lässt das irgendwie vermuten und dass die Dänin sich hierfür noch intensiver mit traditionellem Material beschäftigt hat und sich immer weiter mit schaurig aussehendem antiken Musikinstrumentarium eindeckt, bestätigen den Verdacht. Doch ist das eigentlich neue an dieser LP viel mehr die Abwesenheit verschiedener Klangfaktoren, die zum Erlebnis Myrkur bis dato dazugehörten, vor allem eben kaskadische Riffs und Schreigesang. Und egal wie gut Amalie Bruun als paganistische Volksmusik-Archäologin auch sein mag, diese Sachen werden mir fehlen. Da braucht man sich keine Illusionen zu machen. Auch wenn das, was auf Folkesange passiert, nur sehr bedingt als Stilbruch gewertet werden kann. Schon auf ihrem Debüt gab es damals starke Folk-Einflüsse, die ihre zweite Platte Mareridt noch ausbaute, vor allem waren es aber Releases wie das Live-Album Mausoleum von 2016 oder ihre regelmäßig veröffentlichten Social Media-Stories, in denen sie auf mittelalterlichen Foltergeräten Volkslieder spielt, die ihre künstlerische Mission als Bewahrerin von traditionellem Liedgut immer wieder erkennen ließen. Dass sie dieser Leidenschaft einen vollwertigen Longplayer widmet, war also nur eine Frage der Zeit. Und Folkesange ist nun das und mehr. Denn zusätzlich zu einer ganzen Reihe von tatsächlichen Bearbeitungen nordischer Weisen gibt es hier auch weiterhin ein paar selbstgeschriebene Titel wie Leaves of Yggdrasil und Ella sowie eine Interpretation des schottischen Volklieds House Carpenter in bester Joan Baez-Manier. Die Vielfalt, die Bruun dabei in die Platte einbaut, ist sowohl Fluch als auch Segen. Zum großen Vorteil der LP werden viele Songs hier nicht auf ihre puristische Wurzelbehandlung beschränkt und erfahren mitunter ein sehr großzügiges poppiges Makeover mit ochestralem Backing und Hochglanz-Produktion. Das ist aber dann definitiv auch nicht für jede*n was und nicht selten bewegt sich Myrkur auch ins gefährliche Pagan-Kitsch-Enya-und-Evanescence-Territorium, das sie in meinen Augen zwar meisterhaft beherrscht, das ihre Songs aber auch etwas schmierig und pathetisch macht. Auch finde ich gerade einige stilistische Ausreißer wie Ella oder House Carpenter sehr unpassend, andere wie der fantastische Closer Vinter gehören aber zu den besten Songs, die Amalie Bruun je geschrieben hat. Viele klangliche Entscheidnungen funktionieren also in beide Richtungen, was die Platte am Ende sehr durchwachsen macht. Und obwohl das eigentlich heißt, dass ich vieles hier tendenziell eher positiv bewerte, gibt es einen weiteren Faktor an Folkesange, der meinen Optimismus von anfang an trübt und der leider auch nur indirekt mit der eigentlichen Musik zu tun hat: Myrkurs potenziell problematischer Umgang mit völkischen und nordischen Motiven, den ich hier schlichtweg nicht mehr so richtig ignorieren kann und will. Als früherer Fan der Dänin, der ihre Aktivitäten seit inzwischen fünf Jahren mehr oder weniger intensiv verfolgt, gab es schon in der Vergangenheit Punkte, an denen Amalie Bruun einen sehr, nun ja...auffälligen Bezug zu solchen Themen hatte. Neben Aussagen in Interviews, die durchaus als islamfeindlich interpretiert werden könnten (und die sie selbst eher halbherzig dementiert hat), waren es allerdings eher Kleinigkeiten. Bruuns Ruf als Waffen-Enthusiastin, die pathetische Inszenierung ihrer Mutterschaft und natürlich immer wieder die künstlerische Hinwendung zu Black Metal und nordischem Folk. Tendenzen, die durch Sachen wie das Covermotiv der neuen LP oder ihre folkloristische Ausrichtung nicht gerade zerstreut werden. Ich will Bruun ob dessen nicht gleich anklagen, denn ich habe kein definitives Wissen über ihre tatsächlichen Ansichten und weiß Gott gibt es im europäischen Metal eine ganze Reihe von Künstler*innen, die nordischen Paganismus und Nazi-Symbolik sehr klar voneinander unterscheiden können und diese Trennung auch deutlich machen. Ich sage nur, dass sich gewisse Dinge in Verbindung mit Myrkur in letzter Zeit häufen, die auffällig sind. Und ich habe einfach keinen Bock mehr, das kommentarlos stehen zu lassen, besonders wenn es mir so ins Gesicht schreit wie bei diesem Album. Das ist jetzt natürlich kein schönes Schlusswort, aber ich hatte das Gefühl, es musste mal gesagt werden. Vor allem auch deshalb, weil Amalie Bruun immer noch eine meiner aktuellen Lieblingskünstlerinnen ist und ich eigentlich möchte, dass das so bleibt.



Hat was von
Ulver
Kveldssanger

Building Instrument
Kem Son Kan A Leve

Persönliche Höhepunkte
Ella | Svea | Harpens Kraft | Vinter

Nicht mein Fall
Fager Som En Ros | House Carpenter


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