Freitag, 6. März 2020

Sonnenkönig

[ euphorisch | intellektuell | sozialkritisch ]

Die Faktenlage im März 2020 ist die, dass man von den Sternen schon seit einer Weile nicht mehr als Band sprechen kann. Mit dem Weggang der verbleibenden Kollegen Christoph Leich und Thomas Wenzel vor inzwischen zwei Jahren ist es nunmehr lediglich die Person von Frontmann Frank Spilker, an der die Existenz der hamburger Indiepop-Institution hängt, was ja immerhin etwas ist. Denn so ist es zumindest möglich, dass es sechs Jahre nach ihrer letzten LP Flucht in die Flucht wieder neue Musik unter ihrem Namen gibt. Ein gesundes Misstrauen war im Vorfeld des selbstbetitelten elften Longplayers des Projektes trotzdem angebracht: Würde es Spilkner auch im Alleingang gelingen, eine der coolsten Diskografien der deutschen Pop-Landschaft in den letzten 30 Jahren nahtlos weiterzuführen und würde er es so schaffen, den prestigeträchtigen Namen die Sterne unter seiner Federführung nicht untergehen zu lassen. Eine Skepsis, die der Künstler selbst vermutlich auch hegte, denn allein ist er auf diesem Album am Ende doch nicht ganz. Zwar gibt es hinter ihm diesmal keine im eigentlichen Sinne neu formierte Band und das einzige offizielle Mitglied ist tatsächlich er selbst, doch gibt er auf seiner ersten LP als absoluter Frontmann dafür den versierten musikalischen Kurator im Sinne eines Damon Albarn oder Kanye West, der sich seine Arbeitspartner*innen nach Gusto aussuchen kann. Die vorliegenden zwölf Tracks sind somit eigentlich ein von Spilker angeleitetes Kollaborationsprojekt der ausgehöhlten Sterne mit Erobique, den Düsseldorf Düsterboys und dem Kaiser Quartett, die hier zur Umsetzung seiner künstlerischen Vision angeheuert wurden. Und das ist dabei das entscheidende: Diese Leute sind ganz offiziell unter seiner Fuchtel. Was man in erster Linie daran merkt, dass diese LP in ihren wesentlichen Bestandteilen auch weiterhin klingt wie der vorherige Sterne-Output auch schon. Man muss sich ja nichts vormachen: Auch die als Band waren die Hamburger immer schon vordergründig von Spilkners kreativem Leitfaden geprägt, nicht zuletzt weil er die Texte für sie schrieb, die für viele immer im Mittelpunkt ihrer Musik standen. Und dass er jetzt der Chef ist, heißt nur, dass ihm da jetzt keiner mehr reinquatscht. Auf diesem Album dominiert also weiterhin der leichtfüßige, sonnige Diskopop, der hier sogar sehr ins euphorische tendiert und zu dem der Bandleader dann seine eloquente, alltagsidchterische Hamburger Schule-Lyrik schreibt. Die ist hier zur Abwechslung mal sehr explizit sozialkritisch und spricht klar tagespolitische Themen an, natürlich aber auch mit dem typischen postironischen Schalk. Songs wie Die besten Demokratien oder Die Message sind darin aber eher unterschiedlich gut, weil sie zwischen allgemeingültigen Plattitüden und scharfer Satire stark variieren und gerade Spilkners Sorte von Humor nicht immer optimal dazu passt. Ähnlich verhält es sich hier auch mit der Musik. Die Platte hat klanglich zwar eine Art roten Faden, das damit verbundene Songwriting ist aber bestenfalls durchwachsen und nicht immer ganz schlüssig. Wo in Du musst gar nix oder Der Palast ist leer musikalisch richtig die Post abgeht (besonderen Shoutout an die Person, die in diesen Tracks am Schlagzeug sitzt) und die einzelnen Kollaborationen richtig gut zur Geltung kommen, ist in anderen wie Drinks & Love oder Hey Dealer total die Luft raus und die Komposition vollständig uninteressant. Selten gibt es in solchen Fällen einen klaren Gedanken - lyrisch oder musikalisch - der wirklich schlüssig ist und noch seltener kommen beide Faktoren zu einem wahrhaftig guten Song zusammen. Der einige wirkliche Hit, der gleichzeitig auch eine stichhaltige Botschaft in sich trägt, ist der siebenminütige Selfcare-Jam Du musst gar nix, der qualitativ wirklich einen großen Abstand zum Rest der Platte einnimmt. Und was in dieser restlichen halben Stunde passiert, rangiert dann irgendwo zwischen okay und peinlich. An vielen Stellen fehlt diesem Album schlussendlich einfach der kompositorische Klebstoff beziehungsweise das gewisse Etwas, und wenn sowas hier nach Jahren auftaucht, fragt man sich natürlich, ob das auch passiert wäre, wenn die Sterne 2020 noch vollzählig wären. Ich selbst kann es nur erraten und bin ehrlich gesagt vorsichtig mit diesem Urteil, die Eindrücke von Spilkner allein und einem verhältnismäßig schwachen Album korrellieren aber schon auffällig. Was natürlich auch nicht heißt, dass sich das nicht in Zukunft noch bessern kann und am Ende des Tages ist und bleibt Spilkner ein spannender und sehr talentierter Künstler, ich will es aber auch nicht beschreien. Und nach zweitem Frühling klingt das hier nun wirklich noch ganz und gar nicht.



Klingt ein bisschen wie
Tocotronic
Pure Vernunft darf niemals siegen

Peter Licht
Lieder vom Ende des Kapitalismus

Persönliche Höhepunkte
Der Palast ist leer | Der Sommer in die Stadt wird fahren | Du musst gar nix | Die besten Demokratien

Nicht mein Fall
Hey Dealer | Das Elend kommt (nicht) | Die Message | Drinks & Love


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