Montag, 30. März 2020

We Live in A Society

[ dadrockig | besserwisserisch | unreif ]

Die Tatsache, dass es inzwischen schon fast sieben Jahre her ist, dass Pearl Jam zum letzten Mal auf einem vollwertigen Longplayer zu hören waren und ich schon damals auf meinem alten Format einen (zum Wohl der Allgemeinheit) mittlerweile gelöschten Artikel über selbige schrieb, ist in meinen Augen vor allem ein Indiz dafür, wie sehr ich mich als Musikhörer in der Zwischenzeit verändert habe und wie wenig ich mit dem damals 16-jährigen Typen gemein habe, der tatsächlich glaubte, ein Fan dieser Band zu sein. Wobei vieles von meiner damaligen Hingabe eher Pflichtbewusstsein als tatsächliche Passion war. Als selbsternannter Grunge-Enthusiast (was ja jeder vernünftige Teenager an einem gewissen Punkt ist) fühlte ich mich eben nur halb so gut, wenn ich mich auf das Einsteigerlevel von Nirvana und Hole beschränkte, weshalb ich zumindest für eine Weile sehr akribisch versuchte, Pearl Jam (ähnlich wie Soundgarden und Alice in Chains) auf Teufel komm raus als Offenbarung zu verstehen. Was rückblickend leider nicht im Ansatz so erfolgreich war, wie ich hoffte. Klar gibt es in der über zwanzigjährigen Diskografie des Quintetts aus Seattle einige Perlen zu bestaunen und Songs wie Do the Evolution oder Hail, Hail sowie große Teile von Eddie Vedders Soloplatten finde ich nach wie vor klasse, doch Pearl Jam als Gesamtheit sind mit inzwischen eher sehr egal. Was auch der Grund ist, warum es mir im Vorfeld von Gigaton schwer fiel, eine klare Erwartungshaltung zu finden. Auf der einen Seite war ich schon gespannt, hier das Quasi-Comeback einer Gruppe zu hören, die ich als Teenager sehr mochte, zum anderen hatte ich an keinem Punkt der Promophase die Hoffnung, davon positiv überrascht zu werden. In den Jahren seit Lightning Bolt von 2013 sind Pearl Jam für mich zu einem Lehrbuchbeispiel für die Art von Musik geworden, die man aus gutem Grund "Dad Rock" nennt und gerade besagte letzte Platte fand ich sogar schon damals ziemlich furchtbar. Das beste, was Gigaton also machen konnte, war die Füße still zu halten und sich mit seiner Rolle als reibungsfreise Rockplatte für Mittfünfziger zurechtzufinden und dabei irgendwie seine Nische zu finden. Allerdings hatte ich dabei die Rechnung ohne die Band selbst gemacht, denn die haben nach sieben Jahren Schaffenspause so gar keinen Bock auf kaltgestellte Zurückhaltung. Schon vor zwei Jahren zeigten Pearl Jam mit mit der zwischendurch abgeschossenen Non-Album-Single Can't Deny Me, dass sie wieder Feuer unterm Hintern hatten und schlugen darauf sehr deutliche und wütende politische Töne an, was ja prinzipiell eine super Sache ist. Das Problem war nur: Der Song war einer der schlechtesten des gesamten Jahres, auf dem man ein paar alte Männer mit Neil Young-Komplex hörte, die sich darüber aufregten, dass alles ja immer schlimmer wird heutzutage und das ja bestimmt daran liegt, dass alle nur noch am Handy sitzen. Und vieles von dieser Geisteshaltung überträgt sich nun leider auch auf Gigaton. Zwar ist die Platte in ihren Ausführungen weit weniger explizit politisch als Can't Deny Me und malt eher ein größeres Bild, das auch den Klimawandel stark einbezieht (siehe Artwork), die Attitüde ist aber die gleiche. Pearl Jam fühlen sich sehr schlau dabei, einige grobe Allgemeinplätze anzusprechen, die im Subtext den Namen Donald Trump mit sich tragen, die aber kein größeres Statement von sich geben als "Früher hätte sich das ja niemand vorstellen können". Und wo das inhaltlich ja noch irgendwie ahnbar und prinzipiell vertretbar ist, ist es vor allem die lyrische Umsetzung, die es peinlich macht. Eddie Vedder reimt hier häufig viele Wörter aneinander, die auf -ation oder -ision enden, was am Ende nicht intellektuell sondern affig wirkt und verwendet dann großkotzige Titel wie Dance of the Clairvoyants oder Retrograde, um es ernsthaft und edgy klingen zu lassen als wäre er selbst noch 17. Wobei die selbstauferlegte Jugendlichkeit nicht nur ein Problem der Texte ist. Nach einigen Gott sei Dank etwas ruhigeren Alben vor der Bandpause ist Gigaton jetzt die Platte, auf der Pearl Jam wieder eine Rockband sein wollen und passend zum politisch rabiaten Inhalt den grantigen Sound von Vs. und Yield ausgraben. Mit katastrophalen Folgen. Ernstens deshalb, weil sie dadurch komischerweise wie eine schlechte Kopie der Kings of Leon klingen, zum anderen weil genau diese Art von adoleszenter Rockröhrigkeit ähnlich kontraproduktiv ist wie die edgy Lyrics und die Band eher unreif wirken lässt als aufregend. Besonders Vedders Gesang leidet darunter ein weiteres Mal extrem und holpert in vielen Songs awkward vor sich hin, statt echte Hooks zu bauen. Und in viel zu vielen Tracks auf dieser LP stehen sich Pearl Jam damit selbst im Weg. Was bescheuert ist, denn in vielen kleinen Momenten zeigen sie durchaus, dass sie diesen Mist überhaupt nicht nötig haben. Insbesondere der letzte Song hier, River Cross, ist ganz als Closer nochmal ein echter Wendepunkt für Gigaton, weil er nicht nur viele Fehler nicht macht, sondern richtiggehend klasse ist. Mit spärlicher Orgelbegleitung und leichtem Country-Einschlag singt Vedder hier über verpasste Chancen und Erfahrungen des Scheiterns, was nicht weniger als genial ist und zeigt, wie gut diese Band eigentlich sein kann. Nur entscheidet sie sich den überwiegenden Teil des Albums lieber dazu, peinlich rumzupöbeln, substanzlose Sozialkritik zu üben und eine Rockigkeit zurückzuquängeln, die sie irgendwann in den Zwotausendern zu ihrem eigenen Vorteil abgelegt hatten. Das Problem ist hier also nicht, dass Pearl Jam es nicht besser können, sie setzen einfach mal wieder die falschen Prioritäten. Und 2020 bin ich nicht mehr an einem Punkt, an dem ich mir einreden muss, dass das unglaublich intelligent wäre, es ist einfach nur ernüchternd. Wobei ich trotzdem hoffe, dass die Band das irgendwann selber merkt und vielleicht doch nochmal ein gutes Album zustande bringt. Denn dass das Handwerkszeug da ist, zeigen sie ja immer wieder.


Hat was von
Kings of Leon
Aha Shake Heartbreak

Incubus
Light Grenades

Persönliche Höhepunkte
Superblood Wolfmoon | Seven O'Clock | River Cross

Nicht mein Fall
Who Ever Said | Dance of the Clairvoants | Quick Escape | Never Destination


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