Mittwoch, 22. April 2020

the Lukewarm

[ rockig | schmissig | farbenfroh ]

Dass Radiohead eine der kreativsten Rockbands der Popgeschichte sind und als solche nunmehr bereits über 30 Jahre extrem stabile Musik aufnehmen, verdanken sie in meinen Augen ganz wesentlich der Tatsache, wie hochkarätig sie seit jeher besetzt sind. Mit Thom Yorke, Ed O'Brien, Philip Selway, den Greenwood-Brüdern und je nach Auffassung auch Nigel Godrich kommen unter dem Banner der Gruppe aus Oxford seit 1992 beziehungsweise 1995 fünf absolut hochkarätige Musiker zusammen, die nicht nur zu den besten ihres Fachs gehören, sondern als solche auch relativ gleichberechtigt an einem Strang ziehen. Das Erfolgsgeheimnis von Radiohead ist nicht etwa das von einem oder zwei genialen Frontmännern, die den Löwenanteil der kompositorischen Arbeit leisten, sondern das von sechs vorwärtsgewandten Multiinstrumentalisten, die sich immer wieder gegenseitig pushen. Und bei so viel kreativer Energie ist es natürlich lange kein Wunder mehr, dass der Großteil davon diese inzwischen auch außerhalb der Hauptband zu verwirklichen sucht. Ähnlich wie in der Vergangenheit Pink Floyd, die Beatles oder Animal Collective sind seit einer ganzen Weile auch Radiohead eine Formation, an deren Ablegern sich ein wachsender Katalog von Solo- und Nebenprojekten aufdröselt, der in den letzten Jahren immer interessanter wird. Und wo sich vor allem Thom Yorke und Jonny Greenwood zuletzt als ahnbare John und Paul-Entsprechungen des Formationskosmos etabliert haben, wagten sich im Zuge der letzten Dekade auch Drummer Philip Selway und Langzeit-Produzent Nigel Godrich aus der Reserve, denen nun auch Gitarrist Ed O'Brien als vorletztes Mitglied folgt. Und angesichts der Vielschichtigkeit von Radiohead ist so eine Premiere vor allem deshalb immer spannend, weil man nie so richtig weiß, welche stilistische Richtung der Solo-Pfad eines einzelnen Mitglieds einschlägt. Zumal jeder bisherige Alleingang irgendwie ein wenig seine eigene Nische fand. Bei Edward hier ist die Angelegenheit besonders kompliziert, denn rein klanglich ist Earth zuallererst extrem vielschichtig. Impulse und Einflüsse reichen hier von Siebziger-Krautrock in Tracks wie Shangri-La und Olympik über Caribou-ähnliche Indietronic-Momente in Long Time Coming, ambiente Elektronik in Mass und Versatztsücke aus der In Rainbows-Phase von Radiohead bishin zu seichtem Americana in Cloak of the Night. Der generelle Vibe ist dabei zwar alles andere als chaotisch und klangliche Gegensätze werden ziemlich gut ausbalanciert, einen gemeinsamen Nenner für dieses Album zu finden, ist dennoch schwierig bis unmöglich. Dass O'Brien hier seine songwriterische Grabbelkiste geschlachtet hat und diese LP vor allem dazu nutzt, um nicht realisierte Ideen umzusetzen, wird hier sehr schnell klar und ja, es ist vielleicht ein kleines bisschen enttäuschend. Vor allem in den Vorab-Singles wirkte Earth viel mehr so, als wäre es ein ausgefeiltes und eigenständiges Projekt, das einem innewohnenden Prinzip folgte, was letztendlich so überhaupt nicht der Fall ist. Und viele der kompositorischen Ansätze hier sind leider auch eher so mittelgut. Klar mag ich einige Motive auf dieser Platte und vor allem die ruhigeren Nummern wie Sail On, Mass und Cloak of the Night (mit einer nicht zu unterschätzenden Gastperformance von Laura Marling) sind ziemlich cool, doch es ist eben auch kein wirklich großer Aha-Moment dabei. Weder in Form eines herausstechenden Songs noch eines attraktiven Gesamtsounds, der mich irgendwie abfängt. Es ist okayes Album, aber keines, an das ich mich ernsthaft erinnern würde. Selbst ohne den unnötigen Vergleich mit anderen Radiohead-Solos, den man ja nicht aus dem Hinterkopf bekommt, ist Earth ziemlich unspektakulär und nur deshalb von Belang, weil dieser Typ nebenbei in der besten Band der Welt spielt. Sicher, auch das ist ein blöder Vergleich, nur will ich damit sagen, dass nicht jeder Ableger dieser Gruppe automatisch genauso genial sein muss. Und immerhin ist das hier nicht die letzte Platte von Phil Selway, denn die hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich mittlerweile zu diesem Einverständnis gekommen bin.



Hat was von
Beak
>>

Blur
13

Persönliche Höhepunkte
Long Time Coming | Mass | Banksters | Sail On | Cloak of the Night

Nicht mein Fall
Shangri-La


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