Dienstag, 27. November 2018

Encantadora



Bereits gute zwei Jahre ist es her, da erschien eine junge katalonische Flamenco-Sängerin namens Rosalía Vila Tobella auf der musikalischen Bildfläche des spanischen Neo-Folk, einer Nische europäischer Popmusik, die eigentlich von Beginn an keine besonders erfolgsversprechende war. Selbst in der spanischen Heimat der Songwriterin hat dieses Genre den äußerst schlechten Ruf einer altbackenen und innovationsresistenten Volksmusik, den man hierzulande vielleicht mit der des volkstümlichen Schlagers vergleichen kann. Als junge Musikerin stolperte sie also direkt in ein reichlich verstaubtes musikalisches Umfeld. Und als im Februar 2017 ihr unscheinbares Debüt mit dem Namen Los Ángeles erschien, nahm zunächt erstmal niemand davon Notiz. Spult man jedoch vor zum September 2018 ist Rosalía ein Shooting-Star der internationalen Indie-Presse geworden, über die so ziemlich jede Plattform schreibt, die irgendetwas mit Musik zu tun hat und ihr aktuelles Album El Mal Querer wird ausschließlich in den höchsten Tönen gelobt. Was die Sängerin also in weniger als 24 Monaten geschafft hat, ist einigermaßen beachtlich. Mit einem frischen, leidenschaftlichen und durch moderne Pop-Elemente angefütterten Sound schuf sie aus dem Stand eine zeitgenössische Blaupause traditioneller spanischer Flamenco-Songs, die nicht nur erfrischend und sexy daher kam, sondern vor allem auch inhaltlich aufgeladen war und sich lyrisch nicht mit Lapalien aufhielt. Los Ángeles drehte sich als grobes Konzept um das Thema Sterblichkeit und hatte die klangliche Kraft einer sehr anmutigen Dampfwalze, was nicht zuletzt Rosalías unglaublichem Stimmvolumen geschuldet war. Die junge Spanierin war kurzum eine wahnsinnig talentierte Visionärin, die man als ehrlicher Musikfan einfach lieben musste. Und genau an diesem Punkt hänge ich bis heute hinterher: So toll, wie ich sie theoretisch sein sollte, ist ihre Musik in meinen Augen ganz einfach nicht. Dabei habe ich es wirklich versucht. Auch ich bekam letztes Jahr Wind von diesem angeblich so tollen Debüt mit den ach so emotionalen Songs, die mich allerdings bis auf wenige Ausnahmen komplett kalt ließen und obwohl ich ihren musikalischen Ansatz schätze, war die ganze Sache für mich bisher meistens einfach zu kraftmeierisch und pressig, als dass ich es wirklich hätte genießen können. Und nun, da El Mal Querer die Musikschreiber*innen dieser Welt ein weiteres Mal in manische Anhimmelei versetzt, muss auch ich mal meinen Senf dazu geben. Ich kann verstehen, warum man Rosalía super findet und sie verdient absolut jedes bisschen positive Resonanz, aber selbst bin ich bei ihrer Musik nach wie vor äußerst skeptisch. Wobei diese neue LP durchaus schon Mal ein Fortschritt ist. Insofern, dass wir hier erstmals ein echtes Crossover-Potenzial erleben. Wo Los Ángeles meiner Aufassung nach einfach nur ein stinknormales Flamenco-Album war, das zufällig von einer 24-jährigen gesungen wurde, ist El Mal Querer tatsächlich eine neue kreative Herausforderung. Die traditionellen Einflüsse gesellen sich hier zu großen Portionen Elektro-Pop, Trap-Beats, Autotune und R'n'B-Elementen, die jede Menge frischen Wind in die Songs bringen und nicht zuletzt eine ganz neue Haltung aufbauen: Rosalía ist jetzt nicht mehr die reine Folk-Sängerin, die ein paar olle Flamenco-Klassiker ein bisschen aufhübscht, sondern sie schickt sich ein, auch ein Popstar zu sein. Und an diesem Punkt wird es in meinen Augen interessant. Misslungene Versuche, Volksmusik und Mainstream zusammenzubringen, kennen sicherlich viele von uns zu Hauf. Moderner Latin Pop von Luis Fonsi, zeitgenössischer Country bishin zu Hick-Hop oder um mal die Kirche im Dorf zu lassen, auch einfach Andreas Gabalier. Und in diese Kategorie gehört das, was man hier hört, glücklicherweise überhaupt nicht. Im Gegenteil: El Mal Querer ist eine extrem elegante und clevere Fusion zweier Welten, die großen Vorbildcharakter haben könnte. Schon Vorab-Singles wie Malamente oder Di Mi Nombre ließen erahnen, wohin dieses Experiment geht, und in seiner ganzen Ausprägung beeindruckt es durchaus. War Rosalía vorher gefühlt eher die schüchtere Folk-Songwriterin, fügen die Anklänge aus R'n'B und Hiphop ihr jede Menge Coolness und Charakter hinzu, die ich fast ein bisschen bratzig finde. Gleichzeitig verhindert der nach wie vor starke Bezug zum Flamenco, dass diese LP eines dieser gesichtslosen Neo-Soul-Geschichten ohne jegliche Energie wird. Zackig gespielte Akustikgitarren, Handclap-Beats und die nach wie vor extrem präsente Stimme der Sängerin halten das Drama der Songs aufrecht. Und die Momente, in denen beide Welten zusammenfließen, sind tatsächlich kleine kompositorische Schätze. Trotz aller Begeisterung muss ich aber auch diesmal sagen, dass es eher die Idee ist, die mich entzückt, als deren tatsächliche Umsetzung. Sicher, es gibt tolle Dinge hier und im Vergleich zum Debüt hat sich hier immens viel verändert. Dennoch ist nicht jeder Song so catchy wie ein Malamente und nicht überall klappt die stilistische Verschmelzung so toll wie in Pienso En Tu Mirá. Einige Tracks hier sind eher wieder ein bisschen awkward, manche brachiale Soul-Eskapaden zuviel gewollt und es gibt klangliche Entscheidungen wie die Motorrad-Geräusche in De Aquí No Sales, die eher fragwürdig sind. Und an dieser Stelle kommt wieder die Skepsis in mir hoch: Klar ist das, was diese junge Frau macht, vom Konzept her faszinierend. Klar ist es spannend, Flamenco mal im Kontext des modernen Mainstream-Pop zu hören und klar haben wir es hier mit einer grandiosen Sängerin zu tun. Aber in meinen Augen ist an vielen Stellen eben immer noch Luft nach oben. Man kann jetzt beeindruckt sein, weil man diese Musik exotisch und neuartig findet oder man kann abwarten, bis Rosalía diese Ansätze auch wirklich in einen eigenen Sound und eine feste Ästhetik umgesetzt hat. Und bei ihrem Talent verspreche ich, dass das in nicht langer Zeit noch passieren wird.

Persönliche Highlight: Malamente / Pienso En Tu Mirá / Preso / Di Mi Nombre / A Ningún Hombre

Nicht mein Fall: De Aquí No Sales / Bagdad

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