Sonntag, 18. November 2018

Böse Onkels





















Eigentlich bin ich ja ein bisschen zu jung und zu unerfahren dafür, um mich für die Musik von Daughters zu interessieren, waren sie bis dato doch eher ein ziemlich nerdiges Relikt für Noise- und Industrial-Fans. Eine Band, die ihre (sogenannte) Hochphase Mitte der Zweitausender hatte, und das mit insgesamt nur drei Alben, die über den Status kleinerer Szene-Erfolge nie hinaus kamen. 2010 legten sie ihre Karriere dann zunächst auf Eis, weshalb sie in meiner aktiven Phase von 2012 bis jetzt für mich ein obskures Nischenphänomen blieben. Das alles änderte sich jedoch vor wenigen Wochen, als wieder aller Erwartungen ihr neues Album You Won't Get What You Want einen beachtlichen Siegeszug durch die Indie-Presse antrat. So ziemlich jede wichtige Plattform, darunter auch welche, die unter Umständen sonst nicht über Daughters geschrieben hätten, vergaben jede Menge Lorbeeren an die Gruppe aus Rhode Island, deren Output plötzlich ein Thema wurde, das man nicht ignorieren konnte. Und so habe nun auch ich mir die Platte mal ordentlich zu Gemüte geführt. Wobei ich zu dem Schluss komme, dass die großen Medien in diesem Fall ausnahmsweise mal Recht behalten haben: YWGWYW ist ein bemerkenswertes Stück Musik. Was in diesem Fall primär heißt, dass ich dieses Jahr wenige so finstere, apokalytische und abgrundtief böse Alben gehört habe, inhaltlich wie musikalisch. Daughters erforschen mit dieser LP viele Abgründe der menschlichen Seele, schreiben Stücke über Hass, Neid, Gewalt, Alpträume und Lügen, die sie in eine chaotische Ursuppe aus anarchischen Synth-Flimmereien, tiefen Industrial-Beats und strahlenden elektronischen Fanfaren einkochen. Vieles erinnert dabei an die besten Sachen von Acts wie Nine Inch Nails, Swans oder Throbbing Gristle, hat aber am Ende doch eine sehr eigene Dynamik. Unter anderem deshalb, weil Daughters in fast keinem Moment zimperlich sind: So gut wie Alle Gesangspassagen klingen wie ausgekotzt, die Komposition badet großzügig in Disharmonien und im Mastering hört man regelmäßig Spuren, die absichtlich total übersteuern. Dennoch ist YWGWYW nur sehr selten völlig losgelöst von herkömmlichen Strukturen. Ähnlich wie ein Trent Reznor versteht es diese Band erstaunlich gut, eine ergreifende Melodik mit haarsträubendem Experimental-Kram zu verbinden, sodass zwar nicht unbedingt fette Hooks, aber zumindest Leitplanken entstehen, an denen man sich beim Hören entlang hangeln kann. Der Effekt ist am Ende ähnlich wie bei einem Album wie the Ark Work von Liturgy oder Bish Bosch von Scott Walker, die klanglich extrem ausfällig und teils enervierend sind, aber dennoch nicht unnahbar. Im Vergleich zu den beiden gerade genannten Projekten ist das hier sogar geradezu konventionell. So gibt es Tracks wie Less Sex oder the Reason They Hate Me, die fast schon die Eingängigkeit eines the Downward Spiral haben. Ich auf der anderen Seite stehe wesentlich mehr auf die Stellen, in denen die Band kompositorisch komplett ausrastet und alle Register des harmonischen Unwohlseins zieht. In diesen Momenten zeigen Daughters, wie extrem das Extreme bei ihnen sein kann, und von der lyrischen Seite passt diese Ästhetik ebenfalls viel besser. Außerdem heben sie sich damit in vielen Punkten vom von mir noch immer sehr geschmähten Klischee der Industrial-Musik ab. Ihre Songs sind keine tranigen, scheppernden, pseudo-provokanten Popsongs, wie sie ein Marylin Manson macht, sondern haben echte Kanten und enthalten eine wahrhaftige Bosheit, die man in der Szene äußerst selten findet. Vor allem in dieser Hinsicht ist YWGWYW eine großartige Entdeckung, die ich auch mit euch gerne teilen möchte. Denn wenn ich hier schon den großen Hype vermehre, dann wenigstens für eine Band, die mir wirklich etwas neues bietet.






Persönliche Highlights: City Song / Long Road, No Turns / the Lords Song

Nicht mein Fall: Less Sex

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