Montag, 19. November 2018

We're All Mad Here





















Auch wenn er schon immer einer der etwas extravaganteren Vertreter seiner Gattung war, hatte man bisher nicht unbedingt Unrecht, wenn man Rockstah als Deutschrapper bezeichnete. Er machte immer durchaus intelligente Hiphop-Musik, die textlich versiert war, gerne eine etwas indierockige Note annahm und sich auch vor großen Pop-Melodien nicht scheute. Was ihm mit Platten wie Nerdrevolution oder Pubertät sogar eine eigene, kleine Nische im heimischen Game einbrachte. Das war beachtlich, aber am Ende auch nicht überzeugender oder spezieller als das, was Alligatoah, die Antilopen Gang oder Kraftklub machten. Weshalb ich bis jetzt auch nie die Motivation verspürte, über eines seiner Alben zu sprechen. Er war nur ein Gesicht in einer Masse von künstlerischen Individuen, und darunter eben nicht der interessanteste. Zumindest, bevor es Cobblepot gab. Denn mit seinem ersten Longplayer seit vier Jahren erschafft der Aschaffenburger nicht nur einen radikalen Bruch seiner bisherigen Stilistik, sondern auch eines der ungewöhnlichsten deutschsprachigen Pop-Projekte dieses Jahres. Dabei sah es zunächst lange nicht danach aus, als ob Rockstah überhaupt noch Musik machen würde. Seit 2014 hatte er sich eine mehr oder weniger erfolgreiche Radiokarriere aufgebaut und führte unter anderem den Podcast Radio Nukular sowie eine eigene Sendung bei Funk. Sich in das unsichere Musikbusiness zurück zu wagen, noch dazu mit einem derart riskanten Album, hätte er also nicht nötig gehabt. Dass er es dennoch getan hat, ist allerdings eine echte Bereicherung für die deutsche Poplandschaft. Denn diesmal geht die Fantasie mit dem Jungen komplett durch. Es ist einigermaßen schwer, das Phänomen Cobblepot kurz zu umschreiben, ist es doch eher eine Mixtur aus sehr vielen verschiedenen bewussten und unbewussten Einflüssen: Die Batman-Filme von Tim Burton, Blade Runner, Neue Deutsche Welle, Citizen Kane, Brechts Dreigroschenoper, Aaron Maine, Bilderbuch, Drangsal und Fritz Lang. Und das gilt nicht nur für die Lyrics dieser Platte, sondern auch für ihren gesamten Sound. Im Gegensatz zu den vorherigen Platten von Rockstah, die man doch eindeutig als primär Rap-orientiert identifizieren konnte, ist das hier nicht so klar festzusetzen. Mindestens die Hälfte der Zeit wird gesungen, die Instrumentals sind eher Melodien als Beats und die von Max Richard Leßmann (von Vierkanttretlager) gesprochenen Intro-Texte haben fast schon hörbuchartigen Charakter. Man muss dabei nicht zusätzlich betonen, dass so ein umfassender Stilbruch ein hohes künstlerisches Risiko ist. Nicht nur, weil man so etwas von Rockstah nie vermutet hätte, sondern vor allem auch, weil er hier generell viele heiße Eisen ins Feuer legt. Nostalgische New-Wave-Anklänge, epochale Spoken Word-Interludes, Tim Burton-Referenzen und Tracks mit SciFi-Storykonzepten sind Dinge, um die alle, die nicht in einer Symphonic Metal-Band spielen, eigentlich lieber einen großen Bogen machen. Und es gibt definitiv Momente, in denen auch Cobblepot ein bisschen cringy wird. Mond und Der Pinguin sind mitunter etwas gewollt düster, der Refrain von VHS dreht die Kitsch-Schraube einen Tick zu weit, das Intro wirkt etwas deplatziert und die Tatsache, dass das in 2049 angefangene Narrativ nicht wirklich weitergeführt wird, macht den Song für sich ein bisschen sinnlos. An den meisten Stellen jedoch bin ich fasziniert davon, wie mutig Rockstah hier in einen Dschungel aus billigem Kitsch, Konsens-Nostalgie und surrealen Geschichten eindringt, für den sich die Meisten immer noch zu cool sind. Und gerade dadurch, dass er das alles so selbstbewusst rüberbringt und sich nicht um die eigenen Albernheit schert, hat er die Coolness nicht selten auf seiner Seite. Einen Song wie Highscore hätte man auch jemandem wie Alexander Marcus zugetraut, aber dass Rockstah in durchzieht, macht die Sache zu einem Highlight. Und wenn er diese mit klassischen Hiphop-Standards wie Alle meine Gang oder Balladen wie Bergen Aan Zee kontert, ist es am Ende eben doch keine Comedy, sondern sprudelnde Kreativität. Was bedeutet, dass auch wenn Cobblepot definitiv polarisieren wird und ganz sicher nicht ohne Makel bleibt, es in meinen Augen das bisher beste Album des Bayern ist. Ganz einfach, weil es sich traut, aus der Masse herauszutreten und anders zu sein. Mit dieser LP begibt sich Rockstah dorthin, wo Leute wie Marsimoto oder Der Täubling schon lange überzeugen: Zum Rap der unbegrenzten Möglichkeiten. Und Stand jetzt bin ich mir nicht mal mehr so sicher, ob ich dazu überhaupt noch Rap sagen will...






Persönliche Highlights: Der Pinguin / Mond / Highscore / Alle meine Gang / Love, Sex & Videogames / Will Russell

Nicht mein Fall: VHS

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