Mittwoch, 28. März 2018

Jack Became Insane




















Es gab 2018 wie jede Saison einige Platten, auf die ich Anfang des Jahres mehr gespannt war als auf andere. Die neuen Sachen von MGMT, Frankie Cosmos, Kraus oder Tocotronic waren definitiv Releases, die mich direkt bei ihrer Ankündigung in eine gewisse Aufregung versetzten und denen ich auf die ein oder andere Weise entgegenfieberte. Doch keine Neuveröffentlichung kam in Punkto vorläufiger Mystizismus gegen das dritte Soloalbum von Jack White an, dessen Promophase mich mehr oder weniger komplett ratlos machte. Nicht nur gab hier es sehr viele Singles, die alle vollkommen unterschiedlich waren, darunter einige vollkommene Katastrophen und einige echte Sensationen, vor allem war von Anfang an klar, dass dieser Künstler auf der neuen LP so klingen würde wie niemals zuvor. Jack White, der ewige Schutzheilige des Bluesrock im 21. Jahrhundert, in dessen Musik trotz ihrer Vielseitigkeit bisher immer eine Heiligkeit der Tradition zu finden war, schickte sich hier an, stilistisch alles über Bord zu werfen. Die Tracks, die es von Boarding House Reach vorher zu hören gab, probierten sich in Elektropop, Funk, New Wave und sogar Hiphop und zeigten diesen Typen so experimentell wie noch nie zuvor. Sicher, vieles klang kompositorisch noch immer nach Jack White, doch gleichzeitig hatte man auch das Gefühl, der Songwriter würde sich selbst hier irgendwie verraten. Und zunächst empfand ich das eigentlich als gutes Zeichen. Whites Output war mir in den letzten Jahren manches Mal deutlich zu konservativ und stets auch ein wenig risikofrei. Insbesondere sein 2012 veröffentlichtes Solodebüt Bluderbuss erscheint mir im Nachhinein wie eine sehr sichere Nummer, die jemand wie er so nicht nötig hatte. Eher interessant wurde es da schon beim Nachfolger Lazaretto von 2014, das zwar ziemlicher Kram war, aber auf dem White gezielt neue Ausdrucksformen suchte. Wenn man so will, war diese Platte vor vier Jahren so etwas wie die Aufwärmrunde für das hier, nur dass er stilistisch diesmal komplett ausflippt. Boarding House Reach ist ein radikaler Schnitt in der Karriere von Jack White, weg vom traditionsbewussten Garagenrocker hin zum genreübergreifenden Experimentalpop-Monster, das für einen spannenden Song keine Limits mehr kennt. Und spannend sind die Stücke hier definitiv: Der Opener Connected By Love ist abgefuckter Elektropop, Corporation zitiert die Talking Heads und Stevie Wonder, Everything You've Ever Learned ist experimenteller Spoken Word-Kram, What's Done is Done eine kitschige Country-Ballade und Ice Station Zebra erinnert mit seinen fast gerappten Vocals fast an De La Soul oder die Sugar Hill Gang. Es gibt in jedem Song unglaublich viel verschiedenes zu hören und als Showmaster schlüpft Jack White in diverse Rollen und Kostüme. Aber ist alles davon auch gut? Die Frage danach ist nicht so einfach zu beantworten. Als ich Boarding House Reach das erste Mal hörte, war ich ehrlich gesagt ziemlich enttäuscht. Die Stücke hier hatten keinen Zusammenhang, waren absolut chaotisch ausgeführt und es wirkte ein wenig so, als hätte man schnelle Schockwirkung einem ausgeklügelten Songwriting vorgezogen. Doch konnte ich auf der anderen Seite nicht leugnen, dass von den Tracks eine Faszination ausging. Und diese hat mich in den meisten Fällen beim zweiten und dritten Hördurchgang gepackt. Der überwiegende Teil der Stücke ist gewöhnungsbedürftig, aber auch alles andere als schlecht und die komplette Anarchie, in der White dieses Album strukturiert hat, wird irgendwie sympathisch. Wobei es auch Songs wie Why Walk A Dog?, Humoresque oder Ezmeralda Steals the Show gibt, die ich nach wie vor einfach nur komisch finde. Und nach allem, was ich hier geschrieben habe, muss ich auch beifügen, dass eventuell nichts davon bestand hat. Boarding House Reach ist ein schwieriges Album und dass sich meine Meinung darüber noch einige Male ändert, scheint mir nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Im jetzigen Moment jedoch mag ich es vielleicht so sehr wie noch nie und ich hoffe, dass es einigermaßen so bleibt. Denn am Ende des Tages habe ich vor allem Liebe für den dreisten Stilbruch, den Jack White mit dieser LP abzieht. Was nicht zuletzt dafür sorgt, dass seine Musik zum ersten Mal seit dem Ende der White Stripes wieder ein Thema ist, für das ich mich mit Leidenschaft interessiere.






Persönliche Highlights: Connected By Love / Corporation / Ice Station Zebra / Over and Over and Over / Everything You've Ever Learned / Respect Commander / Get in the Mind Shaft

Nicht mein Fall: Why Walk A Dog? / Ezmeralda Steals the Show / Humoresque

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