Samstag, 24. März 2018

Poetic Justice




















Am Anfang dachte ich, Shibuya Crossing würde ein einfaches Album werden. Noch so ein typisches Juse Ju-Ding eben, mit lustigen Punchlines, selbtironischen Bad Bars, Features von den üblichen Homies und Beats, die auch danach klingen, als würden sie die Rapper selbst nicht so wichtig nehmen. Und am Anfang war ich von dieser Idee eigentlich nicht sonderlich begeistert. Hätte ich sowas gewollt, hätte ich mir noch einmal Im Modus vom letzten Jahr oder irgendwas von Edgar Wasser angehört, das Ergebnis wäre dasselbe gewesen. Das war zumindest das Gefühl, das mir die Leadsingle 7 Eleven im Februar gab. Doch je mehr Zeit bis jetzt verging und je mehr über dieses Album klar wurde, desto mehr wusste ich, dass es ganz so wohl nicht sein würde. Stücke wie Lovesongs oder der Titelsong, die erst vor einigen Wochen erschienen, zeigten ein Bild des Schwaben, das wesentlich weniger lustig und sarkastisch war, sondern auf dem er ganz schönen Realtalk machte. Da ging es um seine Unsicherheiten, Einsamkeit, Beziehungen, seine Kindheit und einen schwierigen Heimatbezug. Die Dinge also, die den Menschen Juse Ju beschäftigen. Und da war Shibuya Crossing plötzlich gar keine so einfache Angelegenheit mehr. Definitiv jedoch eine spannende. Denn ich wusste, es würde interessant sein zu sehen, was diese LP letztendlich sein wollte: Ernsthaftes Statement zu sozialen Themen, intimes Nostalgie-Album, coole Punchline-Parade oder die Realrap-Metamorphose des Stuttgarters? Die Antwort darauf lautet wahrscheinlich ein bisschen von allem. Wenn man eines über dieses Projekt sagen kann, dann dass es unglaublich vielseitig ist und seine Fühler thematisch überall hat. Da gibt es ironische Kaspernummern wie Justus BWL oder Propaganda, aber auch ziemlich detailreiche Statements über Moral im Musikbusiness wie Fake It Till You Make It oder Knete teilen, in denen Juse auch mal ziemlich persönlich wird. Es gibt Tracks, in denen der Rapper über seine Kindheit zwischen Baden-Württemberg, Yokohama und Texas spricht und die extrem krass und intim werden und auf der anderen Seite ernsthaft deprimierende Dinger über die Gegenwart wie Lovesongs oder Milka Tender. Ein großer Marsch quer durchs Gemüsebeet also und damit eine Sache, die ich normalerweise immer kritisch finde. Denn gerade im Rap wirken Alben, die haufenweise verschiedene Themen beackern und überall gleichzeitig sein wollen, sehr schnell zerstreut und unfokussiert, was ich bekanntermaßen so gar nicht mag. Und auch Shibuya Crossing fällt definitiv in diese Kategorie. Jedoch muss man Juse Ju lassen, dass er all die verschiedenen Dinge, die er hier ausprobiert, auch wirklich gut kann. Insbesondere die schwierigen, ernsten Töne gelingen ihm hier außergewöhnlich gut, in meinen Augen sogar besser als die spaßigen. Womit ich trotz allem nicht anders kann, als vor ihm den Hut zu nehmen für dieses Album. Wenn der Künstler hier über seine Kindheit spricht, über ekelhafte Trennungen und besoffene Nächte im Flixbus, hat das nicht selten Ähnlichkeit mit den Stories, für die  viele Kendrick Lamar so sehr lieben. Juse kommt zwar nicht aus Compton und hat keinen Gang-Hintergrund, aber definitiv auch Dinge zu erzählen, wie Bordertown oder der Titeltrack beweisen. Und die Art, wie er das tut, ist eben in ähnlicher Weise gleichzeitig krass und lyrisch. Auch dank der Tatsache, dass Juse sehr gut flowen kann. Dadurch ergeben sich hier sehr viele Tracks, bei denen man sehr viel Respekt vor diesem Musiker bekommt und auch einige, bei denen einem echt das Herz in die Hose rutscht. Klar gibt es auf der anderen Seite wieder ein paar Nummern wie Pain is Love (ein Song übers skaten, ugh!), die etwas speziell sind, aber selbst die sind textlich sehr gut. Die einzigen wirklichen Probleme, die ich hier habe, sind dann eher strukturelle. Warum man einen Track wie Kirchheim Horizont als Opener wählt, ist mir schleierhaft und mit all den tollen und komplexen Songs hier ist 7 Eleven am Ende irgendwie komplett fehlplatziert. Probs muss ich indes für Cloudrap als optimalen Closer geben, der dem frühen Kanye West alle Ehre macht. Von allen Stücken hier ist dieses das einzige, das mich auch musikalisch wirklich beeindruckt hat. Insgesamt ist Shibuya Crossing doch eher ein lyrisches Album. Und in meinen Augen ist das auch sein größter Trumpf, denn abgesehen davon macht es nicht viel. In Sachen Struktur, Konzept, Musikalität und Sound ist das hier ein mittelmäßiges Mixtape, textlich und charakterlich jedoch eine LP, die das Zeug hat, diese Parameter komplett über den Haufen zu werfen. Das heißt keineswegs, dass die Platte deshalb besser ist, sie ist einfach anders gut als das Zeug der Anderen und anders gut, als ich das von Juse Ju erwartet hatte. Aber allein schon die Tatsache, dass er mich hier so überrascht hat, spricht ja für ihn.






Persönliche Highlights: 7 Eleven / Propaganda / Fake It Till You Make It / Lovesongs / Bordertown / Knete teilen / Milka Tender / Cloudrap

Nicht mein Fall: Pain is Love

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