Dienstag, 6. März 2018

On Land




















Achtung Achtung! Beim Projekt Ann Annie handelt es sich um eine Person, die unter einem Pseudonym arbeitet und deren echte Identität nicht wirklich klar ist. In Ermagelung besseren Wissens und in Anlehung an den Künstlernamen werde ich in diesem Post deshalb das Pronomen "sie" benutzen, also implizieren, dass es sich hier um eine Frau handelt. Dies ist lediglich ein Behelf, um verkorkste Formulierungen zu vermeiden. Ich berufe mich keinesfalls auf die Richtigkeit dieser Annahme. Ich hoffe, damit sind alle okay.

Dass musikalische Phänomene 2018 nicht nur auf Plattformen entstehen, die sich der Verbreitung von Musik annehmen, ist eine Tatsache, die man nicht mehr ignorieren kann. Immer mehr Künstler*innen nutzen inzwischen auch andere Möglichkeiten, die ihre Art, Kunst zu machen, ebenso repräsentieren und sich dabei lediglich auf das klangliche zu reduzieren, reicht dann oft nicht. Das ist im Prinzip nichts neues, audiovisuelle Experimente und Multimedia-Kram gab es bereits in den Sechzigern, nur braucht man heute eben keinen Batzen Kohle mehr dafür. Spätestens seit Lil B sind selbstgedrehte YouTube-Musikvideos ein definierender Part moderner Hiphop-Kultur und das letzte Album von Brian Eno war eine App. Eine Plattform, die sich vor allem seit letztem Jahr vermehrt auch als musikalisches Medium durchsetzt, ist Instagram. Kurze Clips, in denen Künstler*innen Stücke performen, sind zuletzt auch außerhalb der dortigen Community bekannt geworden, Projekte wie Trio Mandili verdanken dem sozialen Netzwerk ihren Erfolg. Doch wie immer sind es vor allem die Nischen, die wirklich spannend sind. So beispielsweise Ann Annie, die anonyme Hand am Modularen Synthesizer, die seit 2017 auf ihrem Kanal für ein wenig digitale Meditation sorgt. Die Musik an sich ist dabei ein großer Faktor des ganzen, aber es sind auch die Bilder, die ihren Account zu dem gemacht haben, was er ist. Schweres, analoges Gerät vor imposanten Landschaften, Pastellfilter und die Künstlerin selbst, die live Stimmungen dazu impovisiert. "Ambient landscapes" nennt sie selbst das ganze. Der feuchte Traum jener Leute, die selbst gerne Tags wie #wholesome, #freedom und #meditation verwenden. Aber bei allem Klischee: Ann Annie zu sehen und zu hören ist eine echte Wonne, vor allem, weil hier alles so toll zusammenpasst. Und genau deshalb war ich auch skeptisch, wie sich die Künstlerin auf einem klassischen Album machen würde. Cordillera ist nun bereits ihr drittes innerhalb der letzten anderthalb Jahre und die Einschränkung ist offenkundig: Die Stücke hier sind nicht die improvisierten Nummern aus den Videos, sondern eigens angefertigte. Die visuelle Komponente fehlt komplett und schon allein deshalb hatte ich Angst, das hier würde eventuell etwas langweilig werden. Kann Ann Annie den Schritt von der digitalen Bühne zum Studio-Act? Offensichtlich ja. Denn obgleich Cordillera nicht den gleichen Effekt hat wie die Clips, ist es doch eine sehr solide Ambient-Platte geworden. Klanglich unterscheiden sich die Song hier von denen auf Instagram wenig und wahrscheinlich sind sie auf dieselbe Art und Weise entstanden. Auch in Sachen Album-Flow braucht man sich eher keine Gedanken machen, durch die extrem atmosphärische und meditative Ästhetik fließt hier eh alles sehr gut ineinander. Viel eher beeindruckend ist, dass Cordillera in seinen 44 Minuten Spieldauer in keinem Moment monoton wird und tatsächlich über die gesamte Zeit spannend bleibt (so spannend, wie ein Ambient-Album eben sein kann...). Nicht jeder Track hier ist unglaublich großartig, aber zumindest die allermeisten und was Annie im Titelsong und im Closer Montage anstellt, ist einigermaßen sensationell. Auch das Einbinden von Naturgeräuschen passt sehr gut dazu und macht die LP noch ein klein wenig märchenhafter. So weit, so gut. Ein großer Nachteil hier ist allerdings die Produktion der Platte, die eben nicht ohne die typischen Begleiterscheinungen eines solchen Indie-Releases daherkommt. Mitunter ist der Sound etwas zu schwammig, wordurch so manch toller Moment verloren geht und dass die Künstlerin über das ganze keinen besseren Rauschfilter hat laufen lassen, ist an manchen Passagen wirklich bitter. Gerade bei einem Projekt wie diesem fällt sowas auf. Und noch eine Sache: Diese Platte ist gut, aber so gut wie alles, was Ann Annie auf Instagram macht, ist besser. Das klassische Album ist ganz klar ein Medium, auf dem sie ihre tolle Ästhetik weniger ausspielen kann und sich ein wenig unter Wert verkauft. Es wäre egal, wie gut ihre LPs sind, die Videos werden wahrscheinlich immer ihr größeres Kapital bleiben. In diesem Sinne kann ich euch diese Musik sehr ans Herz legen, noch viel mehr jedoch, ihren Videos zu folgen. Die gibt es inzwischen übrigens auch auf YouTube, also dürften auch nicht Insta-User in den Genuss kommen. Und mehr noch als die Qualität ihrer Musik zeigt mir dieses Projekt, dass das althergebrachte Albumformat 2018 eben nicht mehr für alle das beste ist.






Persönliche Highlights: Blossom / Delicate Landscape / Springwood / Cordillera / Cloudless / Montage

Nicht mein Fall: -

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