Montag, 26. März 2018

Slow Riot




















Würden wir in einer gerechten Welt leben, müssten Yo La Tengo als Band mittlerweile so etwas wie den Status lebender Legenden haben, die absolut unkaputtbar sind. Seit mittlerweile weit über 30 Jahren aktiv und mit neuerdings 19 Alben im Kasten gehört das Trio aus New Jersey gemeinsam mit Koryphäen wie R.E.M., Sonic Youth und Dinosaur Jr. zu den Pionieren des frühen Indierock und ist von all diesen Formationen bei weitem die beständigste. Klar, es fehlen in dieser Zeit die wirklich wirklich großen Platten und die Tatsache, dass sie immer auf Independentlabels geblieben sind, ließ sie spätestens in den Neunzigern als Big Player zurückfallen, doch müsste man sie nicht gerade deshalb um so mehr bewundern, weil sie trotzdem durchgehalten haben? Ich zumindest finde das absolut angebracht und lasse mich deshalb zum ersten Mal dazu hinreißen, ausführlich über eine neue LP von ihnen zu schreiben. Allerdings ist das nicht der einzige Grund, warum ich über There's A Riot Going On schreibe. Denn tatsächlich befinden sich Yo La Tengo nach langer Zeit gerade mal wieder in einer sehr spannenden Phase ihrer Karriere, die den Sound der Band ganz neu aufzubauen versucht. Andeutungen davon gab es bereits 2013 auf ihrem letzten richtigen Album Fade, doch wie sich die Dinge hier entwickelt haben, kann man erstmals von einem Stilbruch sprechen. Wobei, gemütlich waren die Drei auch vorher schon. Dass sie es jetzt so ins Extreme treiben, ist eigentlich eher konsequent als überraschend. There's A Riot Going On ist ein etwas mehr als einstündiges Projekt mit 15 Tracks, auf denen Yo La Tengo den Schalter langsam von seichtem, flauschigen Indiepop auf Ambient umlegen und sich genüsslich in den Bereich der Klangtapete verkrümeln. In vielen knappen, verhuschten und paradiesisch anmutenden Songs baut die Band hier eine umfassende Wohlfühlatmosphäre auf, in die sie die Hörenden einknetet und in der jedes Songwriting blitzschnell zu Meeresrauschen verkommt. Dabei ist das Album zunächst eigentlich noch sehr klassisch konzipiert: Die meisten Nummern des ersten Teils verfügen über Gesang, mehrere Strophen und zumindest eine Andeutung von Dynamik, sind nur eben ziemlich fluffig gehalten. Es gibt keinerlei Ausreißer, keine Disharmonien und die Texte der Stücke kann man getrost ignorieren. Erst mit Dream Dream Away, dem siebten Titel in der Tracklist, löst sich das kompositorische Gefüge der Platte mehr oder weniger komplett auf und es beginnt der experimentelle Teil der LP. Und wenn man mich fragt, wird es an dieser Stelle erst so richtig interessant. Wo Yo La Tengo den Weg vorher mit ein paar öden Wegwerf-Indienummern den Weg pflasterten, werden sie hier plötzlich kreativ und erschaffen etwas, was ich so von ihnen in 30 Jahren noch nicht gehört habe. Zwölf Minuten lang taumeln sie mit Dream Dream Away und Shortwave in der Schwerelosigkeit, bevor Above the Sound und Let's Do It Wrong das Album in ulkige Jazz-Gefilde locken und Ira Kaplan in What Chance Have I Got in eine ziemlich coole Nico-Nummer übergeht. Man könnte im zweiten Teil eigentlich über jeden Song eine Menge schreiben, aber belassen wir es hier dabei, dass sie unterm Strich die bessere Hälfte dieser LP ausmachen. Yo La Tengo gehen hier nicht nur kompositorisch in die Tiefe, sie toben sich auch musikalisch mehr aus als auf vielen ihrer früheren Alben. Auch wenn das in ihrem Fall eher so klingt, als würden sie dem Gras beim Wachsen zusehen. Um ihre wilde und exzentrische Seite zu zeigen, muss die Band in keinem Moment laut oder rotzig werden, alles passiert hier ein bisschen in Slowmotion. Schlechter macht es das ganze nicht, eher sorgt es für eine gewisse Substanz und dafür, dass die Platte in ihrem lethargischen Flow bleibt. Wenn am Ende der Closer Here You Are den Kreis des Albums schließt, kann man sich sicher sein, aus dieser Platte sehr viel Entschleunigung und Meditation entnommen zu haben. Es ist nicht wirklich ein Ambient-Projekt oder irgendeine Form der Hintergrundmusik, es ist eben nur Popmusik, die sich auf einem konstanten Minimum an Aufregung bewegt. Und ob man es glaubt oder nicht, damit haben mich Yo La Tengo zum ersten Mal seit langem wirklich begeistert. Wieso auch nicht? Ein großes Rockalbum würde einer so in Ehre gealterten Formation eh nicht mehr zustehen und das Softrock-Ding haben sie in den Nullern schon genug ausgereizt. Der langsame Weg in die Welt der Klangtapete ist daher sowohl originell aus auch passend. Platten wie diese können die Drei ruhig noch ein paar machen. Nur sollten sie diesen dann vielleicht einen anderen Titel geben.






Persönliche Highlights: Shades of Blue / Polynesia #1 / Dream Dream Away / Shortwave / Above the Sound / Let's Do It Wrong / What Chance Have I Got / Forever / Here You Are

Nicht mein Fall: She May, She Might

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