Sonntag, 11. März 2018

Under A Groove





















Wer dachte, King Gizzard & the Lizard Wizard seien Stand 2018 nicht mehr als ein nerdiges Nischenphänomen, dass lediglich eine winzige Zielgruppe anspricht, die auf mikrotonale Psychedelik, Spoken-Word-Fantasy-Epen und ulkiges Jam-Getöse steht, der könnte falscher nicht liegen. Schon seit einigen Jahren ist das, was die Australier mit ihrer gesamten Arbeit machen, zu einem inklusiven Erlebnis geworden, das mittlerweile auch ordentlich Publikum gefunden hat. Bei fünf Alben in einem Jahr, einem verflochtenen Referenz-Universum um den gesamten Output und dem momentan sicherlich coolsten Sound der Rock-Landschaft ist das aber auch kein Wunder. Das Conne Island war am gestrigen Abend jedenfalls ausverkauft und man war schon erstaunt, wie weit das Wort um diese Band mittlerweile gestreut ist. Vor der Bühne ist es bereits eng, als ich kurz vor 21 Uhr den Saal betrete, später drängt es sich bis zum Merch-Stand und zur Bar. Man kann einigermaßen froh sein, wenn man seine Bierflasche halbwegs intakt zu einem Stehpunkt balanciert hat. Für eine gute Sicht auf das Konzert hätte man wahrscheinlich morgens um Sieben erscheinen müssen. Laufkundschaft ist dabei niemand, weshalb auch die "Vorband" Mild High Club schon mächtig Applaus erntet. Mit den Kaliforniern haben King Gizzard immerhin ein ganzes gemeinsames Album aufgenommen, heute Abend allerdings sind sie eher das Kontrastprogramm. Ihr gefälliger Smooth-Jazz-Indie ist wie auch auf Platte eher hochwertige Klangtapete als große Show, doch ihr Set macht definitiv Spaß. Nicht zuletzt wegen der extrem lethargischen Ansagen von Frontmann Alexander Brettin. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, den der Hauptact kurze Zeit später heraufbeschwört. Schon der Soundcheck, den die Musiker sympathischerweise selbst machen, beschwört dabei erste Fan-Momente herauf: Applauswellen branden auf, als für den Test der Lichtshow für einige Sekunden das Nonagon Infinity-Symbol den Saal erleuchtet, sowie als Stu Mackenzie mitsamt knallgelber Flying Banana-Gitarre auf der Bühne erscheint. An Symbolik ist dieses Konzert also schon extrem reichhaltig, bevor es überhaupt angefangen hat. Und als die Band wenige Minuten später dann den Opener Rattlesnake anstimmt, ist folglich niemand mehr zu halten. Dass King Gizzard ihren vielleicht größten Hit gleich zu Anfang spielen, erscheint im ersten Moment komisch, ist aber wahnsinnig schlau. Das Publikum ist von der ersten Sekunde an mit hunderzehn Prozent dabei und schaukelt sich so in einen Groove, der von jetzt ab die nächsten zwei Stunden nicht mehr abbrechen wird. Dass die mit zwei Drumsets gespielten, stampfigen Kraut-Beats gerade live der große Selling Point dieser Gruppe sind, ist ahnbar, aber ich hatte nicht erwartet, dass es so gnadenlos werden würde. Einmal in den Rhythmus gekommen, rocken King Gizzard einen Song nach dem anderen runter, sodass diese nicht selten ineinander verschwimmen und man eher den Eindruck bekommt, einem Technoset beizuwohnen als einem Livekonzert. Nach Rattlesnake folgt mit Greenhouse Heat Death, Nuclear Fusion und All is Known in einem Ruck ein Brett nach dem anderen und immer ist der nächste Song noch besser als der vorherige. Die jeweiligen Vorlieben, was die Alben angeht, werden dabei schnell Null und nichtig. So wird ausgerechnet der Komplex von Stücken aus Murder of the Universe für mich zum absoluten Highlight des Konzerts, auch weil Mackenzie in Han-Tyumi the Confused Cyborg ein stattliches Querflöten-Solo zum besten gibt. Wo im Publikum dabei aber stets Randale ist und zu jedem Zeitpunkt mindestens zwei Crowdsurfer über die Menge wandern, erlebt man auf der Bühne eine Band, die arbeitet. Die Musiker lassen beeindruckend stoisch ein fantasisches Riff nach dem anderen vom Stapel und wenn Stu Mackenzie sich einmal von der Stelle rührt, dann lediglich, um seinem Verstärker die optimale Feedback-Nuance zu entlocken. Sie haben dabei ohne Frage ihren Spaß, doch man merkt auch, dass sie eben keine Rocker sind, sondern Nerds. Und die lassen sich auch in der Umsetzung gerne noch eine Kleinigkeit einfallen. Im vorletzten Teil des Sets, der größtenteils aus älteren Live-Klassikern besteht, zaubern King Gizzard das ein oder andere Ass aus dem Ärmel. Head On / Pill beispielsweise, ein Song von 2013, ist in fünf Bühnenjahren zur folkigen Ballade herangereift, die dem Konzert nach anderthalb Stunden seinen ersten zarten Melancholie-Moment beschert und Mackenzie auch als versierten Texter zeigt. Crumbling Castle wiederum dehnen die Australier an diesem Abend locker auf 15 Minuten Spieldauer und der eigentliche Closer Robot Stop ringt dem Publikum auch noch den letzten Schweißtropfen ab. Aber die Band ist noch immer nicht fertig. Mit Big Fig Wasp, Gamma Knife und the River spielen sie gefühlt ein halbes Album als Zugabe und auch wenn sie hier bewusst auf chillige Nummern zurückgreifen, die Reizüberflutung ist damit endgültig perfekt. Nach gefühlten fünf Stunden in der bleischweren Saalluft evakuieren sich ein paar Hundert überglückliche Fans langsam aus dem Conne Island nach draußen, nachdem man für Merch, Garderobe und das lebensnotwenige Wegbier jeweils nochmal dieselbe Zeit anstehen musste. Manche gehen danach noch feiern, man glaubt zu wissen, wo die Musiker den Rest des Abends verbringen. Ich für meinen Teil habe für heute genug gesehen und belasse es bei einem kurzen Verkaufsgespräch mit Alex Brettin, der immer noch etwas verspult am Merch-Tresen abhängt. Für eine mittlerweile so große Band wie King Gizzard ist es erstaunlich, wie entspannt hier alles läuft. Obwohl sie bereits seit Monaten auf Tour sind, merkt man den Musikern keine Spur davon an und allein die Tatsache, dass sie heute so lange und so intensiv abliefern, ist beachtlich. Gerade nach einem Jahr, in dem sie nicht weniger als fünf Platten gemacht haben. In dieser Hinsicht war das Konzert gestern nicht nur eine Bestätigung meiner generell sehr guten Meinung von dieser Formation, sondern sogar nochmal eine Schippe Begeisterung obendrauf. Und ich kann mir definitiv sicher sein, King Gizzard in einer ihrer besten Phasen live erwischt zu haben. Denn so wie die ackern, ist der Burnout sicher nicht weit.

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