Samstag, 22. September 2018

Tribunal eines Genies





















Man muss sich langsam über eine bittere Wahrheit im klaren werden: Der Aphex Twin von nach dem Comeback 2014 ist einfach nicht mehr der gleiche wie der Aphex Twin von davor. Zwei neue Platten gab es seit dem eher unspektakulären Wiederbelebungs-Longplayer Syro von ihm, und keine von ihnen war bisher besser als ganz gut. Wenn man mich fragt, ist die 2016 veröffentlichte Cheetah-EP das einzige Material, das qualitativ ansatzweise an seinen Output in den Neunzigern heranreicht, ansonsten muss man leider sagen, dass Richard D. James ein ganz schönes bisschen langweilig geworden ist. Statt des einstmals oft beschworenen "Mozarts der elektronischen Musik" erleben wir seit einiger Zeit einen eher mittelmäßigen Beatbastler, der dürftige Tracks ohne Namen veröffentlicht, die weder die Cleverness noch die Atmosphäre früherer Geniestreiche haben. Stand 2018 droht Aphex Twin nur noch ein Schatten seiner selbst zu werden. Und Collapse wäre nun die Arbeit gewesen, die diesen Verdacht entweder hätte zerstreuen oder bestätigen können. Blöderweise ist sie von allen Post-Comeback-Projekten des Iren das bisher schlechteste geworden. Ja nun. Wobei das alles andere als ein Weltuntergang ist. Denn wenn ich sage, dass Richard D. James unter seinem Niveau arbeitet, bedeutet das nicht, dass er schlechte Musik macht. Auch die fünf Tracks auf dieser EP haben durchaus ihre Momente, verfügen über ein paar ziemlich clevere kompositorische Twists und lassen bisweilen durchaus das Feeling aufkeimen, dass ausschließlich ein Projekt dieses Künstlers mit sich bringt. Nur möchte ich doch sehr dafür plädieren, sich davon nicht blenden zu lassen: Denn was Aphex Twin uns seit nunmehr vier Jahren und nicht zuletzt auch hier verkaufen will, ist verschnittener und gestreckter Stoff. Die Ansätze sind durchaus da, aber was der Musiker an klanglichem Füllmaterial und langweiligen Edits dazwischen packt, ist ehrlich gesagt ziemlich frech. Und nur weil es im Grunde genommen ja das gleiche ist und es immerhin vom Künstler selbst kommt, müssen wir das nicht unreflektiert abfeiern. Ich sage das, weil es anscheinend Leute da draußen gibt, die genau das tun. Dabei muss 2018 eigentlich niemand mehr Aphex Twin gut finden. In nicht mal einer Woche erscheint beispielsweise ein neues Album von Tim Hecker, und ich gehe jede Wette ein, dass ich dieses wesentlich besser finden werde als den kompletten Post-Comeback-Katalog von Herrn James, einfach weil ich den Eindruck habe, dass Hecker sich mit seiner Musik noch Mühe gibt. Selbst wenn die neue Platte scheiße wird, so ist mangelnde Hingabe bestimmt nicht der Grund dafür. Was ich damit sagen will ist: Vielleicht ist es an der Zeit, damit aufzuhören, Aphex Twin auf ein Podest zu stellen und differenziert zu betrachten. Sicher, hätte es früher Platten wie Come to Daddy oder die Selected Ambient Works-Reihe nicht gegeben, wer weiß, ob Tim Hecker heute überhaupt Musik machen würde. Allerdings gibt es inzwischen längst Acts, die das Genie aus Limerick in Sachen Kreativität und Cleverness eingeholt haben. Vielleicht nicht, weil sie Songs vor ihrem geistigen Auge visualisieren können, sondern einfach, weil sie die besseren Songs schreiben. Diesen Teil seiner Arbeit scheint Richard D. James nämlich komplett vergessen zu haben.






Persönliche Highlights: MT1 t29r2 / abundance10edit[2 R8's, FZZm & a 909] / pthex

Nicht mein Fall: 1st 44

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