Sonntag, 9. September 2018

Hol den Vorschlaghammer!





















Eigentlich war ich ja bis zum Anfang dieses Jahres immer ziemlich skeptisch, wenn es um die Musik von Idles ging und hatte erst nicht vor, ihrem zweiten Album große Beachtung zu schenken. So wie die Dinge mittlerweile aber stehen, ist Joy As An Act of Resistance vielleicht die Platte, auf die ich mich in der zweiten Hälfte von 2018 am meisten gefreut hat. Und das liegt ganz einfach daran, wie präsent die Band aus Bristol in den letzten Monaten gewesen ist und wie wichtig ihre Songs in dieser Zeit waren. In meinen Augen gibt es im Moment wenige Künstler*innen, die politische Zusammenhänge in Europa, gesellschaftliche Psychologie und starke Botschaften so knackig auf den Punkt bringen wie dir Briten und außerdem den Vorteil haben, diese auch in grandiose Rockhits verpacken zu können. Zwar war das auch schon letztes Jahr auf ihrem Debüt Brutalism so, doch waren die Aussagen da noch etwas zu abstrakt und die musikalische Ausdrucksform für meine Begriffe etwas gekrampft. Umso erstaunlicher also, dass Idles gerade mal ein gutes Jahr später zu einer solchen Topform gefunden haben. Drei Singles reichten im Laufe dieses Sommers, um die Band für mich von überwerteten Hype-Krawallbrüdern zu einer der verheißungsvollsten Gruppen der modernen Rockmusik werden zu lassen, die mein persönliches 2018 durch Tracks wie Danny Nedelko oder Samaritans auch dann geprägt hätten, wenn dieses Album ein totaler Reinfall geworden wäre. Zum unserem großen Glück ist aber in dieser Hinsicht mal das Optimum der Fall und die Briten machen hier genau die Platte, auf die ich und viele andere von ihnen gewartet haben. Mit klaren Ansagen, grobschlächtigem Postpunk-Sound, unverdorben mittelenglischer Schnauze, aber auch mit einer neuen songwriterischen Finesse und echten Stadion-Momenten, die ein bisschen Abwechlung reinbringen. Insbesondere die Oi-artigen Gangshouts in Stücken wie Great und I'm Scum haben es mir dabei angetan, da man bei ihnen tatsächlich Bilder von britischen Fußball-Hools im Kopf hat, nur dass die mal ausnahmsweise lieber von Selbstfindung, Toleranz und Menschlichkeit singen. Womit wir bei einer weiteren tollen Eigenschaft dieser Band werden: Ihren Texten. Als im Kern noch immer ziemlich ordinäre Punker arbeiten Idles inhaltlich sehr stark mit Parolen, die gerne auch mal ein bisschen stumpf formuliert sind. Wo diese Herangehensweise theoretisch jedoch die Gefahr birgt, Statements verkürzt zu formulieren oder generell ein bisschen beschränkt zu wirken, schafft es diese Band, in genau diese Falle nicht zu tappen. Im Gegenteil, gerade in diesen knappen, klaren Punchlines finden viele Songs genau dort eine Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit, wo viele andere Künstler*innen um den heißen Brei herumreden oder abstrahieren. Dinge wie Islamfeindlichkeit, toxische Maskulinität oder der Brexit werden ganz direkt angesprochen, ohne viele Floskeln zu verwenden oder lange Geschichten zu erzählen. Ein Großteil der Energie dieses Albums speist sich aus diesem lyrischen Frontalangriff, der mit Sänger Joe Talbot auch ein optimales Sprachrohr findet. Man muss ganz klar sagen, dass Idles nicht die Band wären die sie sind, hätten sie nicht dieses Urvieh von Sänger am Mikrofon, durch den sich jeder gesungene Satz noch einmal zehnfach potenziert. Summiert man all diese Dinge zusammen mit der fantastischen Produktion, der Dramaturgie der Songs und dem angedeuteten Konzept dieser LP auf, ergibt sich daraus ein Rockalbum, das nicht nur wahnsinnig gut ist, sondern auch etwas bedeutet. Das wichtige Botschaften hat, die in spaßige Musik verpackt sind und das im allgemeinen die Welt nicht schwarz malt, sondern mit einem breiten Grinsen in die Zukunft blickt. Nicht zuletzt bedeutet das auch, dass endlich mal wieder eine Punkband anstelle eines Rappers den Puls der Zeit trifft und zeigt, wie viel Kraft auch 2018 noch in dieser Musik steckt. Ein To Pimp A Butterfly oder ein A Seat at the Table sind ja wirklich schön, aber mir persönlich macht die Auf die Fresse-Variante von Idles deutlich mehr Spaß. Ganz einfach, weil hier nicht Geschichten erzählt, sondern klare Ansagen gemacht werden. Und tatsächlich würde ich mir für diese Gruppe nichts sehnlicher wünschen, als tatsächlich mal ein ganzes Fußballstadion zu erleben, das den Refrain von Danny Nedelko singt. Ein winziges bisschen würde das die Welt vielleicht zu einem besseren Ort machen.







Persönliche Highlights: Colossus / I'm Scum / Danny Nedelko / Love Song / June / Samaritans / Television / Great / Gram Rock / Cry to Me

Nicht mein Fall: -

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